Lernkompetenzförderung bei„lernbehinderten“ Kindern: Grundlagen und praktische Beispiele metakognitiver Ansätze
Von Marcus Hasselhorn und Claudia Mähler
Die vorliegende Arbeit bemüht sich um eine Bestandsaufnahme theoretischer Grundlagen und praktischer Anwendungen metakognitiver Trainings mit lernbehinderten Schülern. Ausgehend von sich wandelnden wissenschaftlichen Lehrmeinungen zur Erklärung von Lernbehinderung wird der Fokus auf neuere Informationsverarbeitungsansätze gerichtet. Diese betonen die besondere Bedeutung von Metakognitionen für den Aufbau von Lernkompetenzen bei lernschwachen Schülern. Auf metakognitionstheoretischen Annahmen basieren verschiedene neuere Trainingsprogramme sowohl im pädagogisch-psychologischen als auch im eher klinisch-psychologischen Bereich. Zwei Beispiele illustrieren typische praktische Vorgehensweisen dieser Trainings zur Vermittlung metakognitiver Fertigkeiten. Abschließend werden die gegenwärtigen Möglichkeiten und Grenzen solcher Ansätze diskutiert.
The present article is a topical review of the theoretical bases and practical applications of metacognitive training approaches with learning disabled children. Starting from changing scientific opinions concerning the explanation of leaming-disability, information-processsing theories are focussed in more detail. These emphasize the importance of metacognitions for the development of learning skills in learning-disabled children. Several new training programs belonging to the educational as well as to the clinical-psychological domain share this theoretical background. Two examples are given to illustrate typical ways of metacognitive trainings. Finally, current possibilities and limitations of such programs are discussed.
Die Frage nach einer gezielten Lernkompetenzförderung hat bei der großen Zahl von Schülern mit ausgeprägten Lernschwächen nach wie vor hohe Aktualität. So besuchten z.B. in Niedersachsen im Schuljahr 1986/87 insgesamt 20.916 Kinder eine der 207 existierenden Sonderschulen für Lernbehinderte, was ca. 2,4% der Gesamtschülerzahl dieses Bundeslandes entspricht. Diese Zahl vergrößert sich noch, wenn man davon ausgeht, daß zahlreiche lernschwache Schüler nur mit Hilfe von intensiven Stütz- und Fördermaßnahmen in der Grundschule verbleiben(vgl. Landeselternrat Niedersachsen, 1987).
„Lernbehinderung“ ist eher ein Sammelbegriff für verschiedene Leistungs- und Verhaltensauffälligkeiten. Wong(1986)
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hat auf die unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen hingewiesen, die verschiedene Interessengruppen an eine Definition der Lernbehinderung haben. Während Behörden eine Definition bevorzugen, die eine eindeutige Zuordnung von Kindern zu pädagogischen Einrichtungen erlaubt, sind Psychologen und Pädagogen an einer Definition interessiert, die Hinweise zur Differentialdiagnose und zur Gestaltung von Förderprogrammen enthält; die Forschung wiederum braucht Selektionskriterien, die zu homogenen Untersuchungsgruppen führen. Eine Definition, die allen diesen Erwartungen entspricht, gibt es bis heute nicht. Verschiedene Sichtweisen, Erklärungsmodelle und Diagnosekriterien existieren nebeneinander. Als Folge da
von ist die Gruppe der Lernbehinderten recht heterogen, sowohl im Hinblick auf vorliegende Störungsbilder als auch in bezug auf die zugrundeliegende Ätiologie. Dennoch haben sich in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten im Gefolge sich verändernder wissenschaftlicher Lehrmeinungen erfolgversprechende Perspektiven für den Aufbau von Lernkompetenzen bei lernschwachen Kindern ergeben.
Wissenschaftliche Lehrmeinungen im Wandel
Eine empirische Grundlagenforschung zum Thema Lernschwierigkeiten bzw.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 1, 1990