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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Marcus Hasselhorn& Claudia Mähler ­

Lernkompetenzförderung beilernbehinderten Kindern

des metamemorialen Wissens und der metakognitiven Kontrollprozesse wur­den zur Erklärung eines Phänomens her­angezogen, das in der Literatur zur Ge­dächtnisentwicklung unter dem Begriff Produktionsdefizit bekannt geworden ist. Damit ist gemeint, daß ein Kind zwar über die grundsätzlichen Fertigkei­ten z.B. einer Lern- oder Behaltensstra­tegie verfügt, diese jedoch bei einer ent­sprechenden Lernanforderung nicht spontan einsetzt, sondern nur, wenn es explizit dazu aufgefordert wird. Aus der Perspektive des Metakognitions-Ansat­zes ist dieses Defizit ein Ausdruck man­gelnden metamemorialen Wissens oder fehlender metakognitiver Kontrollpro­zesse(vgl. Flavell& Wellman, 1977, S. 10). Das Konzept des Produktionsde­fizits hat sich auch zur Charakterisie­rung der kognitiven Schwierigkeiten von Lernbehinderten als geeignet erwiesen (vgl. Bauer, 1987; Hagen et al., 1982; Hasselhorn, 1987a). So konnten in em­pirischen Untersuchungen sowohl Defi­zite lernbehinderter Kinder bei verschie ­denen Aspekten des metamemorialen Wissens(Loper, Hallahan& Ianna, 1983; Torgesen, 1979) als auch hinsichtlich der Verfügbarkeit bzw. Nutzung meta­kognitiver Kontrollprozesse(Owings, Petersen, Bransford, Morris& Stein, 1980; Scruggs, Bennion& Lifson, 1985) gezeigt werden. Verglichen mit entwick­lungspsychologischen Arbeiten zum Me­tagedächtnis beiunauffälligen Kin­dern(vgl. Schneider, 1989), liegen erst wenige empirische Analysen über meta­kognitive Merkmale von Lernbehinder­ten vor. Dennoch wird gegenwärtig von mehreren Autoren die Einschätzung ge­teilt, daß selbst in Bereichen, in denen lernbehinderte Kinder über angemessene kognitive Fertigkeiten verfügen, sie diese aus motivationalen Gründen oder aber aufgrund unzureichender metakogniti­ver Kompetenzen nicht so effektiv nut­zen wie andere Kinder(vgl. Bauer, 1987, Borkowski et al., 1986; Borkowski& Kurtz, 1987).

Diese Einschätzung ist eine der zentra­len theoretischen Grundlagen sogenann­ter metakognitiver Ansätze zur Lern­kompetenzförderung, wie sie heute in vielfältiger Form von Metakognitions­

forschern ebenso wie von Vertretern der kognitiven Verhaltensmodifikation pro­pagiert werden. Bevor wir anhand je­weils eines Beispiels aus beiden For­schungsbereichen die Herleitung und konkrete Umsetzung in entsprechende Trainingsprogramme beschreiben, sollen summarisch einige allgemeinere Schluß­folgerungen aus der ca. 15 Jahre langen metakognitiven Trainingsforschung auf­gezeigt werden.

Schlußfolgerungen aus der metakognitiven Trainingsforschung

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich im Fahrwasser des Informa­tionsverarbeitungs-Ansatzes eine eigen­ständige Forschungsrichtung etablierte, die sich zur Aufgabe machte, Möglich­keiten der pädagogischen Beeinflußbar­keit von Lern- und Gedächtniskompe­tenzen zu untersuchen. Eine strikte Un­terscheidung nach spezifischen Zielgrup­pen(z.B. Normalschüler, Lernbehinderte, Geistigbehinderte) hat sich dabei als nicht unbedingt notwendig erwiesen. Es zeigte sich nämlich in der von der Metakogni­tions-Theorie beeinflußten Trainingsfor­schung, daß die gleichen Trainingsele­mente bei unterschiedlichen Zielgrup­pen von Kindern und Jugendlichen wirk­sam waren. Lediglich in der Intensität bzw. Gewichtung einzelner Trainings­elemente waren Variationen je nach den kognitiven Voraussetzungen der zu trai­nierenden Schüler erforderlich. Da ein systematischer Überblick über die expe­rimentelle Trainingsforschung zur För­derung der Lern- und Gedächtnisleistun­gen bei Kindern bereits vorliegt(Hassel­horn, 1987b), beschränken wir uns auf eine Zusammenfassung der für die päd­

agogische Anwendung wichtigsten Schlußfolgerungen aus den bisherigen Forschungsbefunden.

In den 70er Jahren konnten im wesent­lichen vier Trainingselemente identifi­ziert werden, die eine längerfristig an­haltende und generelle Effektivität von Maßnahmen zur Lernkompetenzförde­rung ermöglichen:(1) das von einem kompetenten Modell angeleitete Ein­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 1, 1990

üben der selbständigen Nutzung geeigne­ter Strategien der Informationsverarbei­tung;(2) das ausführliche Informieren der Trainingsteilnehmer über den Nut­zen und die Grenzen der eingeübten Strategie;(3) das direkte Einüben mög­licher Strategiegeneralisierungen unter veränderten Aufgabenstellungen; und (4) das direkte Einüben allgemeiner Heuristiken und Techniken zur Überwa­chung und Regulation des eigenen Lern­verhaltens(vgl. ausführlicher dazu Has­selhorn, 1987b, S. 120ff.).

Dieses aus vier Elementen bestehende Übungspaket ist gewissermaßen eine Synthese aus zentralen methodischen Prinzipien klinisch-psychologischer An­sätze zur kognitiven Verhaltensmodifi­kation(Lernen am Modell, Vertiefung des Gelernten durch Situations- und Aufgabenvariationen) und aus Kernan­nahmen der Metakognitions-Theorie, nach denen erst das explizite Wissen über eine Informationsverarbeitungs­Strategie deren generelle spontane Nut­zung ermöglicht(vgl. Meichenbaum& Asarnow, 1979). So ist es auch nicht verwunderlich, daß von eher klinisch­psychologisch orientierten(z.B. Lauth, 1988; Ryan, Weed& Short, 1986) und von eher entwicklungspsychologisch bzw. pädagogisch-psychologisch interes­sierten Wissenschaftlern(z.B. Brown& Palincsar;- 1987) weitgehend übereinstim­mende Trainingsprogramme zur Lern­kompetenzförderung bei Lernbehinder­ten entwickelt wurden. Um diese Ähn­lichkeiten zu verdeutlichen und um ein vertieftes Verständnis metakognitiv­verhaltensmodifikatorischer Förderpro­gramme zu ermöglichen, werden im fol­genden beispielhaft die theoretischen Hintergründe, praktischen Vorgehens­weisen und bisherigen Evaluationser­gebnisse des eher pädagogisch-psycho­logisch orientierten Programms von Brown und Palincsar(1987) und des ei­nem eher klinisch-psychologischen Hin­tergrund zuzuordnenden Trainings von Lauth(1988) beschrieben.