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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Marcus Hasselhorn& Claudia Mähler*

Lernkompetenzförderung beilernbehinderten Kindern

1984, Studie 1) dokumentieren, daß bei allen trainierten Kindern eine schrittwei­se Internalisierung des intendierten Dis­kussionsverhaltens erfolgte. Auffällig ist der Befund, daß unabhängig von den Ausgangskompetenzen der Schüler die Veränderungen im Dialogverhalten stets der verbesserten Leistung bei der Bear­beitung der nach jeder Trainingssitzung ebenfalls vorgelegten Übungstests voran­ging. Diese nachgewiesenen trainingsbe­gleitenden Verhaltensänderungen führ­ten darüber hinaus zu verbesserten Lei­stungen bei drei Typen von Transferauf­gaben, die in der Regel vor und(bis zu sechs Monaten) nach dem Training von den Kindern bearbeitet wurden:(a) bei selbstentwickelten Textverständnis­Tests, die mit den trainingsbegleitenden Übungstests weitgehend identisch waren, jedoch ohne Hinweis auf das Training (und ohne Anwesenheit des Trainers) im Klassenverband zu bearbeiten waren. Hier verbesserten sich die Kinder über verschiedene Studien hinweg von an­fänglich ca. 30% auf ca. 80% richtiger Antworten(bei einem Durchschnitts­wert für untrainierte Kinder ohne Lern­schwierigkeiten von 75%). Bei(b) weite­ren proximalen Transfertests, die sich in Aufbau und Form von den im Training verwendeten Übungen unterschieden (z.B. Anfertigen schriftlicher Textzu­‚sammenfassungen, Entdecken inhaltli­cher Widersprüche im Text), zeigten die Kinder der RT-Gruppe im Gegensatz zu Kontrollgruppen-Kindern bedeutsame Prä-Post-Differenzen. Die Posttestwerte der RT-Kinder unterschieden sich nicht mehr von denen guter, untrainierter Le­ser der gleichen Klassenstufe. Schließ­lich(c) zeigten sich bedeutsame Verän­derungen in Leistungen der Kinder bei einem standardisierten Leseverständnis­Test. So verbesserten etwa bei Palincsar & Brown(1984, Studie 2) die trainier­ten leseschwachen Kinder im Verlauf des vier Monate dauernden Trainings ih­re Leistung um ein Äquivalent von 20 Monaten, die untrainierten leseschwa­chen Kinder dagegen nur um ein Äqui­valent von ca. 2 Monaten. Der Transfer­effekt des RT-Programms auf die Lei­stung in einem standardisierten Lesever­ständnis-Test konnte in einer experi­

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mentell gut kontrollierten Studie von Lysynchuk, Pressley& Vye(1988) für leseschwache Viert- und Siebtkläßler repliziert werden.

Relative RT-Überlegenheit. Daß jedoch das RT nicht nur die intendierten Ver­haltensänderungen und erwünschten Transfereffekte auf die Leistung bei ver­schiedenen Aufgaben zum Textlernen hervorruft, sondern darüber hinaus ver­schiedenen anderen Fördermaßnahmen überlegen ist, zeigen die Ergebnisse meh­rerer Vergleichsstudien(vgl. Brown& Palincsar, 1987, S. 102 f.). Die RT-Über­legenheit konnte gegenüber so unter­schiedlichen Interventionen nachgewie­sen werden wie z.B.(a) dem einfachen Modellieren der Verhaltensstrategien, (b) einem herkömmlichen expliziten Vermitteln der Fertigkeiten, bei dem die Kinder zwar Möglichkeiten zur prakti­schen Übung erhalten, jedoch keine un­mittelbare Rückmeldung über ihr Vorge­hen bekommen, und(c) einem sonder­pädagogischen Förderprogramm, bei dem die Kinder angeleitet werden, nach Antworten auf vorgegebene Fragen in­nerhalb des Textes zu suchen. Übertragbarkeit in die pädagogische Praxis. Während die ersten RT-Studien unter stark kontrollierten Laborbedin­gungen(Individualtrainings mit Frau Pa­lincsar als Trainerin) durchgeführt wur­den, konnte mittlerweile auch die effek­tive Übertragbarkeit ins pädagogische Feld nachgewiesen werden. Die bereits skizzierten Verhaltensänderungen und Transfereffekte zeigten sich auch in Stu­dien, bei denen Förderkurslehrer, Refe­rendare, Klassenlehrer und sogar Mit­schüler ohne Textlernschwierigkeiten als Trainer eingesetzt wurden(vgl. Brown& Palincsar, 1987, S. 110 f.) und die Grup­pengröße während der Trainingseinhei­ten bis zu 19(!) Kinder betrug(vgl. Brown& Palincsar, im Druck).

Beispiel 2: Das Programm von Lauth zur Vermittlung kognitiver Fertigkeiten

Dieses zweite Beispiel eines metakogni­tiven Trainings zur Lernkompetenzför­

HEILPÄDAGOGISCHE

derung haben wir ausgewählt, um zu do­kumentieren, wie sehr eher entwick­lungspsychologisch bzw. pädagogisch­psychologisch orientierte neuere Förder­programme und eher klinisch-psycholo­gisch verankerte Weiterentwicklungen innerhalb der kognitiven Verhaltensmo­difikation einander ähneln.*

Theoretischer Hintergrund

In den Trainingsansatz, den Gerhard Lauth und seine Mitarbeiter seit Ende der 70er Jahre vor allem an der Univer­sität Oldenburg ausgearbeitet haben, fließen im wesentlichen drei theoreti­sche Konzepte ein: handlungstheoreti­sche Überlegungen, kognitionspsycholo­gische Ansätze zur Beschreibung des Verhaltens retardierter Kinder anhand defizitärer Problemlösefertigkeiten und instruktionstheoretische Grundlagen der verbalen Selbstinstruktion.; Handlungstheorie. Zur Beschreibung von Aufbau und Verlauf komplexer Handlun­gen beruft sich Lauth(1988) auf die Handlungstheorie, nach der menschli­ches Handel zielbezogen und bewußt abläuft. Wesentlich ist die hierarchische Struktur von Handlungen. Übergeordne­te Handlungsschritte(Planungen, Ent­scheidungen, Verarbeitung von Ergeb­nisrückmeldungen) enthalten allgemei­nere Handlungselemente und erfordern mehr bewußte Aufmerksamkeit; unter­geordnete Handlungsschritte sind dage­gen spezifischer und können auch ohne bewußte Kontrolle ausgeführt werden (Automatismen). Lernziel kann sowohl die zunehmende Automatisierung der bewußten übergeordneten Handlungs­schritte als auch das Bewußtmachen von automatischen untergeordneten Hand­lungsschritten sein.

Aus dieser allgemeinen Handlungsbe­schreibung leitet Lauth(im Druck)un­mittelbare Störungsmomente ab, die als Ursache von Handlungsmißerfolgen in Frage kommen. Dazu gehören(a) un­angemessene Kognitionen(z.B. unreali­stische Ziele, defizitäres Wissen, falsche Situationseinschätzungen),(b) das Feh­len handlungsnotwendiger Kognitionen, (c) die Auswahl inadäquater Handlun­

FORSCHUNG Band XVI, Heft 1, 1990