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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Petra Bee-Göttsche*

Phonemische Bewußtheit

mon, 1971), woraus geschlossen wurde, daß sich phonemische Bewußtheit erst zu einem späteren Zeitpunkt und dann aufgrund des Leseunterrichts entwickeln würde.

Am anderen Ende der Schwierigkeits­skala steht die Aufgabenstellung von Fox& Routh(1975). Kinder im Alter zwischen 3 und 7 Jahren sollten schritt­weise(für eine Rosine) immer einen kleineren Teil eines Wortes nennen. Der Versuchsleiter gab solange wieder das Rudiment des Wortes vor, bis es in alle Silben- oder Phonemsegmente auf­gelöst worden war. Mit dieser Hilfestel­lung und ständiger Rückmeldung waren bereits Dreijährige in der Lage, Phone­me zu isolieren und schon im Alter von sechs bis sieben war das Leistungsmaxi­mum bei der sog.Phonemsegmentie ­rung erreicht. Hierbei handelt es sich jedoch offensichtlich um die einfachere Anlautisolierung(vgl. Ehri, 1979).

Der Vergleich beider Aufgabenstellun­gen macht die Abhängigkeit der Ergeb­nisse von der verwendeten Operationali­sierung phonemischer Bewußtheit deut­lich.

Die Leistung der Vpn bei den verschie­denen Aufgaben zur Sprachbewußtheit ist unabhängig von der Größe des Seg­ments, das analysiert werden soll.

UnterPhonemische Bewußtheit wer­den in der Forschungsliteratur eine Rei­he von Aufgaben gefaßt, deren Analyse­einheiten nicht das Phonem, sondern das Wort oder die Silbe sind. Da es sich bei diesen Aufgaben um ganz unter­schiedliche Anforderungen handelt, soll dem Gebrauch des Oberbegriffes Sprachbewußtheit(linguistic. aware­ness, vgl. Ehri, 1979) der Vorzug gege­ben werden.

Golinkoff(1978) schlägt vor, die Schwierigkeit solcher Aufgaben in bezug zur Größe der Spracheinheit zu setzen, die analysiert werden soll. Nach ihrer Meinung geht die Richtung zunehmen­der Schwierigkeit von der Segmentie­rung eines Satzes in seine einzelnen Wör­ter über die Segmentierung eines Wortes in Silben zur Segmentierung des Wortes in seine Einzellaute. Die postulierte Rei­henfolge findet ihre Bestätigung in den Ergebnissen von Fox& Routh(1976).

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG

Allerdings gibt es einige Vorbehalte ge­gen ihre Art der Aufgabenstellung: Bei der Wortsegmentierung hörte jedes Kind einen Satz und sollte dann nicht den ganzen Satz, sondern nur einen Teil von ihm nennen. Der Versuchsleiter be­stimmte genau, wann die Analyse voll­ständig war: solange bis alle Wörter iso­liert waren, gab er die vom Kind geäu­ßerten Satzrudimente vor. Den Kindern fiel dies leichter als die gleiche Aufgabe, wenn es um Silben- oder Phoneme ging (s.o.). Es bleibt jedoch fraglich, ob durch dieses stark gelenkte Verfahren Wort-Bewußtheit überhaupt erfaßt werden konnte.

Kritik an Golinkoffs Schwierigkeitsskala kommt von Ehri(1979). Danach han­delt es sich bei der Satzin-Wort-Segmen­tierung um eine ungleich schwierigere Aufgabe als bei der Silbensegmentierung und das aus denselben Gründen, die auch für die Schwierigkeit der Phonem­synthese verantwortlich sind:

Die Aufmerksamkeit jüngerer Kinder ist auf die Bedeutung von Wörtern und Sätzen gerichtet, nicht auf ihre phonemische bzw. syntaktische Struktur.

Wie bei der Phonemsegmentierung (aber im Gegensatz zur Silbensegmen­tierung) fehlt ein akustisches Signal in der Sprache, das die Grenzen zwi­schen den Segmenten markiert.

Diese Probleme zeigen sich an den cha­rakteristischen Fehlern, die Fünf- und Sechsjährige bei der Satzin-Wort-Seg­mentierung machen. Wörter mit zentra­ler Bedeutung werden zwar oft richtig isoliert, Funktionswörter dagegen mit vorangehenden Einheiten des Satzes ver­mischt(Holden& MacGinitie, 1972).

Die Schwierigkeit von Operationalisie­rungenPhonemischer Bewußtheit ist rein empirisch festzustellen. Lewkowicz (1980) schlägt vor, die Schwierigkeits­staffelung aufgrund bereits vorliegender emp. Ergebnisse vorzunehmen: Die An­lautbestimmung ist als einzige unter den oben beschriebenen Aufgaben leich­ter als die Basisaufgaben der phonemi­schen BewußtheitPhonemanalyse- undsynthese. Sie könnte damit in Trainingsprogrammen zur Vorbereitung

Band XVI, Heft 1, 1990

letzterer dienen. Dieser Vorschlag wäre noch zu ergänzen(vgl. oben): Satzin­Wort-Segmentierung erscheint hierfür als ungeeignet. Ob die Silbensegmentierung eine Alternative wäre, bliebe noch zu zeigen.

Die Aufgabenschwierigkeit ist abhängig von der Anschaulichkeit der Aufgaben­stellung.

Visuelle Hilfen, wie sie in der Elkonin­Methode(Elkonin, 1964) Verwendung finden, stellen eine starke Vereinfa­chung für die Aufgabe der Synthese und Analyse auf Phonemniveau dar(vgl. Lewkowicz& Low, 1982). Bei diesem Verfahren werden die Laute des Wortes durch aufgezeichnete Kästchen darge­stellt. Das Kind spricht das zu analysie ­rende Wort und legt dabei für jedes Pho­nem eine Spielmarke in das dafür vorge­sehene Kästchen(von links nach rechts). Zu der visuellen kommt hierbei noch die akustische Veranschaulichung durch das Dehnsprechen. Das Kind spricht das Wort langsam und gedehnt aus und hat so Gelegenheit, die Veränderung der ar­tikulatorischen Merkmale zwischen den einzelnen Phonemen zu beobachten (Zhurova, 196364).

Zusammenfassend können drei Kriterien für die Aufgabenschwierigkeit herange­zogen werden: 1) Alter der Vpn;2) Art der OperationalisierungPhonemischer Bewußtheit nach Lewkowicz(1980); 3) Grad der Veranschaulichung der Auf­gaben.

Die Einbettung phonemischer Bewußtheit in ein Leselernmodell

ist notwendig

Dem AnsatzPhonemische Bewußtheit fehlt der Bezug zu einem Leselernpro­zeßmodell, vor dessem Hintergrund Er­gebnisse interpretiert werden könnten. Folgende Vorschläge zu einer veränder­ten Konzeption des Forschungsansatzes werden gemacht:

1. Der veränderten Rolle der phonemi­schen Bewußtheit im Verlauf des Lese­lernprozesses sollte Rechnung getragen werden.

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