Allgemeine Beiträge
Profile von Leistungsrandgruppen
in der 1. Jahrgangsstufe‘
Von Gerhard Treinies
Die vorliegende Erkundungsstudie befaßt sich mit den Über- und Unterforderungen der Leistungsrandgruppen in der 1. Jahrgangsstufe. Die Datenerhebung erfaßte die Extremgruppen(N=5) in 10 Klassen und erfolgte für die Lernbereiche Lesen, Rechtschreiben und Mathematik. Sie erstreckte sich auf die Grundleistungen(Anforderungen für die 1. Jahrgangsstufe) sowie auf„höhere Leistungen‘(Anforderungen nachfolgender Jahrgangsklassen). Die Ergebnisse zeigen, daß schwache Schüler schon in den Grundleistungen weitgehend versagen, während die leistungsstarken in hohem Maße auch ‚‚höhere Leistungen‘ bewältigen. Das Leistungsniveau beider Gruppen wird durch die Klassenzugehörigkeit stark beeinflußt. Dieser Einfluß reicht bis zu Niveauüberschneidungen zwischen den Klassen. Die mit Hilfe der Konfigurationsfrequenzanalyse untersuchten intraindividuellen Leistungsprofile deuten darauf hin, daß die Leistungsgüte eher genereller als partieller Art ist.
This exploratory study investigates the overcharging and undercharging of low-ability and high-ability extreme-groups(N= 5) in 10 first grade classes. The data of basic-achievements(objectives of the first grade) and“higher achievements”(objectives of the consecutive grades) from reading, spelling and mathematics were analysed. The findings suggest that the low-ability groups were largely not able to master even the basic-achievement-targets. The high-ability groups in comparison could solve a lot of“higher achievement”” items. The achievement-levels of both groups were influenced by class effects. It was furthermore found that class effects partly led to level-overlaps between the classes. The results of the configuration frequency analysis imply that the quality of achievement seems to be more of a general than of a partial sort.
Der Lehrplan für die bayerischen Grundschulen umreißt— ähnlich wie die Konzeptionen anderer Bundesländer— relativ differenziert die Leistungen, die Schüler am Ende der ersten Jahrgangsstufe aufweisen sollen. Insbesondere für die kognitiven Lehrzielbereiche des grundegenden Unterrichts wird erkennbar, daß sich die zusammengestellten Operationalisierungen an fiktiven Durchschnittsschülern orientieren. Es wird aber betont, daß zur bestmöglichen Förderung des einzelnen Schülers neben dem Unterricht, der sich an die ganze
1 Dieser Artikel basiert auf der Untersuchung: Rabenstein, R., Schorch, G.& Treinies, G.(1989). Leistungsunterschiede im Anfangsunterricht. Nürnberg: Institut für Grundschulforschung der Universität Erlangen-Nürnberg.
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Klasse richtet, Formen der Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit treten sollen. Für gezielte Fördermaßnahmen können auch Gruppen mit wechselnden Zusammensetzungen gebildet werden; allerdings:„Leistungsklassen oder Leistungskurse sind in der Grundschule nicht zulässig‘(KMBlI 20/1981, S. 551).
Den Lehrplangestaltern war bewußt, daß beispielsweise die Streuungsbreite der Leistungen im Fach Deutsch besonders groß und es deshalb unerläßlich ist,„die Sprache des einzelnen Kindes sorgfältig zu beobachten und individuell zu fördern“(S. 554). Die individuelle Förderung ist dabei in Mathematik etwa so zu gestalten, daß Begabungs- bzw. Leistungsunterschiede berücksichtigt werden, aber keineswegs zur Bildung starrer Lerngruppen führen(S. 589). Generell ver
traut man offensichtlich der Fähigkeit des Lehrers, Leistungsunterschiede in der Jahrgangsklasse mit Hilfe von Maßnahmen der inneren Differenzierung didaktisch angemessen zu berücksichtigen. Jedoch liegen kaum quantifizierte Erfahrungswerte über tatsächliche, auf Lehrplanvorgaben bezogene Leistungsunterschiede in Anfangsklassen vor.
Individualisierung bzw. Differenzierung setzen in diesem Zusammenhang natürlich voraus, daß man schon vor der Einschulung in der Lage ist, die kognitiven, sozialen, emotionalen und motorischen Lern- und Entwicklungsstände hinreichend valide und verläßlich zu erfassen, um eine fundierte Beurteilung der Schulfähigkeit zu ermöglichen und um gegebene einzelne Defizite gleich zu Schulbeginn ausgleichen zu können. Weiterhin
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 3, 1990