Klaus Sarimski& Peter K. Warndorf- Verhaltensdisposition geistigbehinderter Kinder
sitionen zusammen mit dem Entwicklungsquotienten einen bedeutsamen Beitrag zum Grad der von den Eltern erlebten Belastung darstellen, die gewichtiger ist als das Entwicklungsniveau oder gar das Alter der Kinder.
Interpretation
Geistigbehinderte Kinder werden hinsichtlich ihrer individuellen Eigenarten keineswegs als generell auffälliger oder schwieriger erlebt als gesunde Kinder. Offensichtlich kommt es zu einer Anpassung der elterlichen Erwartungen an das Verhalten der Kinder. Dabei ist die Beurteilung der Eltern durchaus realitätsbezogen. So zeigt sich z.B., daß stärker behinderte Kinder als weniger ausdauernd und schwächer in ihren Reaktionen erlebt werden, wie es auch als Ausdruck der niedrigen Kompetenz der Kinder zu vermuten wäre.
Eine geringere Ausdauer der Kinder bei eigenständigen Tätigkeiten scheint ein
Literatur
spezifisches Merkmal geistigbehinderter Kinder dieser Altersgruppe zu sein. Sie wird als geringer erlebt als bei entwicklungsmäßig vergleichbaren gesunden Kindern und als abhängig vom Grad der Behinderung. In dieser Hinsicht bestätigen sich die Ergebnisse einer Studie zur„Ausdauer bei herausfordernden Aufgaben“, die Schwethelm& Mahoney(1986) nach Verhaltensbeobachtungen geistigbehinderter Kinder vorlegten,
Der Realitätsbezug der elterlichen Einschätzungen zeigt sich auch in den Antworten zu der subjektiv erlebten Belastung. Je stärker die Behinderung ist, umso unselbständiger werden die Kinder gesehen und umso pessimistischer sind die Zukunftserwartungen der Eltern.
Der Grad der Behinderung ist nicht der allein ausschlaggebende Faktor für die familiäre Belastung. Hier sind individuelle Dispositionen der Kinder wie die Reaktion auf Reizangebote, die Bereitschaft, auf etwas einzugehen, die Ablenkbarkeit und Ausdauer der Kinder ebenfalls wichtig. Diese kindlichen Merk
male sollten somit als Belastungsfaktoren ebenso gewürdigt werden wie das Niveau der Verständigungsfähigkeit der Kinder, die psychische Belastbarkeit der Eltern, ihr partnerschaftlicher Zusammenhalt oder ihre Einbindung in ein soziales Netzwerk.
Für die Praxis der Arbeit mit Familien behinderter Kinder in Frühförderstellen und sozialpädiatrischen Einrichtungen stellen diese Ergebnisse einen Aufruf dar, im Einzelfall Hilfen zu geben zur Anpassung ihres interaktiven Verhaltens an die besonderen Schwierigkeiten, die die Kinder haben, z.B. an ihre Zurückhaltung vor Neuem, ihre leichte Ablenkbarkeit oder niedrige Ausdauer. Das dort verwendete diagnostische Instrumentarium sollte um entsprechende Beurteilungsmaße wie die TTQ erweitert werden, um gezielte Indikationen stellen zu können für solche interaktionsorientierten Hilfen und auf diese Weise die Belastung der Eltern, die das Leben mit einem behinderten Kind mit sich bringt, dauerhaft zu erleichtern.
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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990