Krankenpädagogik im Spannungsfeld von medizinischen und pädagogischen Disziplinen
Von Jens Wienhues
Die Bestimmung der Position der Krankenpädagogik in Vergangenheit und Gegenwart läßt die Verwiesenheit dieses pädagogischen Teilbereichs auf den jeweils geltenden medizinischen Krankheitsbegriff aufscheinen. Die Lokalisierung ihrer Institutionen innerhalb der medizinischen, die Identität ihrer Adressaten, die Gleichzeitigkeit der Interaktionen mit der Medizin lassen eine Emanzipation von dieser nicht zu. Gerade aber diese Situation zwingt zu kritischer Auseinandersetzung mit der Medizin.
Past and present definitions of what a pedagogical approach to illness is or can be differ widely and show that this field of pedagogy is closely connected to the medical definition of illness as used at a certain time. The institutions where such an approach takes place are to be found within the medical institutions, the clientele is the same, medical and pedagogical steps are taken at the same time, so consequently medical and pedagogical approach cannot be separated. This very fact however makes it necessary to deal critically with medicine and the medical approach.
In der öffentlichen Diskusion wird bis heute vielfach die Meinung vertreten, daß sich die Krankenpädagogik sozusagen im Sinne einer Spezialisierung aus der Heilpädagogik, und diese sich wiederum auf dem gleichen Wege aus der Allgemeinpädagogik entwickelt habe. Diese Ansicht vertritt auch Theis(1989, 175) in seinem Versuch einer Neubestimmung der Krankenpädagogik. Er führt aus:„Es ist daher naheliegend und notwendig, bei der Bestimmung des Standortes der Krankenpädagogik innerhalb der Pädagogik mit der Klärung der Bezüge zu Sonder- und Heilpädagogik zu beginnen. Dieses Vorhaben gestaltet sich allerdings schwierig, denn eine zumindest weitgehend anerkannte Abgrenzung der Begriffe ‚Sonderpädagogik‘, ‚Heilpädagogik‘ und ‚Behindertenpädagogik‘ existiert nicht, geschweige denn eine allgemein akzeptierte Systematik.‘“
Im Folgenden soll anhand einer historischen und zeitgeschichtlichen Skizzie
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rung der Krankenpädagogik versucht werden, einen Beitrag zu diesem Vorhaben zu leisten. Daneben werden die Beziehungen der Krankenpädagogik zu Sonder- und Allgemeinpädagogik wie zur Medizin hinsichtlich der von Theis geäußerten Ansichten hinterfragt.
Krankenpädagogik in historischer Sicht
Medizin und Pädagogik arbeiten mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Methoden mit„hilfsbedürftigen“ Menschen in einem Spannungsfeld von leiblich-geistigen Naturvorgängen und gezieltem,„hilfreichem“‘* Eingreifen durch Spezialisten. Dabei kommt es gelegentlich zu Überschneidungen und Abgrenzungsproblemen.
Im Mittelalter waren die christlichen Klöster gleichzeitig theologische, medi
zinische(Spitäler), pädagogische(Klosterschulen) und soziale Institutionen. Die später folgende Emanzipation von Medizin, Pädagogik und der Armenhilfe von Theologie und Kirche, die auch heute noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden darf, sowie die Übernahme vieler Institutionen in staatliche Verantwortung und öffentliche wie private Trägerschaft spannt einen Rahmen auf, innerhalb dessen sich im Laufe der Zeit immer neue Initiativen und Institutionen ansiedelten.
Vereinfacht kann man sagen, daß das Betätigungsfeld für diese um so größer wurde, je weiter sich die vier Eckpunkte (Theologie, Medizin, Pädagogik und Sozialwissenschaften) voneinander entfernten. Innerhalb dieses Feldes sind exakte Abgrenzungen kaum möglich, nicht zuletzt deshalb, weil gewöhnlich Aspekte der Fürsorge, der Pflege, des Heilens und der Erziehung im Zusammenhang mit den transzendentalen Vorstellungen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XVI, Heft 4, 1990