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Entwicklungsdysphasie—
kein einheitliches Konstrukt*
Von Hannelore Grimm
Es geht um den Versuch, über klassifizierende Beschreibungsmethoden Subgruppen dysphasisch sprachgestörter Kinder voneinander abzugrenzen.
Die Datengrundlage bilden die beim Heidelberger Sprachentwicklungstest(H-S-E-T) erzielten Leistungsprofile von 90 Kindern im Alter zwischen 4;3 und 12;7 Jahren. Als Ergebnis wird eine Klassifikation der Kinder in 5 Subgruppen beschrieben, wobei deutlich wird, daß sich die Kinder der unterschiedenen Gruppen nicht nur in ihrem erreichten Leistungsniveau sondern auch darin unterscheiden, welche Sprachkomponenten Defizite aufweisen.
Als methodisch bedenkenswerter Befund wird herausgestellt, daß es nicht ausreichend sein kann, für eine problemzentrierte Subgruppenbildung dysphasischer Kinder allein auf clusteranalytischer Grundlage eine Klassifizierung vorzunehmen.
An attempt to differentiate subgroups of children with developmental dysphasia applying descriptive methods of classification is reported. 90 children between the ages of 4,3 and 12;7 were given the Heidelberger Language Development Test(H-S-E-T). On the basis of these profiles, the classification of the children in 5 subgroups is described, it is clearly shown that not only do the children in the differentiated groups differ in their attained level of performance but they display specific language deficits as well.
Methodologically, it is pointed out that it cannot be sufficient to make a classification merely by using cluster analyses.
Kinder, die eine spezifische Sprachentwicklungsstörung aufweisen, werden häufig als dysphasisch bezeichnet(vgl. u.a. Grimm 1988 und in diesem Heft; Stark & Tallal 1981; Wyke 1978). Mit der Abgrenzung der Entwicklungsdysphasie von anderen Formen gestörter Sprache und von Sprachstörungen anderer Genese ist indessen noch nicht sichergestellt, daß die Entwicklungsdysphasie ein einheitliches Störungsbild repräsentiert. Im Gegenteil lassen schon die relativ weitgefaßten Definitionen vermuten, daß dieses Bild eher heterogener Natur ist. Als deren gemeinsamen Nenner läßt sich festhalten, daß ein Kind dann als entwicklungsdysphasisch zu bezeichnen ist, wenn es schwerwiegende Probleme mit der Produktion und/oder dem Verstehen ge
* Dipl.-Psych. Frank Wieland danke ich sehr herzlich für seine Mitarbeit bei der Datenauswertung.
sprochener Sprache aufweist, die weder mit Hörschädigungen, schwereren neurologischen Schädigungen, emotionalen Störungen oder geistiger Minderbegabung in Zusammenhang stehen.
Den empirischen Nachweis, daß Kinder, die entsprechend dieser Definition ausgewählt wurden, unterschiedliche Leistungen bei Sprachtests zeigen, haben Stark& Tallal(1981) erbracht, was sie zu dem Schluß veranlaßte, daß es sich bei dem Begriff der Entwicklungsdysphasie oder auch des spezifischen Sprachdefizits um eine irreführende Klassifikation handle. Allerdings war ihre Testbasis viel zu eingeschränkt, um eine alternative Klassifikation vorschlagen zu können. Mit seltener Einhelligkeit stimmen Forscher und Praktiker darin überein, daß für die Entwicklungspsychopathologie im allgemeinen wie für die Sprachentwicklungsstörungen im besonderen die Definition intern valider und reliabler
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989
Subgruppen von großem theoretischen und klinisch-praktischen Nutzen ist(vgl. u.a. Amorosa 1984; Cole& Dale 1986; Ludlow 1980; Stark& Tallal 1981).
Nach spezifischen Sprachstörungsmustern definierte Gruppen lassen u.a. die Untersuchungen der folgenden Fragestellungen zu(vgl. hierzu auch Wilson& Risucci 1986): Sind Störungsmuster stabil in dem Sinne, daß Kinder einer Subgruppe auch im weiteren Entwicklungsverlauf in dieser Gruppe bleiben? Oder erfolgt ein systematischer Wechsel zwischen den Gruppen? Wenn ja, welche Richtung nimmt dieser Wechsel? Verhält es sich so, wie Aram& Nation(1975) vermuten, daß die Kinder von einer Stufe des generellen Sprachdefizits zu einer Stufe des spezifischeren Sprachausfalls fortschreiten? Ein zweiter Fragekomplex ist auf die Beziehung sprachlicher und nicht-sprachlicher kognitiver Fähigkeiten bezogen: Welche kognitiven Defizite
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