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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Mütterliche Sprache und Sprachverarbeitung

dysphasischer Kinder

Von Hannelore Grimm und Sabine Weinert

Im Rahmen einer Längsschnittstudie mit acht dyspha­sischen Kindern im Alter zwischen 3;9 und 4,8 Jah­ren und acht sprachunauffälligen Kindern im Alter zwischen 2;6 und 3;0 Jahren wurden drei Fragestel­lungen untersucht:(1) In welcher Weise unterschei­det sich die syntaktische Entwicklung der Kinder? (2) Besteht ein kausal interpretierbarer Zusammen­hang zwischen den Sprachdefiziten dysphasischer Kinder und spezifischen strukturellen und interak­tionalen Aspekten der Umweltsprache?(3) Unter­scheiden sich die dysphasischen und die normalen Kinder in ihren Sprachverarbeitungsstrategien? Aus den Ergebnissen läßt sich schließen, daß die syntak­tische Entwicklung dysphasischer Kinder nicht nur verzögert, sondern auch abweichend verläuft. Eine kausale Beziehung zwischen dem syntaktischen Defi­zit der dysphasischen Kinder und den untersuchten Merkmalen der mütterlichen Sprache konnte indes nicht festgestellt werden. Die Daten weisen vielmehr in die Richtung, daß die abweichenden Sprachstruk­turen der dysphasischen Kinder aus dem Einsatz un­zureichender Sprachverarbeitungsstrategien resultie­ren. Eine Zweistufentheorie der Sprachentwicklung wird als Erklärungsrahmen vorgeschlagen.

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Two groups of children with comparable levels of language development were examined in a longitudi­nal study: eight dysphasic children, ages 3;9 to 4;8 years; and eight children, ages 2;6 to 3;0 years, who showed normal language development. Three main questions were investigated:(1) In which respects is the dysphasic childrens syntactic development dif­ferent from the development observed in the normal controls?(2) Can the language deficits of the dys­phasic children be traced back to specific structural and interactional aspects of the language input? (3) Do the two groups of children differ in their language-processing strategies? The findings suggest that the dysphasic childrens syntactic development is not only delayed but also deviant. No causal rela­tionship to the input language could be established. Instead, the data suggest that the dysphasic childrens deviant language structures are the result of insuffi­cient language-processing strategies. A two-stage theory of language development is proposed.

Obgleich die Erforschung von Sprach­entwicklungsstörungen im letzten Jahr­zehnt in einem erfreulichen Maße zuge­nommen hat, sind dennoch wichtige Fra­gen nach wie vor ungeklärt. Wenn wir uns hier auf die dysphasische Sprachent­wicklungsstörung beschränken, so läßt sich feststellen, daß wir immer noch nicht genau wissen, welche Sprachkom­ponenten wie gestört sind, welche Ver­änderungen diese im Laufe der Entwick­lung erfahren, und vor allem auch: wel­che Ursachen für diese Störung verant­wortlich gemacht werden können.

Die vorliegende Untersuchung will zu

einer weiteren Klärung dieser Probleme

beitragen, wobei die folgenden drei Fra­

gen zentral sind:

1. Ist die syntaktische Entwicklung dysphasischer Kinder lediglich verzö­gert oder auch qualitativ abweichend?

2. Können die Sprachdefizite dysphasi­scher Kinder auf spezifische struktu­relle und interaktionale Aspekte des mütterlichen Sprachangebots zurück­geführt werden?

3. Unterscheiden sich dysphasische Kin­der von sprachunauffälligen Kindern in ihren Sprachverarbeitungsstrate­gien?

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

Was die erste Frage betrifft, so läßt sich die verzögerte von der abweichenden Sprachentwicklung in der folgenden Wei­se abgrenzen: Verzögert ist die Sprach­entwicklung dann, wenn das Kind später als normale Kinder beginnt, die Sprache überhaupt zu erwerben und/oder in sei­nem nachfolgenden Entwicklungsprozeß langsamere Sprachfortschritte erzielt. Abgesehen von diesen rein zeitlichen Verzögerungen vollzieht sich der Sprach­erwerbsprozeß jedoch in der grundsätz­lich gleichen Weise wie die normale Sprachentwicklung. Die abweichende Sprachentwicklung ist demgegenüber

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