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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Hannelore Grimm& Sabine Weinert- Mütterliche Sprache und Sprachverarbeitung dysphasischer Kinder

verzögerten Sprachbeginn, indem sie erst zwischen 2;6 und 3;0 Jahren erste ein­fache Zweiwortsätze produzierten. Auch hatten sie alle Artikulationsprobleme, wiesen jedoch weder Hörschädigungen noch nachweisbare neurologische Schä­digungen auf. Ihre nicht-verbale Test­intelligenz, so wie diese mittels des Snij­ders-Oomen(S.O.N., Snijders& Snij­ders-Oomen 1974) gemessen wird, war durchschnittlich bis überdurchschnitt­lich(durchschnittlicher IQ-Wert: 113, s=22). Zu Beginn der Untersuchung wurde ihr_Sprachentwicklungsstand durch die folgenden Merkmale charak­terisiert(vgl. hierzu: Tabelle 1):

(1) Durchschnittliche Anzahl von Wör­tern pro Satz(DAWS): 3.81;

(2) durchschnittliche Komplexität der Nominalphrasen: 1.75;

(3) durchschnittliche Komplexität der Verbalphrasen(wobei fehlende ob­ligatorische Verben den Punktwert 0 erhielten): 1.00.

Zu diesen acht sprachgestörten Kindern, die wir als dysphasisch bezeichnen, wur­de eine Kontrollgruppe von ebenfalls acht Kindern ohne Sprachprobleme ge­bildet; wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, beziehen sich die Parallelisierungsmerk­male auf die nichtsprachliche Intelli­genz, das Geschlecht, den sozialen Sta­tus sowie den Sprachentwicklungsstand. Gerade dieses letzte Merkmal bedingt, daß die Kinder der Kontrollgruppe mit einem durchschnittlichen Alter von 2;6 Jahren(Bereich: 2;12;11 Jahre) er­heblich jünger als die dysphasischen Kin­der sind.

Untersuchungsvorgehen

Alle Kinder wurden während eines Jah­res viermal im Abstand von je 4 Monaten untersucht. Die Beobachtungen fanden jeweils zuhause bei den Kindern statt. Zu jedem Untersuchungszeitpunkt wur­den etwa einstündige Videoaufnahmen der Mutter-Kind-Interaktionen in halb­strukturierten Situationen durchgeführt. Die Mütter wurden aufgefordert, mit ihren Kindern vorgegebene Bilderbücher zu betrachten und darüber zu erzählen;

Tabelle 1: Stichproben der normalen und dysphasischen Kinder.

dysphasische Kinder

normale Kinder

N=8 N=8

Alter 4;2 2;6 (3;9- 4;8)(2;1- 2311)

Geschlecht Em; 2 w 6m; 2 w 10° (nicht-verbal- 113 116 S.0.N)J(s= 22)(s= 9) Stammeln alle keines durchschnittliche Anzahl der Wörter 3.81 3.46 pro Satz(3.22- 4.41)(2.96- 3.90) durchschnittliche 1.75 1.70 Komplexität der(1.40- 1.89)(1.45- 1.92) Nominalphrasen durchschnittliche 1.00 1.04 Komplexität der(0.82- 1.07)(0.92- 1.18) Verbalphrasen

a Mittelwerte und Bereich.© Mittelwerte und Standardabweichung.

weiter wurde ihnen Spielzeug für ein ge­meinsames Spiel vorgelegt, und schließ­lich sollten sie so miteinander spielen, wie sie es gewohnt waren. Zu den verschie­denen Untersuchungszeitpunkten wur­den mit den Kindern noch unterschied­liche Aufgaben zur Erfassung des kogni­tiven Leistungsstandes sowie der Heidel­berger Sprachentwicklungstest(H-S-E-T, Grimm& Schöler 1978) durchgeführt (vgl. hierzu: Grimm 1983, 1986 b).

Analysen der Mutter-Kind­Interaktionen

Alle sprachlichen Äußerungen der Müt­ter und der Kinder wurden transkribiert und den folgenden vier Analysen unter­zogen:

1. Syntaktische Beschreibung der kind­lichen Sätze. Hierbei kam es insbeson­dere auf die verwendeten unterschiedli­chen Wortordnungen an.

2. Entsprechende syntaktische Beschrei­bung der mütterlichen Sätze.

Da bei diesen beiden Analysen allein die syntaktischen Muster interessierten, wur­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

den hierfür ausschließlich Korpussätze, d.h. Sätze, die mindestens eine minimale Struktur aufweisen, in die Auswertung einbezogen. Sowohl die dysphasischen wie auch die normalen Kinder produzier­ten durchschnittlich 196 Korpussätze; die Mütter produzierten sehr viel mehr, nämlich durchschnittlich 529. Wichtig ist, daß weder der Unterschied zwischen den D- und N-Müttern noch der Unter­schied zwischen den dysphasischen und den normalen Kindern signifikant ist (p>.35). Im Gegensatz zu den beiden ersten Analysen beruhten die beiden fol­genden auf Sprecherwechseln, auch als Turns bezeichnet. Durchschnittlich wie­sen die 16 Dyaden je 480 Turns für die Mütter wie für die Kinder auf, wobei wiederum kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt wer­den konnte(p>.50).

3. Beschreibung der Sprachlehrstrategien der Mütter.

Hierbei wurde die folgende Differenzie­rung eingeführt, die sich in der Literatur bewährt hat(vgl. Hoff-Ginsberg 1985; Nelson 1977): Aufgreifen kindlicher Äu­ßerungen und Wiederholung/Extension

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