Hannelore Grimm& Sabine Weinert- Mütterliche Sprache und Sprachverarbeitung dysphasischer Kinder
eigener(=mütterlicher) Äußerungen. Beide Strategien sind geeignet, die Systematik von Satzmustern zu demonstrieren. Denn in allen Fällen werden in zeitlicher Nähe syntaktische Informationen vorgegeben, die für die Kinder deshalb prägnant werden können, weil nicht auch gleichzeitig größere semantische Veränderungen vorgenommen werden. Durch den Vergleich der Äußerungen wird so den Kindern ermöglicht, syntaktische Regelmäßigkeiten zu erkennen. 3.1 Teilweise oder vollständige Imitation, Korrektur und Transformation der unmittelbar zuvor erfolgten kindlichen Äußerung. Beispiele: a) Mutter(M) imitiert/korrigiert ein einzelnes
Wort/eine einzelne Phrase
Kind(K): Da ist ein Polizist.
M imitiert: Ein Polizist, ja.
M korrigiert: Nein, ein Soldat.
Mutter imitiert/korrigiert mehr als eine
Phrase
K: Ein Ball im Korb liegt.
M imitiert: Ja, ein Ball— im Korb.
M korrigiert: Ja, ein Ball liegt im Korb.
Mutter transformiert die ganze kindliche
Äußerung ohne/mit Korrektur
K: Der wieder fahren? M transformiert und korrigiert: K: M transformiert
Ja, der fährt wieder. Kann der wieder fahren?
Ohne Korrektur: Ja, der kann wieder fahren.
3.2 Teilweise oder vollständige Wiederholung und Extension der eigenen zuvor gemachten Äußerung Beispiele: Selbst-Wiederholung: M: Du kannst die Tassen hierher stellen. Die Tassen. Selbst-Extension: M: Du kannst die Tassen hierher stellen. Du
kannst die Tassen hier in den Schrank stellen.
4. Beschreibung der kindlichen Sprachverarbeitungsstrategien mit den folgenden drei Hauptstrategien:
a) Das Kind nimmt aus der unmittelbar zuvor erfolgten mütterlichen Äußerung ein Wort oder eine Phrase auf.
Beispiel:
M: Sollen wir in den Garten gehen?
K: Garten.
b) Das Kind nimmt mehr als ein Wort oder eine Phrase auf; hier sind drei Teilstrategien bedeutsam:
18
Tabelle 2: Zusammenstellung der von den normalen und dysphasischen Kindern produzierten
Sätze(Mittelwerte und Bereich)?.
dysphasische Kinder
Satzmuster N= 8
(a)% Korpussätze
(b)% Sätze mit Verb/SubjektEndstellung aus(a)
(c)% falsche
Sätze mit Verb/ Subjekt-Endstellung aus(b)
U-Test (Mann-Whitney, zweiseitig)
normale Kinder N=8
34.6 (24- 42)
42.0 (21- 60)
4 auf Korpussätze bezogen(M= 196). ns: nicht signifikant(p>.10).
Vollständige Imitation : Der hat ein Rad verloren. : Der hat ein Rad verloren. Auslassung : Der hat ein Rad verloren. : Rad verloren. Modifikation : Wir wollen ein Schloß bauen. : Wir bauen Schloß.
c) Das Kind transformiert die mütterliche Äußerung.
Beispiel:
M: Ist das dein Ball?
K: Ja, das ist mein Ball.
Ergebnisse
Verzögerte versus abweichende Sprachentwicklung
Bei unserem Versuch, einen Beitrag zur Lösung des strittigen Problems zu leisten, ob die Entwicklungsdysphasie lediglich eine verzögerte oder auch eine abweichende Form der Sprachentwicklung darstellt, zentrieren wir auf die Antworten zu den folgenden zwei Fragen: Erstens, ob die dysphasischen Kinder syntaktische Formen bilden, die bei normalen Kindern nicht oder nur selten zu beobachten sind; und zweitens, ob die dysphasischen und die normalen Kinder
sich im weiteren Verlauf ihrer Sprachentwicklung unterscheiden. Während die erste Frage auf die Abweichung gerichtet ist, steht hier bei der zweiten die quantitative Verzögerung im Vordergrund. Da einige der einschlägigen Daten schon an anderer Stelle berichtet wurden(Grimm 1987), beschränken wir uns hier auf eine kurze Darstellung der Hauptbefunde (vgl. Tabelle 2).
Der Tabelle 2 ist zu entnehmen, daß 69% der von den dysphasischen Kindern produzierten Sätze einem einzigen Satzmuster angehören, bei dem das Verb oder das Subjekt am Ende stehen. In 75% der Fälle weicht diese Wortordnung von der Standardsprache ab. Und dies heißt, daß im Durchschnitt 53% der von den dysphasischen Kindern produzierten Sätze eine falsche Wortordnung aufweisen. Im Vergleich dazu bildeten die jüngeren Kinder der Kontrollgruppe im Durchschnitt 42% ihrer Sätze mit Subjekt- oder Verb-Endstellung, wovon indes nur 28% als inkorrekt zu beurteilen sind. Entsprechend gilt für alle spontan produzierten Sätze, daß lediglich 11% eine inkorrekte Subjekt- oder VerbEndstellung aufweisen.
Zu diesem quantitativen Unterschied kommt nun aber noch ein wichtiger qualitativer Unterschied hinzu: Die von den
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989