Sabine Weinert et al.- Was macht sprachgestörten Kindern das Textverstehen so schwer?
Tabelle 1: Mittelwerte und Standardabweichungen der HSET-Testwerte für die dysphasische
Stichprobe. ”gute” Dysphasiker”®”schwache” Dysphasiker? (n= 8)(n= 8) Gesamt-T-Werte HSET 40 30 (4.2)(2.8) A: Satzstruktur“ 29 23 (6.2)(0.5) B: Morphologie 43 34 (5.7)(2.1) C: Satzbedeutung 38 20 (7.5)(5.6) D: Wortbedeutung 43 34 (8.8)(7.6) E: Interakt. Bedeutung 42 35 (3.1)(4.6) F: Integrationsstufe 43 31 (6.2)(5.9) 9 dysphasische Kinder mit besserem Gesamttestergebnis
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nisse mit T-Werten von 41, 44, 48 noch im Normalbereich.
(2) Alle 16 Kinder weisen deutliche Defizite im satzstrukturellen Bereich A auf, der über die Untertests ‚Verstehen‘ und ‚Imitation sprachlicher Strukturformen‘ operationalisiert ist. Die T-Werte liegen zwischen 17 und 36.
(3) Die satzstrukturellen Defizite sind bei allen 16 Kindern ausgeprägter als die Probleme im morphologischen Bereich B, der über die Untertests ‚Plural-SingularBildung‘, ‚Bildung von Ableitungsmorphemen‘, ‚Adjektivableitung‘ operationalisiert ist. Die morphologischen Leistungen reichen mit T-Werten zwischen 31 und 52 immerhin bis in den Normalbereich hinein.
(4) Ebenso gilt für alle 16 Kinder, daß sie— verglichen mit ihren syntaktischen Fähigkeiten— über erheblich bessere sprachlich-pragmatische Fähigkeiten verfügen, wie diese durch den Bereich E der sogenannten interaktiven Bedeutung erfaßt werden. Spezifisch ist dieser Bereich über die Untertests ‚Benennungsflexibili
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dysphasische Kinder mit schwächerem Gesamttestergebnis T-Wert gemittelt über die entsprechenden HSET-Untertests(vgl. Text)
tät‘, ‚In-Beziehung-Setzung von verbaler und nonverbaler Information‘ sowie ‚Enkodierung und Rekodierung gesetzter Intentionen‘ operationalisiert. Die TWerte reichen hier von 32 bis 46.
(5) Neben syntaktischen Defiziten weist die Mehrheit der untersuchten Kinder auch Probleme im semantischen Bereich auf. 4 Kinder der besseren und 6 Kinder der schwächeren Gruppe haben offensichtliche Schwierigkeiten mit den Untertests ‚Wortfindung‘ und ‚Begriffsklassifikation‘, über die der Bereich D der Wortbedeutung operationalisiert ist. Ihr gemittelter T-Wert liegt in diesem Bereich unter 40. Und auf die Satzbedeutung(Bereich C) bezogen, gilt sogar, daß 5 der besseren und alle 8 schwächeren Kinder in den Untertests ‚Korrektur semantisch inkonsistenter Sätze‘ und ‚Satzbildung‘ gemittelte T-Werte unter 40 aufweisen.
Zu der Gruppe der dysphasischen Kinder wurde eine Kontrollgruppe sprachunauffälliger Erstklässler gebildet. Das Alter der Kinder betrug 7;04(Altersbereich:
6;10—7;07). Die Kinder waren normal intelligent und wiesen keine satzstrukturellen oder morphologischen Probleme auf; ihre Leistungen bei der Bearbeitung der Untertests ‚Verstehen sprachlicher Strukturformen‘, ‚Imitation sprachlicher Strukturformen‘ und ‚Plural-Singular-Bildung‘ lagen im Normalbereich.
Material
Es wurden zwei inhaltlich verschiedene Geschichten verwendet, die sogenannte Bauer- und Apfel-Geschichte. Beide lagen in je zwei Versionen vor— einmal mit ‚kohärenter‘ und einmal mit ‚inkohärenter‘ Geschichtenstruktur. Die ‚kohärente‘ Version ist durch eine komplexe hierarchische Handlungsstruktur gekennzeichnet. Dies gilt nicht für die ‚inkohärente‘ Version der jeweiligen Geschichte. Diese besteht zwar weitgehend aus den gleichen Sätzen wie die kohärente Version; durch Auslassung des Hauptziels und des wichtigsten instrumentellen Unterziels sowie durch Umordnung der einzelnen Handlungen sind diese jedoch nur noch durch zeitliche ‚und dann‘—Relationen verknüpft(vgl. Tabelle 2).
Bei der Bauer-Geschichte handelt es sich um ein schottisches Märchen, das schon in mehreren psychologischen Studien verwendet wurde(z.B. Glowalla 1983; Rumelhart 1977; Thorndyke 1977; Wimmer 1982). Für die vorliegende Untersuchung wurden beide Strukturversionen wörtlich von Wimmer(1982) übernommen. Die Apfel-Geschichte wurde als strukturgleiche ‚Parallel-Geschichte‘ entwickelt. Dabei wurde neben der Handlungsstruktur auch der Satzbau der Bauer-Geschichte übernommen und zudem versucht, ein vergleichbares inhaltliches und lexikalisches Schwierigkeits- und Anregungsniveau zu erreichen. Die Geschichten bestehen aus je 44 Aussagen, deren zentraler Inhalt in 18 ‚Handlungskonstituenten‘ zusammengefaßt werden kann(siehe unten); die kohärenten Versionen enthalten noch 2 zusätzliche Aussagen, nämlich das jeweilige Hauptziel sowie das wichtigste instrumentelle Unterziel.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989