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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Sabine Weinert et al.- Was macht sprachgestörten Kindern das Textverstehen so schwer?

Tabelle 7: Statistische Analysen der Anzahl reproduzierter Aussagen.

Tabelle 7.1: F-Werte der zweifaktoriellen Varianzanalysen

Bauer-Geschichte

Sprachstörung Geschichtenstruktur Sprachstörung x Struktur

dfj= 1, dfı= 28

Apfel-Geschichte

27:37. 7.72 0.17

#*= p<.l;#*= p<.05;#*#*#*= p<.01

Tabelle 7.2: F-Werte der Lateinischen Quadrate(Meßwiederholung)

Dysphasische Gruppe

Kontrollgruppe

Me

Geschichteninhalt

Geschichtenstruktur 2.89

Personen-Untergruppe

3.615. 6.36 0.01

dfj= 1, dfı= 14

#*= p<.l;#*= p<.05;##*#*= p<.01

der ‚Warum-Fragen nach den Hand­lungszusammenhängen bei kohärenter Geschichtenstruktur: Während in der Kontrollgruppe nur 5 der 16 Kinder je eine Frage fehlerhaft oder gar nicht be­antworteten, waren es in der dysphasi­schen Gruppe 10 Kinder, die insgesamt 15 falsche oder fehlende Antworten auf­wiesen. Dabei waren es stets Fragen nach hierarchie-niedrigen Handlungskon­stituenten, die den Kindern Probleme bereiteten; die Fragen nach übergeord­neten Handlungszusammenhängen wur­den stets korrekt beantwortet. Allerdings zeigte sich kein deutlicher Zusammen­hang zwischen der Beantwortung der Fragen und der Wiedergabeleistung: Die dysphasischen Kinder ohne Antwort­fehler gaben 10,7(resp. 12,1 inclusive unvollständige) Handlungskonstituenten wieder, die Kinder mit Antwortfehlern re­produzierten durchschnittlich 9,3(resp. 12) Konstituenten.

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung zeigt, daß dysphasische Kinder erhebliche Schwie­

rigkeiten bei der Verarbeitung und/oder Reproduktion längerer sinnvoller Texte haben. Dieser Befund steht in Einklang mit den Ergebnissen von Graybeal(1981). Nicht nur, daß die sprachgestörten Kin­der im Vergleich zu einer altersparalle­len Kontrollstichprobe sehr viel weniger Einzelaussagen reproduzieren können, zudem gelingt es ihnen auch nur in sehr begrenztem Maße, die zentralen, für das Verständnis notwendigen Inhalte wie­derzugeben. Dies gilt für die inkohärente wie für die kohärente Geschichtenstruk­tur und für die Bauer- wie für die Apfel­Geschichte. Obgleich sich die Apfel­Geschichte als schwieriger erwies, war es gerade diese Geschichte, bei der sich so­wohl bei den dysphasisch-sprachgestörten wie auch bei den sprachunauffälligen Kindern ein signifikanter Struktureffekt in dem Sinne nachweisen ließ, daß bei kohärenter Handlungsstruktur mehr Aus­sagen und zudem mehr zentrale Hand­lungskonstituenten reproduziert wurden; bei der einfacheren Bauer-Geschichte galt dies für die dysphasischen Kinder überhaupt nicht und für die sprachun­auffälligen Kinder nur ‚im numerischen Trend.

An dieses Ergebnis schließen sich wenig­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

stens drei zentrale Fragen an:(a) Sind dysphasische Kinder ebenso wie sprach­unauffällige Kinder in der Lage, hierar­chische Handlungsstrukturen bei der Ver­arbeitung und Reproduktion von Ge­schichten zu nutzen?(b) Warum wirken sich die Strukturunterschiede insbeson­dere bei der schwierigeren Apfel-Ge­schichte aus?(c) Worauf sind die Schwie­rigkeitsunterschiede zwischen der Apfel­und der Bauer-Geschichte zurückzufüh­ren? Die Tatsache, daß sich bei keiner der Analysen eine signifikante Interak­tion zwischen den Faktoren ‚Sprachstö­rung und ‚Geschichtenstruktur zeigte, legt auf den ersten Blick nahe, daß die dysphasischen Kinder hierarchische Strukturen ebenso nutzen wie die alters­gleichen Kinder der Kontrollgruppe. Eine genauere Analyse zeigt jedoch, daß diese Interpretation ungerechtfertigt ist. Denn: Die Kinder der Kontrollgruppe nutzen strukturelle Zusammenhänge in dem Sinne, daß sie die zentralen Inhalte der kohärenten Geschichten nahezu per­fekt wiedergeben; darüber hinausgehend weisen sie aber auch bei den inkohären­ten Versionen sehr hohe Reproduktions­leistungen auf. Im Gegensatz dazu haben die dysphasisch-sprachgestörten Kinder große Probleme, die lose verbundenen Informationen der inkohärenten Ver­sionen wiederzugeben; zudem können sie die strukturellen Zusammenhänge der kohärenten Geschichten teilweise gar nicht, teilweise nur sehr begrenzt nutzen, so daß ihre Wiedergabeleistungen auch hier sehr niedrig bleiben. Die Tatsache, daß die Kontrollgruppe im Gegensatz zu den dysphasischen Kindern bei der inkohärenten Geschichtenstruktur ver­gleichsweise viele Informationen repro­duziert, führt dazu, daß die quantita­tiv vergleichbaren Leistungsunterschiede zwischen kohärenter und inkohärenter Struktur bei den dysphasischen Kindern etwas vollständig anderes bedeuten als bei der Kontrollgruppe. Dies wird be­sonders deutlich, wenn man die Ergeb­nisse von Wimmer(1982) zum Vergleich heranzieht. Wimmer(1982, 98f.) konn­te einen klaren Anstieg der Reproduk­tionsleistungen für die kohärente Version der Bauer-Geschichte zwischen 4 und 6 Jahren, sowie eine weitere Verbesserung

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