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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Forschungsbereich(z.B. Lautkategorisie­rung aus dem Bereich phonologischer Bewußtheit bei Bradley& Bryant 1983) aufgenommen. Die zweite Messung er­folgte in der Regel erst nach einem Jahr Schulerfahrung oder zumindest nach dem Erwerb der grundlegenden Fertig­keiten der Schriftsprache. Dabei wurden die Prädiktorvariablen selbst nicht mehr erfaßt, sondern nur allgemeine Kriteri­umsmessungen(verschiedene Lese- oder Rechtschreibtests, Lehrerurteile, Schul­noten) erhoben. Diejenigen Variablen, die eine Korrelation zu wenigstens einer Kriteriumsleistung aufwiesen, wurden als geeignete Prädiktoren zur Vorhersage von Lese-Rechtschreibleistungen inter­pretiert.

Diese häufig zu findende Schlußfolge­rung ist aus mehreren Gründen proble­matisch. Einige, die die Prädiktorseite betreffen, seien im folgenden aufgeführt. Das einmalige Erheben von Screening­Daten erlaubt keine Aussagen zur Sta­bilität oder Reliabilität der Prädiktor­variablen. Die Gültigkeit der zum ersten Testzeitpunkt getroffenen Zuordnung der Vorschulkinder in eine Risikogruppe und in eine Nichtrisikogruppe sofern diese überhaupt a priori und nicht erst a posteriori vorgenommen wurde wird nicht überprüft. Bei einem solchen empi­rischen Vorgehen bleiben sowohl der ent­wicklungsbedingte als auch der durch schulische Einflüsse verursachte Anteil an den Veränderungen in den Prädiktor­variablen verborgen.

Im Gegensatz dazu erfolgt in unserer Längsschnittstude die Auswahl der Prä­diktoren theoriegeleitet. Im wesentli­chen bilden hierbei zwei Leistungsbe­reiche, die jeweils durch verschiedene Aufgabenarten Ooperationalisiert sind, den Kern der Prädiktion. Alle Prädikto­ren werden zusammen mit Ergänzungs­messungen in etwa halbjährigem Abstand an zwei Teilstichproben wiederholt. Un­sere Risikobestimmung erfolgt nicht kor­relational, sondern über explizite Klas­sifizierung der Kinder auf der Grund­lage der Screening-Daten. Die wieder­holte Screening-Vorgabe eröffnet die Möglichkeit, ex post festzustellen, ob die Vorhersage von Leseschwierigkeiten zeitpunktabhängig ist und welche Indi­

Helmut Skowronek& Harald Marx- Die Bielefelder Längsschnittstudie

katoren hierbei unterschiedliches Ge­wicht erhalten.

Um ihre Veränderlichkeit durch schuli­sche Einflüsse festzuhalten, werden bei allen weiteren Halbjahresmessungen, die bis zum Ende des vierten Schuljahres geplant sind, neben Kriteriumsleistun­gen auch einzelne Prädiktorvariablen miterhoben.

Konstruktionsprinzipien des Bielefelder Screening-Verfahrens

Ohne an dieser Stelle auf die verschie­denen Vorversuche zur Erstellung des Bielefelder Screening-Verfahrens einzu­gehen(zu einzelnen Aufgabenentwick­lungen s. Mannhaupt& Jansen in die­sem Heft), seien kurz die grundlegen­den Auswahlprinzipien für die Aufga­benarten genannt:

1. Das Screening sollte aus Ökonomie­gründen auf eine Durchführungszeit von etwa 3035 min beschränkt sein.

2. Die einzelnen Aufgaben eines Tests sollten beendet sein, ehe beim Kind Langeweile aufkommt.

3. Die einzelnen Tests sollten annähernd gleiche Anzahlen von Aufgaben ent­halten und eine in etwa gleiche Durch­führungszeit bedingen.

4. Nur solche Tests sollten in das Screen­ing aufgenommen werden, die mög­lichst im unteren Drittel noch eine Differenzierung der Stichprobe er­möglichen.

5. Die Aufgaben sollten so angelegt sein, daß sie in erweiterter Form auch zu den folgenden Meßzeitpunkten ein­setzbar sind.

6. Die einzelnen Tests sollten möglichst nicht nur einen Summenwert abgeben, sondern auch einen Einblick in die vom Kind gewählten Verarbeitungs­prozesse bzw.-strategien gestatten.

7. Anhand von Wiederholungsmessungen sollten Entwicklungsveränderungen über Anzahl und Art der Aufgaben­lösungen erkennbar werden.

8. Die einzelnen Tests sollten Anforde­rungen enthalten, die im Rahmen des Leselernprozesses zu verschiedenen Zeitpunkten von Bedeutung sind oder

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

bei der Ausbildung verschiedener Teil­fertigkeiten benötigt werden, ohne selbst schon Kriteriumsleistungen zu sein. Bis zu Punkt 4 entsprechen die Auswahl­prinzipien weitgehend den Anforderun­gen, die an ein Screening alsGrobsieb­verfahren zu stellen sind(vgl. Lichten­stein& Ireton 1984). Der fünfte wie der siebte Punkt sind aus dem Anspruch die­ser Längsschnittstudie erwachsen, allge­meine Entwicklungsveränderungen und spezielle individuelle Differenzen durch entsprechende Aufgabendarbietung oder Schaffung von Überlappungsbereichen bei verschiedenen Verfahren abzuschät­zen. Der sechste Punkt entspricht dem Wunsch, die Menge der bei einem Screen­ing eingehenden Information, wenn schon nicht experimentell variiert, so doch zumindest über entsprechende Auf­gabenkonstruktion empirisch differen­ziert auswertbar zu machen. Der letzte Punkt schließlich weist auf die Theoriegeleitetheit der Auswahl der Prädiktoren hin und wendet sich außer­dem gegen die in den neuesten Längs­schnittstudien geübte Praxis(z.B. bei Mann, Tobin& Wilson 1987, Experi­ment 1 oder bei Vellutuno& Scanlon 1987, Experiment 1), Variablen als Prä­diktoren in die Ersterhebung aufzuneh­men, die inhaltlich von Variablen zur Messung der Lesefertigkeit kaum zu trennen sind.

Charakterisierung der Screening­Aufgaben

Das Bielefelder Screening-Verfahren ent­hält als Prädiktorvariablen zum einen vier Gruppen von Aufgaben mit über­wiegend lautsprachlicher Komponente (vgl. Wagner& Torgesen 1987). Zum anderen bezieht es anhand von visuell dargebotenen Materialien Aufgaben zur Überprüfung verschiedener Aspekte des Aufmerksamkeitsverhaltens ein. Als Kon­trollvariable wird der Wissensstand für schriftsprachliche Symbole festgehalten (vgl. Tab. 1). Im folgenden werden bei jeder Aufgabe unter Einbeziehung ihres

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