Helmut Skowronek& Harald Marx- Die Bielefelder Längsschnittstudie
zum ‚Silben Segmentieren‘, bei dem das Kind Wörter selbständig in Sprecheinheiten unterteilen muß, ist hier bei künstlich getrennt vorgesprochenen Worten (z.B. Zange als /ts/-/ange/) ein abstraktes Zusammenfügen zu einem sinnvollen Wortganzen gefordert. Um diese Abstraktionsleistung zu erleichtern oder vielleicht auch erst zu ermöglichen, werden zu jedem Item vier Bildalternativen (z.B. Zange, Pinsel, Zebra, Schlange) angeboten. Diese weisen neben der richtigen Antwort jeweils zwei Alternativen auf, bei denen entweder das erste oder das zweite Element mit dem Testitem übereinstimmt. Die dritte nicht korrekte Alternative besitzt bei korrekter Nennung(Pinsel) keine klangliche Ähnlichkeit mit der vorgesprochenen Lautfolge. Das Kind hat die Aufgabe, die lautlichen Einheiten zu einem Wort zusammenzufügen und auf die jeweilige damit übereinstimmende Bildalternative zu zeigen. Bewertet wird nur die ausgesprochene Lautfolge. Neben einer Richtig/FalschAuswertung ist auch eine gestufte Auswertung nach lautlicher Ähnlichkeit möglich.
Phonetisches Rekodieren im Kurzzeitgedächtnis. Bei der Erfassung von phonetischer Rekodierung zum Behalten von Informationen im Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis wird in der Literatur auf die Gedächtnisspanne für Wort-, Ziffern- oder Buchstabenlisten(vgl. Baddeley 1986; Wagner& Torgesen 1987) oder auf die Artikulationsgeschwindigkeit beim wiederholten Aussprechen oder Vorlesen von Wörtern(vgl. Vallar& Baddeley 1982; Wagner, Balthazor, Hurley, Morgan, Rashotte, Shaner, Simmons& Stage 1987) zurückgegriffen.
Eine weitere Möglichkeit, innerhalb dieses Bereichs phonologische Verarbeitung zu messen, wird mit der hier verwendeten Aufgabe, dem ‚Pseudowörter Nachsprechen‘, eröffnet. Diese Aufgabe knüpft an Untersuchungen zum Wortlängeneffekt (z.B. Baddeley, Thomson& Buchanan 1975; Baddeley, Lewis& Vallar 1984) an.
Pseudowörter Nachsprechen. Diese Aufgabe verlangt das kurzfristige Behalten und Wiedergeben von unterschiedlich langen Silbenfolgen, die zu einem Pseudowort verbunden sind(z.B. ‚zippelzak‘ oder ‚bunitkonos‘). Überprüft wird hierbei zum einen die Gedächtnisspanne, zum anderen aber auch die Artikulationsgenauigkeit für unbekannte Begriffe. Die zehn ausgewählten Items sind einer als
Prädiktorprobe P2 bezeichneten Aufgabengruppe zur Prüfung auditiver Differenzierungsleistungen und sprechmotorischer Koordination von Tiedemann, Faber & Kahra(1985) entnommen. Kritisch anzumerken ist, daß bei dieser Aufgabe bereits bei der Reizaufnahme akustische Mißinterpretationen entstehen können, die in die artikulatorische Schleife bei der phonologischen Kodierung übernommen werden. Obwohl nach Baddeley (1986) die artikulatorische Kodierung und nicht die Lautähnlichkeit für die phonologischen Verwechslungen verantwortlich ist, kann hier nicht ausgeschlossen werden, daß wegen der Unbekanntheit der Pseudowörter fehlerhafte Leistungen sowohl an Schwierigkeiten bei der Reizaufnahme und/oder bei der Wiedergabe liegen. Die Auswertung beschränkt sich auf das Auszählen der vollständig richtigen Wiedergaben.
Feststellung verschiedener Aspekte des Aufmerksamkeitsverhaltens und Gedächtniszugriffs
Gerade in der Anfangsphase des Lesenlernens ist es wichtig, daß das Kind zwischen relevanten und irrelevanten Informationsanteilen des Schriftmaterials zu unterscheiden lernt(Marx 1985) und seine verfügbaren Ressourcen aufmerksamkeitskontrolliert einsetzt. Das Kind muß durch sorgfältiges Überprüfen der Stellung und Anzahl der Buchstaben im Wort sowie der Schreibweise von Großund Kleinbuchstaben die raumzeitliche Struktur von Schriftsprache internalisieren. Einzelne Graphem-Phonem- wie möglicherweise auch Schriftbild-WortVerbindungen müssen zudem automatisiert und auf entsprechende Reizdarbietung hin schnell abgerufen und möglichst nicht durch Störinformationen beeinflußt werden.
Aufmerksamkeitsverhalten für visuelle Symbolfolgen. Einen ersten Anhaltspunkt, wie Vorschulkinder mit ihren Ressourcen umgehen, liefert die Erfassung der Genauigkeit und Geschwindigkeit, mit der Kinder ihnen unbekannte und unterschiedlich schwer zu diskriminierende Symbolfolgen beachten und bearbeiten. Bei dieser nicht zeitbegrenz
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989
ten Aufgabe entscheidet im wesentlichen der Ressourceneinsatz über die Güte der Lösungen. Schwierigere Aufgaben können durch entsprechend höheren Einsatz genauso gut gelöst werden wie leichtere. Wird hingegen die Prüfphase unabhängig von der Schwierigkeit der Aufgabe konstant gehalten bzw. nur eine begrenzte Informationsmenge beachtet, dann kommt es zu fehlerhaften Entscheidungen(vgl. Norman& Bobrow 1975).
Wort Vergleich Suchaufgabe. Bei dieser Aufgabe bekommt das Kind jeweils ein Kärtchen vorgelegt, auf dem in der Mitte der oberen Hälfte ein vierbuchstabiges sinnvolles Wort(Standard) und in der Mitte der unteren Hälfte vier sinnvolle Wörter(Alternativen) räumlich deutlich getrennt in einer Reihe abgebildet sind(z.B. Bein— Bein/ Wein/ Garn/ Ruin). Die Alternativen stimmen hinsichtlich der Buchstaben und ihrer Position zu 100, 75, 50 oder 25% mit dem Standard überein. Jeder Standard wird viermal mit den gleichen Alternativen dargeboten, wobei jede Alternative in jeder Position einmal erscheint. Das Kind hat die Aufgabe, in selbstgewähltem Bearbeitungstempo die mit dem Standard identische Alternative aus den vier Alternativen herauszusuchen und darauf zu zeigen. Bewertet werden zum einen die Anzahl korrekter Wahlen und zum anderen die Bearbeitungszeit bis zur ersten Antwort(mittels Stoppuhr auf Zehntelsekunden auf- oder abgerundet). An der Alternativenwahl ist erkennbar, ob die Binnengliederung von Symbolfolgen beachtet wird und ob die Position der richtigen Lösung in der Alternativenreihe von Bedeutung ist. Die Bearbeitungszeit gibt unter Berücksichtigung der Leistungsgüte Aufschluß, ob und wie lange ein Kind bereit ist, seine Aufmerksamkeit auf Schriftsymbole zu lenken. Ansatzweise sind auch Prüfstrategien ableitbar.
Gedächtnis für Attribute. Nach der phonologischen Kodierungsannahme(Vellutino& Scanlon 1987, Experiment 2) sind Benennungsprobleme zurückzuführen auf schwach ausgeprägte Repräsentationen von Lautattributen eines mit dem visuellen Reiz assoziierten Namens.
Die Abfrage von typischen Farben von Objekten aus dem Gedächtnis bietet eine gute Möglichkeit festzustellen, wie gut und präzise Kinder bestimmte Attribute von vertrauten Objekten als objektzugehörig abgespeichert haben und dar
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