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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Helmut Skowronek& Harald Marx ­

Die Bielefelder Längsschnittstudie

über in weitgehend automatisierter Form verfügen können.

Objektfarbenkenntnis. Nachdem in ei­nem Vortest zunächst geprüft wurde, ob das Kind die Namen der ihm einmal vor­gesprochenen und in ihrer typischen Far­be ausgemalt dargebotenen Objektzeich­nungen(Salat, Pflaume, Zitrone, Toma­te) zumindest fehlerfrei nachsprechen und ohne Hilfestellung anschließend die Farben der Objekte benennen kann, wer­den die Kinder zweimal(vor und nach der Durchführung des ‚Schnellen Benen­nens von Farben unfarbiger Objekte) bei jeweils zugedeckter Vorlage nach den Farben der vier Objekte gefragt (Welche Farbe hat...(Zitrone, To­mate, Salat, Pflaume)?). Ausgewertet wird die Anzahl korrekter Farbnennun­gen in beiden Gedächtnisabfragen. Bei Kindern, die zuerst Probleme bei der Zuordnung hatten, kann bei Richtigkeit des Gedächtnisabrufs angenommen wer­den, daß sie zumindest ihren Kurzzeit­speicher adäquat nutzen können.

Rekodierungsgeschwindigkeit vom Lexi­kon. Schwache Leser können die Namen von Objekten oder Farben nicht so schnell abrufen wie gute Leser(Denckla & Rudel 1976; Wolf 1984, 1986; Blach­man 1984). Dies gilt aber keineswegs ge­nerell(Perfetti, Finger& Hogaboam 1978; Stanovich 1981; Stanovich, Fee­man& Cunningham 1983).

Schnelles Benennen von Farben unfarbi­ger Objekte. Bei dieser Aufgabe werden im Gegensatz zu Arbeiten, in denen die Rekodierung von und zu dem lexikali­schen Gedächtnis geprüft wird, nicht die Namen für ein direkt vorhandenes Objekt oder Merkmal, sondern für ein nur über das richtige Erkennen der Objektform abrufbares Merkmal abgefragt. Aufgabe des Kindes ist es, so schnell wie möglich, dir richtigen Farben der Objekte in einer in sieben Zeilen zu je vier Objekten an­geordneten DIN-A4-Vorlage anzugeben. Die Zeitmessung mittels einer Stoppuhr (in ganze Sekunden auf- oder abgerun­det) beginnt nach der ersten Zeile, die als Beispielreihe unausgewertet bleibt, und endet mit der letzten Farbnennung des Kindes. Notiert werden ferner alle unkorrigierten falschen Farbnennungen sowie die Anzahl von Einhilfen durch den Vl, die immer dann gegeben wer­den, wenn die Farbantwort länger als fünf Sekunden ausbleibt. Das ‚Schnelle Benennen von Farben unfarbiger Objek­te gibt, sofern die Farbzuordnung nicht erst im Rahmen der Übungsdurchgänge gelernt wurde, Auskunft über die Ge­

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schwindigkeit des lexikalischen Gedächt­niszugriffs. Gleichzeitig dient diese Auf­gabe als Kontrolltest für die nächste Auf­gabe.

Aufmerksamkeitsablenkung bzw.-inter­ferenz. Für den schnellen Abruf von In­formationen aus dem Gedächtnis ist auch entscheidend, ob und wie sich das Kind in einer gegebenen Situation mit den Reizinformationen auseinandersetzt, die als irrelevante die zu bearbeitenden rele­vanten umgeben(vgl. Ackermann 1986). Mehr oder weniger deutliche Aufmerk­samkeitsablenkungseffekte treten auf, wenn die Verarbeitung der Störreize durch ihre räumliche Anordnung oder semantische Nähe nicht vermieden wer­den kann(Stroop 1935; Neumann 1980) oder wegen ihrer subjektiven Wichtig­keit nicht vermieden wird(Odem, Cun­ningham& Astor-Stetson 1977; Rosen­thal& Allen 1980).

Schnelles Benennen der richtigen Far­ben von inkongruenten Objekten. Bei dieser Tafel muß das Kind ebenfalls die für das Objekt zutreffende Farbe aus dem Gedächtnis abrufen und zusätzlich die vorhandene, nicht zu dem Objekt gehörige Farbe negieren. Es muß also einen sich direkt anbietenden und zur Antwortkategorie gehörenden, aufga­benrelevanten Reiz ablehnen und sich dem, der der vorliegenden Form ent­spricht, zuwenden. Die Aufgabendurch­führung und-auswertung entspricht der des ‚Schnellen Benennens von Farben unfarbiger Objekte. Insbesondere die Differenzen zwischen der Interferenzbe­dingung und der Kontrollbedingung ohne Farbablenkung sowohl hinsichtlich der Fehlerzahl als auch hinsichtlich der Bearbeitungszeit geben Aufschluß über Art und Ausmaß der Aufmerksamkeits­ablenkung.

Schriftensymbolkenntnis als Kontroll­variable. Obwohl die Buchstabenkennt­nis von vielen Autoren als einer der be­sten Prädiktoren zur Vorhersage von Lese-Rechtschreibleistungen herangezo­gen wird, wird sie von uns als einziger und zudem nur sehr schwacher Indika­tor für die Kenntnis von Schriftsprache verwendet.

Buchstaben/Zahlen Nennen. Die Kinder erhalten eine Tafel vorgelegt, auf der alle Großbuchstaben des Alphabets und die Ziffern 19 in zufälliger Reihenfolge abgebildet sind. Sie sollen alle ihnen be­

kannten Symbole benennen. Festgehal­ten werden die Anzahlen der richtigen Benennungen von Buchstabennamen oder-lauten und Ziffern. Weitere Aus­wertungsmöglichkeiten könnten in Form einer Fehleranalyse auf Vokal- vs. Kon­sonantenbasis vorgenommen werden.

Screening-Durchführung

Das Bielefelder Screening-Verfahren wur­de im Abstand von knapp sechs Mona­ten zweimal durchgeführt. Die Erhebun­gen zum Testzeitpunkt 1 wurden in 84 von 107 Kindergarteneinrichtungen Bie­lefelds von insgesamt 20 trainierten Ver­suchsleitern in der Zeit vom Oktober bis Dezember 1986 durchgeführt. Die Er­hebungen zum Testzeitpunkt 2 fanden von März bis Mai 1987 in den glei­chen Einrichtungen, aber mit neuen Versuchsleitern statt. An der zweiten Testung. nahmen zwei Teilstichproben der Ausgangsstichprobe teil. Sie bestand aus jeweils vier Sitzungen pro Kind, wo­bei die erste Sitzung eine Wiederholung des Bielefelder Screening-Verfahrens dar­stellte.

Die Abfolge der einzelnen Aufgaben wurde so festgelegt, daß die sämtlichen über den Kassettenrekorder dargebote­nen akustischen Aufgaben möglichst mit visuell zu bearbeitenden abwechsel­ten. Jede Aufgabe wurde dem Kind an­hand von Beispielitems vom Versuchs­leiter erklärt.(Erfolgte die Itemvorgabe über Kassettenrekorder, dann wurde zu­mindest das letzte Beispielitem über Kas­settenrekorder abgespielt.) Positive Rück­meldungen und Wiederholungen der In­struktion und/oder einzelner Items blie­ben auf die jeweilige Übungsphase be­schränkt. Bei den Testitems jeder Auf­gabe wurde die erste Antwort notiert und auf jede Art von Rückmeldung ver­zichtet. Lediglich beim ‚Silben Segmen­tieren hatten die Kinder bei Inkongruenz zwischen Silbensprechen und-klatschen ihre Reaktion zu wiederholen, bei der der Versuchsleiter dann nur noch die Aussprache zu beachten hatte.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989