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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Bewußtheit und Schriftspracherwerb heraus. Eine Position geht von phonologi­scher Bewußtheit als einer notwendi­gen Voraussetzung des Schriftspracher­werbs aus(z.B. Mattingly 1972; Gleit­man& Rozin 1977): Danach müßte zu­mindest für alphabetische Schriften gel­ten, daß sich Kinder das System der Re­präsentation von Sprache durch Schrift­zeichen erst dann aneignen können, wenn sie verstanden haben, daß gespro­chene Sprache aus lautlichen Einheiten besteht, die selbst zum Gegenstand von Handlungen gemacht werden können (z.B. in Form von Weglassen, Ersetzen oder Zusammenfügen).

Die Gegenposition besteht darin, phono­logische Bewußtheit als Konsequenz des Lesen-/Schreibenlernens anzusehen(z.B. Morais, Cary, Alegria& Bertelson 1979; Ehri 1980): Demnach würde erst der Umgang mit einer materiellen Repräsen­tation von Sprache, den Buchstaben, Kinder in die Lage versetzen, zu erken­nen, daß gesprochene Sprache aus laut­lichen Einheiten besteht.

Eine dritte Position beinhaltet die ge­genseitige Beeinflussung(z.B. Ryan& Ledger 1984): Phonologische Bewußt­heit soll demgemäß teilweise der Ent­wicklung des Lesen- und Schreibenler­nens vorausgehen, andererseits werden bestimmte phonologische Fertigkeiten ohne Schriftspracherfahrung als nicht bewältigbar begriffen.

Eine klare Entscheidung zugunsten einer Position kann bis heute nicht getroffen werden, da eine Vielzahl von Studien zwar die korrelative Beziehung zwischen phonologischer Bewußtheit und Erfolg im Schriftspracherwerb nachweist, spe­zifische Aussagen über die Hintergründe dieser Beziehung aber in der Regel nicht möglich sind. Dies liegt zum einen an der Verwendung sehr globaler Maße zur Erfassung von phonologischer Bewußt­heit(z.B. Gesamtscore über unterschied­liche Aufgaben) sowie an sehr allgemei­nen Kriteriumsleistungen(z.B. Prozent­ränge gängiger Lesetests). Genauere Aus­sagen über die Beziehung scheinen jedoch erst möglich, wenn zum einen die kogni­tiven Anforderungen unterschiedlicher Aufgaben näher aufgeklärt werden und zum anderen der Einfluß bestimmter

Gerd Mannhaupt& Heiner Jansen- Phonologische Bewußtheit

Tabelle 1: Aufgaben zur Phonembewußtheit nach Lewkowicz(1980)(Übers. d.A.)(Für alle Aufgaben gilt, daß über Probe-Items gesichert sein muß, daß die Aufgabe verstanden wurde),

1.

10.

Laut-zu-Wort-Zuordnung(sound to word matching) Ein vorweggenannter Laut muß in einem gesprochenen Wort wiederentdeckt werden. Beispiel:Hörst Du ein /f/ in ‚Fisch?

Wort-zu-Wort-Zuordnung(word to word matching) Vorgesprochene Wörter müssen hinsichtlich eines Lautes verglichen werden: Beginnen ‚Fisch und ‚Fahrrad gleich?

Reime Erkennen(recognition of rhyme) Bei vorgesprochenen Wörtern muß entschieden werden, ob sie sich reimen oder nicht: Reimen sich ‚Fisch und ‚Tisch?

Isolierung(isolation) Ein Laut, dessen Stellung im Wort benannt ist, soll isoliert gesprochen werden: Womit fängt ‚Fisch an?

Phonemsegmentierung Alle Laute eines Wortes sollen isoliert gesprochen werden: Aus welchen Lauten besteht ‚Fisch?

Phoneme Zählen(counting the phonemes) Die Phoneme eines Wortes werden entweder numerisch gezählt oder die erfaßte Anzahl anders indiziert(z.B. durch Klopfen):Wieviele Laute hörst Du in ‚Fisch?

Laute Verbinden(blending) Isoliert gesprochene Laute sollen zusammengefügt und als Wort wiedergegeben werden: Welches Wort ist das: /f/, /i/, /sch/?

Phonem Weglassen(deletion of a phoneme)

Bei einem vorgesprochenen Wort soll ein gekennzeichneter Laut weggelassen und das so entstandene Wort wiedergegeben werden:Sag mal ‚Fisch.... Jetzt sagst Du das Wort ohne den ersten Laut.(Häufig werden die Items so gewählt, daß wieder reale Wörter ent­stehen: z.B. Klaus Laus.)

Weggelassenes Phonem Benennen(specifying which phoneme has been deleted)

Angesichts eines vorgegebenen Wortpaars soll entschieden werden, welcher Laut beim zwei­ten Wort weggelassen worden ist:Sag mal ‚Klaus.... Jetzt sagst Du ‚Laus....- Welcher Laut fehlt beim zweiten Wort?

Phonem Ersetzen(phoneme substitution) In einem vorgegebenen Wort soll ein isoliert gesprochener Laut durch einen anderen, eben­falls vorgesprochenen, ersetzt werden:Sag mal ‚Fisch....- Nun sagst Du das mit /t/

statt mit /f/.

phonologischer Verarbeitungsstrategien in spezifischen Lese- und Schreibaufga­ben nachweisbar ist(Wagner& Torge­sen 1987).

Aufgaben zur phonologischen Bewußtheit

Einen ersten Versuch der Strukturierung der verschiedenen Aufgaben zur phono­logischen Bewußtheit hat Lewkowicz (1980) vorgenommen, um sie für ein Training in eine nach Schwierigkeit und Verwendbarkeit gestufte Abfolge zu bringen(vgl. Tab. 1). Nach Lewkowicz (1980) stellt das Segmentieren eines Wor­tes in seine einzelnen Phoneme dieKern­aufgabe zur phonologischen Bewußt­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

heit dar(vgl. Tab. 1, Punkt 5), da Lew­kowicz dieser Aufgabe eine hohe Wich­tigkeit im Lese- und Schreiblernprozeß zuweist. Problematisch ist diese Hierar­chie insofern, als hier von Lewkowicz (1980) hauptsächlich die Aufgaben von unterschiedlich strukturierten Studien miteinander verglichen wurden. Studien, in denen mehrere Aufgaben an einer Stichprobe erhoben wurden(z.B. Liber­man et al. 1974), bildeten die Ausnah­me. Erst in jüngerer Zeit wurden Auf­gabengruppen zur phonologischen Be­wußtheit systematisch untersucht(z.B. Stanovich, Cunningham& Cramer 1984), die die Überlegungen von Lewkowicz (1980) hinsichtlich der Schwierigkeit der Aufgaben weitgehend bestätigten. Neben Aufgaben zur phonologischen Bewußt­heit im weiteren Sinne(Reime Erken­

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