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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Gerd Mannhaupt& Heiner Jansen- Phonologische Bewußtheit

nen) werden die Aufgaben als eher leicht angesehen, die ein Erkennen und/oder Benennen einzelner Phoneme verlangen. Aufgaben, die diese Leistungen für ein ganzes Wort verlangen, liegen im mittle­ren Schwierigkeitsbereich. Aufgaben, die ein Weglassen oder Ersetzen von Phone­men erfordern, gelten als die schwierig­sten, da hier zusätzlich zu den analyti­schen Leistungen eine erhöhte Belastung des Arbeitsgedächtnisses angenommen wird.

Für die Erstellung von Screening-Auf­gaben ist eine ungeprüfte Übernahme der Aufgabenhierarchie hinsichtlich der Schwierigkeiten der Aufgaben für Vor­schulkinder ohne weiteres nicht möglich, da die Aufgaben Prototypen darstellen, zu denen in den verschiedenen Studien viele Abwandlungen durchgeführt wur­den, die die jeweilige Schwierigkeit und den Anforderungscharakter der Aufga­ben stark beeinflußten.

An den Untersuchungen zur Phonem­segmentierung läßt sich dieses Problem deutlich herausstellen.

Variationen zur Phonem­segmentierung

Fox und Routh(1975) berichteten posi­tive Ergebnisse bei der Erfassung von Leistungen zur phonologischen Bewußt­heit: Kinder im Alter von drei Jahren waren danach ohne explizite Übung in der Lage, 40% der Phoneme von 13 vor­gelegten Wörtern mit zwei/drei Phone­men zu segmentieren. Im Alter von vier Jahren wurden im Durchschnitt ca. 21 von 32 Phonemen(66%) segmentiert, mit fünf Jahren ca. 26(81%), und die Grup­pe der Sechsjährigen erreichte mit einem Mittelwert von 30 Phonemen(94%) schon Maximalwerte. Allerdings muß bei der Bewertung der Ergebnisse berück­sichtigt werden, daß den Kindern bei Teillösungen die genannten Reste zum weiteren Segmentieren vorgegeben wur­den. Unklar bleibt, wie oft die Versuchs­leiter den Kindern eine Silbe oder ein Zwei-Phonem-Teil angeboten haben. Nicht ganz so optimistisch sehen die folgenden Veröffentlichungen die Lei­stungsmöglichkeiten von Vorschul­kindern:

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Liberman et al.(1974) führten mit Fünf- und Sechsjährigen eine Aufgabe zur Phonemsegmentierung durch, die das Zählen der Phoneme vorgesprochener Wörter verlangte(vgl. Tab. 2, Punkt 6). Die Kinder sollten die Anzahl der Teile durch Schläge mit einem Holzhammer auf den Tisch anzeigen. Die zu segmen­tierenden Items enthielten ein bis drei Phoneme. Keines der fünfjährigen, nur 17% der sechsjährigen und 70% der sie­benjährigen Kinder bewältigten diese Aufgabe. Zifcak(1981), der 49 Erst­kläßler nach der Vorgehensweise von Liberman et al.(1974) untersuchte, teilt zwar keine deskriptiven Parameter mit, er­wähnt jedoch die Konsistenz seiner Befun­de mit denen von Liberman et al.(1974). Blachmann(1984) gab diese Aufgabe den Kindergartenkindern gar nicht vor, son­dern untersuchte sie nur beiden Erstkläß­lern(Alter: 7 J.). In der Variante von Liberman et al.(1974) erreichten diese einen Mittelwert von 19,97 bei 42 Items. Helfgott(1976) untersuchte an sechs­jährigen Kindergartenkindern Phonem­segmentierung nach der Vorgehensweise, die Elkonin(1963) für den Anfang des Lesenlernens vorgeschlagen hat: Die Kin­der sollten parallel zur Segmentierung für jedes Phonem eine Marke auf den Tisch legen. In dieser Untersuchung wurde den Kindern auch Rückmeldung über die Korrektheit ihrer Reaktionen ge­geben. Hinsichtlich der vollständigen Seg­mentierung berichtet Helfgott(1976), daß bei 80 Items ein Mittelwert von 35,7 erzielt wurde und daß ein Drittel aller Kinder überhaupt keine Phonem­segmentierung vornehmen konnte, auch nicht nachÜbung der 80 Items(Helf­gott 1976, 167).

Alle beschriebenen Aufgabenarten erfas­senPhonemsegmentierung, sie schei­nen dennoch sehr unterschiedliche An­forderungen an die Kinder zu stellen. Bei Fox& Routh(1975) bleibt unge­klärt, wie oft den Kindern ein zu seg­mentierendes Teil vorgegeben wurde und ob/bzw. welche Abbruchkriterien der Untersucher hatte. Damit kann die protokollierte Leistung der Kinder auch durch die Geduld des Untersuchers mit­beeinflußt gewesen sein.

Nimmt man eine standardisierte Durch­

führung an, so legt die sukzessive Vor­gabe derReste der zu segmentieren­den Silben den Kindern eine Einzelpho­nemisolierung(vgl. Tab. 1 Punkt 4) im Gegensatz zu einer vollständigen Segmen­tierung nahe. Die Segmentierung eines einzelnen Phonems ist jedoch wesentlich leichter als die vollständige Segmentie­rung eines Wortes(Lewkowicz& Low 1979). Letztlich haben Fox& Routh (1975) ein Lernexperiment durchge­führt. Für jede Teillösung wurden die Kinder verstärkt, und der Rest der Silbe wurde erneut zur Bearbeitung vorgege­ben. Wygotski(1986) hat für Leistun­gen, die durch Unterstützung der Kin­der durch Erwachsene erzielt werden, den BegriffZone der nächsten Ent­wicklung geprägt. Fox& Routh(1975) haben mit ihrer Studie wahrscheinlich die potentiellen Leistungsmöglichkeiten der Kinder dieser Altersstufen aufgezeigt. Alle anderen Studien untersuchten im Gegensatz dazu die aktuellen Leistungs­möglichkeiten der Kinder ohne oder mit geringen Hilfestellungen. Darüber hinaus kann bei einer Durchführung des Phonem Zählens, das Phonemsegmentieren in vollständig verinnerlichter Form verlangt und Klopfen nur als Ergebniswiedergabe nutzt(Liberman et al. 1974; Zifcak 1981), die Schwierigkeit der Aufgabe erhöht sein. Die Kinder müßten die Phonemseg­mentierung vollkommen verinnerlicht durchführen und zudem das Ergebnis ihrer Problemlösung bis zum Ende der Lösung erinnern; dies erhöht sowohl das Handlungsniveau als auch die Gedächt­nisbelastung.

Rahmen der Untersuchung

Da die Vorhersage von Problemen der Aneignung von Lesen und Schreiben ein wesentliches Ziel der Bielefelder Längs­schnittstudie(vgl. Skowronek& Marx in diesem Heft) ist, sollte ein Sichtungs­oder Screeningverfahren für Vorschul­kinder für Fertigkeiten entwickelt wer­den, die eventuelle Risiken für Probleme des Schriftspracherwerbs erkennen las­sen. Es galt also für den als kritisch er­achteten Bereich der phonologischen Be­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989