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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Anke Moch- Probleme leseschwacher Schüler

unterschiedlichen Aufgaben, so daß sich der Testwert eines Probanden aus Lei­stungen zum Worterkennen und zum Leseverstehen zusammensetzt. Lediglich bei Erstkläßlern wird das Leseverständ­nis in der Regel noch nicht erhoben.

Morphologisches Regelwissen: Eine Rei­he von empirischen Arbeiten zeigt, daß schwache Leser häufiger Fehler beim Ge­brauch grammatischer Morpheme ma­chen(Angermaier 1974; Fletcher, Satz & Scholes 1981; Grimm 1978; McClure, Kalk& Keenan 1980; Vellutino& Scan­lon 1982; Vogel 1974).

In diesen Studien ging man sehr ähnlich und zwar folgendermaßen vor. Den Kin­dern wurden Bilder gezeigt und dazu passende Lückensätze vorgelesen, die sie vervollständigen sollten. Bei der Aufga­benlösung mußten sie Pluralendungen, Komparative, Verbflexionen und auch Wortableitungen bilden.

Neben der Produktion grammatischer Morpheme wurde bei Erstkläßlern auch das Sprachverständnis erfaßt, indem die Kinder vorgesprochenen Sätzen Bilder zuordnen mußten. Dabei zeigte sich, daß die schwächeren Leser die grammati­schen Morpheme auch nicht zu einem genauen Verstehen nutzten(McClure, Kalk& Keenan 1980).

Verarbeitung komplexer grammatischer Strukturen: Das Satzverständnis der schlechten Leser scheint auch hinsichtlich weiterer struktureller Merkmale nicht in der Weise auf der grammatischen Infor­mation zu basieren wie dies bei ihren gut lesenden Klassenkameraden der Fall ist. So machten sie mehr Fehler beim Aus­agieren von Satzaussagen oder dem Zu­ordnen von Bildern, wenn die syntakti­schen Relationen nicht mit der Wort­ordnung und/oder der Plausibilität der Sätze übereinstimmten und auch wenn in einem Satz vielfältige Relationen be­achtet werden mußten(Byrne 1981; Goldman 1976; Fletcher, Satz& Scholes 1981; Mann, Shankweiler& Smith 1984; Stein, Cairns& Zurif 1984). Ersteres ist z.B. bei Relativsätzen der Fall, in denen das Subjekt des Hauptsatzes nicht mit dem des anschließenden Relativsatzes übereinstimmt, z.B.Die Kuh, die der

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Affe erschreckt hat,...(Byrne 1981). Schwierigkeiten hatten die schlechten Leser auch mit einigen Satzgefügen, so z.B. mit Partizipialsätzen und tempora­len Nebensätzen(Stein, Cairns& Zurif 1984; Vellutino& Scanlon 1982). In den berichteten Untersuchungen wurde die Satzlänge kontrolliert, so daß die beob­achteten Fehler der syntaktischen Ver­arbeitung zugeschrieben werden müssen und nicht auf besondere Behaltensan­forderungen zurückgehen.

Entdecken und Korrigieren grammati­scher Fehler: Bowey(1986 a) und Willow & Ryan(1986) wiesen nach, daß ein Zu­sammenhang zwischen der Leseleistung und dem Auffinden grammatischer Feh­ler besteht.

Dabei wurden Grundschülern einzelne Sätze vorgegeben, deren sprachliche Richtigkeit sie beurteilen sollten. Des weiteren sollten sie die Fehler genau an­geben und korrigieren. Im Unterschied zu den im vorigen Abschnitt berichte­ten Arbeiten waren die Sätze relativ ein­fach. Sie enthielten Fehler bei den Flexionsendungen von Wörtern oder der Wortstellung.

Die hier abverlangte Fertigkeit wird in der Sprachentwicklungsforschung als metasprachliche bzw. metalinguistische bezeichnet. Sie ist von den bis jetzt an­geführten Aufgabenanforderungen zu unterscheiden, weil es dabei nicht aus­reicht, sprachliches Wissen lediglich im­plizit anzuwenden. Um eine Regelab­weichung genau angeben zu können, muß das grammatikalische Wissen auf einer expliziteren Ebene verfügbar sein und zu gezielten Vergleichsprozessen eingesetzt werden.

Der Abruf von Wortbedeutungen: Wei­terhin gibt es Hinweise, daß Probleme beim Schriftspracherwerb auch mit se­mantischen Defiziten einhergehen. Unter­schiede zwischen normalen und schlech­ten Lesern wurden beim raschen Benen­nen(Denckla& Rudel 1976; Klicpera 1985; Wolf 1987), bei Tests zum produk­tiven Wortschatz(Klicpera 1985; Wolf 1987) und auch bei Aufgaben zu seman­tischen Vergleichen(Bjorklund& Bern­

holtz 1986; Jonasch 1981; Lesgold& Resnick 1982) aufgedeckt.

So benötigten schlechte Leser für das Benennen von Gegenständen mehr Zeit (Jonasch 1981; Lesgold& Resnick 1982). Einfache Ja-Nein-Entscheidungen nah­men sie dagegen genauso schnell vor wie ihre gut lesenden Klassenkamera­den. Daraus kann man schließen, daß die schlechten Leser nicht generell lang­samer sind und somit ihre längeren Be­arbeitungszeiten beim Benennen auf die spezifischen Aufgabenanforderungen zu­rückgehen.

Bei Tests zum produktiven Wortschatz er­brachten leseschwache Schüler ebenfalls geringere Leistungen. Klicpera(1985) wie auch Wolf(1987) wiesen durch den Vergleich unterschiedlicher Aufgaben nach, daß das Problem der schlechten Leser nicht auf einen geringeren Wort­schatzumfang zurückzuführen ist. So verschwanden die Gruppenunterschiede, wenn die Wörter nicht selbst genannt werden mußten, sondern aus vorgespro­chenen Alternativen ausgewählt werden konnten. Die jeweiligen Begriffe fehlen ihnen also nicht völlig. Ihr Problem scheint vielmehr in dem Vorgang der Wortfindung, d.h. in dem mentalen Zugriff zu einem spezifischen Wort zu liegen.

Bei älteren schlechten Lesern sind die einzelnen Bedeutungsrepräsentationen aber wohl auch inhaltlich dürftiger. So zählten leseschwache 13jährige bei der Beurteilung der Kategoriezugehörigkeit, ähnlich wie jüngere Kinder, untypische Mitglieder nicht zur Kategorie(z.B.Ge­hört der Strauß zur Kategorie der Vö­gel?; Bjorklund& Bernholtz 1986). Weiterhin gibt es Indizien, daß dement­sprechend auch geistige Operationen, die auf Bedeutungsrepräsentationen ba­sieren, bei leseschwachen Kindern anders oder langsamer ablaufen. Schlechte Le­ser benötigten für semantische Verglei­che mehr Zeit, sobald diese eine sehr genaue Differenzierung erforderten(Jo­nasch 1981; Lesgold& Resnick 1982).

In einem Experiment von Jonasch(1981) sollten Viertkläßler das gefährlichere von zwei Tieren angeben. Bei einfachen Ver­gleichen wie zwischenHase undLö­we unterschieden sich die Kinder nicht,

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989