Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
61
Einzelbild herunterladen

Anke Moch- Probleme leseschwacher Schüler

schwierigere Vergleiche wie zwischen Hase undEsel nahmen die schlech­ten Leser erheblich langsamer vor.

Erstellen und Aufrechterhalten einer phonologischen Repräsentation: In vie­len Untersuchungen wurden bei schwa­chen Lesern geringere Gedächtnisleistun­gen nachgewiesen. Aus den Ergebnissen kann man folgern, daß diese Minderlei­stungen weitgehend auf weniger effi­ziente Kodierungsprozesse beim Auf­bau und Aufrechterhalten einer inter­nen Repräsentation zurückzuführen sind (s. Klicpera 1983; Stanovich 19863). Die Kodierungsschwierigkeiten der schlechten Leser sind keine generellen, sondern sie betreffen die phonologische Repräsentation. So zeigten sich beim Wiedererkennen von nicht benennba­rem Material keine Gruppenunterschiede (Mann 1984).

Schlechte Leser des zweiten Schuljahres behielten aber erheblich weniger, wenn sie sich Listen von Lauten oder Wörtern merken sollten. Gute Leser erinnerten dabei sprachliches Material, das lautlich leicht verwechselbar war, schlechter als nicht verwechselbares. Dieses Indiz für eine phonologische Repräsentation fand man dagegen nicht bei schwachen Le­sern. Sie erinnerten beides gleich schlecht (Mann 1984; Mann, Liberman& Shank­weiler 1980). Auf Probleme, die die au­ditive Verarbeitung generell betreffen, können diese Ergebnisse nun aber nicht zurückgeführt werden. Denn sollten ge­sprochene Sprache und Geräuschmuster unter Störgeräuschen wiedererkannt wer­den, so traten nur bei den sprachlichen Stimuli Gruppendifferenzen auf(Brady, Shankweiler& Mann 1983).

Das Erstellen und Aufrechterhalten pho­nologischer Repräsentationen ist kritisch für die Verstehensprozesse. Denn wie in dem einleitenden Abschnitt dargestellt, müssen Wörter, Satzteile und Text­informationen während der Verstehens­vorgänge fortlaufend präsent gehalten werden. Und wie Untersuchungen mit Erwachsenen zeigen, hat diese interne Repräsentation lautliche Charakteristika und zwar selbst dann, wenn sie beim lei­sen Lesen aufgebaut wird(McCutchen& Perfetti 1982).

Unterschiede zwischen guten und schlechten Lesern sind auch bei Behal­tensanforderungen nachweisbar, die sich im Unterschied zum Listenlernen direkt auf das sprachliche Verstehen beziehen. Mit einer speziellen Untersuchungstech­nik wurde aufgedeckt, wie lang während der Verarbeitung von Texten die wort­getreu gespeicherten Sequenzen sind (Goldman, Hogaboam, Bell& Perfetti 1980; Perfetti& Goldman 1976). Es wurden Texte auditiv oder visuell prä­sentiert und an mehreren Stellen unter­brochen. Nach der anschließenden An­gabe eines Wortes, das in einem be­stimmten Abstand vor der Unterbre­chung im Text vorgekommen war, soll­ten die Schüler das jeweils darauffolgen­de Wort erinnern. Die Sequenz, inner­halb dessen noch richtig erinnert wer­den konnte, war bei den schlechten Le­sern kürzer. Wie bei den guten Lesern war diese Sequenz zwar abhängig davon, ob zwischen der Unterbrechung und dem zu erinnernden Wort eine Satzgrenze lag. Aber diese Abhängigkeit zeigte sich bei schlechten Lesern nur in einem ein­geschränkten Ausmaß. Lagen mehr als 11 Wörter dazwischen, so konnten sie auch innerhalb eines Satzes das jeweilige Wort nicht mehr angeben. Einer ähnlichen Logik folgend wiesen Daneman und Car­penter(1980) nach, daß schlecht lesen­de Studenten große Schwierigkeiten hat­ten, den Referenten eines Personalpro­nomens anzugeben, wenn die Erwähnung des Referenten von dem Pronomen durch einige Sätze getrennt war.

Die Probleme schlechter Leser bestehen also nicht nur in Defiziten beim Ent­schlüsseln von Graphemen, sondern auch im unzureichenden Verstehen, das mit vielfältigen Mängeln der sprachlichen Verarbeitung einhergeht. Im Unterschied zum Umgang mit gesprochener Sprache könnten sich letztere gerade beim Lesen besonders auswirken, weil dabei auch höhere Anforderungen an die Sprach­verarbeitung gestellt werden.

Man muß aber berücksichtigen, daß die jeweiligen Defizite als einzelne unter­sucht worden sind. Und nur so konnten sie zunächst als solche erkannt werden. Wie sie im aktuellen Lesevorgang zusam­menwirken, welche Rolle die einzelnen

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 1, 1989

Fertigkeiten dabei spielen, ist damit noch nicht klar. Dazu benötigt man ein Modell über den gesamten Lesevorgang, in dem die Teilprozesse angegeben wer­den und auch, wie diese beim Lesen zu­sammenwirken. Dies hat bereits Meu­mann(1914) als Ziel der pädagogisch orientierten Leseforschung formuliert. So muß zu den Untersuchungen über die Verarbeitung grammatischer Struk­turen kritisch angemerkt werden, daß die jeweiligen Test-Sätze sehr komplex wa­ren. Solche Konstruktionen kommen in den schulischen Lesetexten kaum vor. Das heißt, daß die beobachteten Verste­hensdefizite schlechter Leser nicht auf das Scheitern bei derartigen Strukturen zurückgeführt werden können. Allerdings könnten die Schwierigkeiten bei den komplexen Test-Sätzen Ausdruck eines umfassenderen syntaktischen Defizits sein, das sich bei einfacheren Satzmu­stern z.B. in einer langsameren Re­konstruktion dieser Muster ausdrücken könnte.

Oft ist auch unklar, ob die Differenzen in den sprachlichen Fähigkeiten für alle Altersgruppen zutreffen. In den einzel­nen Untersuchungen sind meistens nur wenige Altersgruppen berücksichtigt worden. So ist die unzureichende Nut­zung grammatischer Morpheme beim Satzverstehen nur für Erst- und Zweit­kläßler nachgewiesen worden. Dies trifft auch für die Untersuchungen zur Verwendung phonologischer Repräsen­tationen außerhalb des Satzverstehens zu. Demgegenüber gelten die Unter­schiede beim Zugriff zu Wortbedeutun­gen, beim Umgang mit Bedeutungsreprä­sentationen sowie die Behaltensdefizite während des Verstehens für einen größe­ren Altersbereich.

Von der Frage ob und wie Mängel der sprachlichen Verarbeitung ab einem be­stimmten Alter den aktuellen Lesevor­gang beeinträchtigen, ist die Frage nach der Ontogenese von Leseschwierigkei­ten zu trennen.

In den meisten der berichteten Untersu­chungen sind die jeweiligen Zusammen­hänge kausal interpretiert worden, da­nach sollen die sprachlichen Fähigkei­ten den Erwerb des Lesens beeinflussen. Einige Autoren gehen davon aus(u.a.

61