ring, wenn nicht Kinder des gleichen chronologischen Alters, sondern Kinder gleichen mentalen Alters miteinander verglichen werden(vgl. Singer 1980, 238). Dies spricht eher gegen eine, z.B. von Rieder 1975(S. 7) erwartete, Asynchronie der verschiedenen Entwicklungsvorgänge bei auffälligen Kindern.
Es kann angenommen werden, daß die schlechteren kognitiven und motorischen Leistungen von Sonderschülern durch ungünstige Umweltbedingungen zumindest mitbedingt werden, wobei in der Regel angeborene Defizite durch negative äußere Einflüsse verstärkt werden. Zwar dürften Reifungsprozesse bei motorischen Leistungen bedeutsamer als bei kognitiven Leistungen sein, allerdings können angeborene Unterschiede auch bei motorischen Leistungen durch Umwelteinflüsse modifiziert werden. Entsprechend ist es möglich, durch geeignete Trainingsprogramme bestehende motorische Defizite zu verringern. Eine positive Wirkung motorischer Übungsprogramme auf die kognitive Leistungsfähigkeit wird zwar verschiedentlich erwartet, konnte jedoch bisher nicht hinreichend belegt werden(vgl. Cratty 1972, 132-135; Rarick 1973, 248— 254; Mosher 1974; Wiegersma 1981; Krombholz 1985).
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, anhand einer Längsschnittstudie über zwei Jahre den Verlauf der motorischen Entwicklung von Sonderschülern im Grundschulalter zu untersuchen. Die Komplexität des Konstrukts Motorik macht es notwendig, dabei feinmotorische Leistungen und sportmotorische Leistungen, Fitness und Körperkoordination, zu berücksichtigen. Die Entwicklung der Sonderschüler soll mit der von Grundschülern verglichen werden. Gleichzeitig sollen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Bereichen der Motorik und zwischen diesen Bereichen und somatischen Merkmalen, aber auch kognitiven Leistungen, untersucht werden.
Im einzelnen sollen die folgenden Fragestellungen überprüft werden:
— Wie ist der Entwicklungsverlauf von feinmotorischen Leistungen, Körper
H. Krombholz- Motorische Leistungen bei Sonderschülern
koordination und Fitness bei Sonderschülern im Grundschulalter?
— Bestehen Unterschiede in den motorischen Leistungen bei Grund- und Sonderschülern?
— Unterscheiden sich die Entwicklungsverläufe motorischer Leistungen bei Grund- und Sonderschülern?
— Welche Beziehungen bestehen zwischen den verschiedenen Bereichen motorischer Leistungen, Feinmotorik, Körperkoordination und Fitness?
— Welche Beziehungen bestehen zwischen motorischen und kognitiven Leistungen?
— Unterscheiden sich die gefundenen Beziehungen zwischen motorischen und kognitiven Leistungen bei Grundund Sonderschülern?
Methode
An der Längsschnittstudie nahmen 38 Schüler, 21 Jungen und 17 Mädchen teil, die Sonderschulen im Schulaufsichtsbereich Gießen Land besuchten*. Die Untersuchung erstreckte sich über 2 Schuljahre und es gab 3 Meßzeitpunkte, am Beginn und am Ende des 1. Schuljahres und am Ende des 2. Schuljahres. Allerdings konnten für die Schüler nicht alle Daten wie vorgesehen erhoben werden.
Bei allen 3 Untersuchungszeitpunkten wurden Größe und Gewicht der Kinder gemessen und die folgenden Testverfahren durchgeführt:
Grobmotorik
— Der„Internationale Standard Fitness Test‘ ISFT(Kirsch 1968), der die wichtigsten, leicht meßbaren Aspekte der körperlichen Leistungsfähigkeit erfaßt. Der ISFT besteht aus insgesamt 8 Aufgaben: 50-m-Lauf Standweitsprung
* Die Daten wurden im Rahmen eines von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung finanzierten Projektes erhoben(Aktenzeichen III B 1-2991-A 5719 I).
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 2, 1989
600-m-Lauf Handkraft Beugehang Pendellauf Aufrichten aus der Rückenlage(Sit up) Vorwärtsbeugen
— 2 Untertests des„Körperkoordinationstest für Kinder‘ KTK(Kiphard & Schilling 1974), die Aufgaben Balancieren Rückwärts BR und Seitliches Hin- und Herspringen SH, die die Gesamtkörperkoordination messen.
Feinmotorik(Geschicklichkeit der rechten und linken Hand)
—„Leistungsdominanztest‘‘ LDT(Schilling 1974b), ein kindgemäßes PapierSchreibstift-Verfahren(Zielpunktieren), das gleichzeitig eine Aussage über die Ausprägung der Händigkeit gestattet.
kognitive Leistungen
— Konzentration: „Konzentrationstest für das 1. Schuljahr“ KT 1(Möhling& Raatz 1974)
— Körperschema: der„Mensch-Zeichen-Test‘‘ MZT, der nach einer Methode ausgewertet wird, die Aussagen über das Körperschema der Kinder erlauben soll(Krombholz 1976, 1989). In Anlehnung an Frostig 1973 verstehen wir unter Körperschema das Wissen und/oder die Vorstellung vom eigenen Körper, den funktionellen Zusammenhängen der Körperteile und deren räumlicher Ausdehnung.
Zusätzlich kamen noch folgende Testverfahren zur Anwendung: der„Wortschatztest für Schulanfänger‘“‘ WSS 1 (Kamratowski& Kamratowski o.J.) und der„Grundintelligenztest— Skala 1“ CFT 1(Weiss& Osterland 1977) für die Kinder, für die der IQ nicht aus den Unterlagen der Schulen übernommen werden konnte. Diese beiden Verfahren wurden im Laufe des 1. Schuljahres durchgeführt. Zusätzlich wurde den Eltern der Kinder ein Fragebogen vorgelegt, in dem u.a. nach der Mitgliedschaft in Sportvereinen, den Spielgelegenheiten in und in der Nähe der Wohnung, dem
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