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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Fehlen von Wärme und dadurch das Fehlen eines bestimmten Bandes mit dem Fortlaufen der Jugendichen aus Fa­milien zusammenhängt(Schmidt& Ber­ger 1958; Robey et al. 1964; Stierlin 1973, 1974; Homer 1973). Auch Domi­nanz in der Erziehung ist ein Faktor, der nicht unterschätzt werden darf(Fuchs­Kamps 1952; Leventhal 1963). Als Ur­sache des Fortlaufens wird auch die Dis­krepanz in Erziehungserfahrungen zwi­schen Eltern und Jugendlichen genannt (Ambrosino 1971). Jugendliche benach­drucken die Wärme in der Beziehung (den persönlichen Aspekt: Zuneigung, Geborgenheit), während Eltern die Do­minanz benachdrucken(den normieren­den Aspekt: Gehorsam, Konformismus) (Kinloch 1970). Vor allem die Väter der Fortläufer haben einen dominanteren Erziehungsstil.

Literatur zu Wärme und Dominanz in der Wohngruppe im Zusammenhang mit dem Fortlaufen ist kaum vorhanden. Für eine Betrachtung dieses Themas sind wir somit auf die Untersuchungen über Fortläufer aus der Familie angewiesen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Untersuchungsergebnisse über die Fami­lie auch auf das Erziehungsklima in der Wohngruppe zutreffen. Zu der Wärme in der Wohngruppe folgendes: Es liegt auf der Hand, daß Gruppenerzieher den Ju­gendlichen die nötige Wärme bieten wol­len. Das ist vor allem, wenn es den Ju­gendlichen daran gefehlt hat eine ver­ständliche Einstellung. Diese Einstellung kann jedoch in manchen Fällen mit ei­ner allzu dominanten Haltung verbun­den sein. Die Gruppenerzieher benach­drucken in solchen Fällen, das was Stier­lin ein zentripetales System nennt, im Rahmen dessen sie die Jugendlichen so­wohl emotional als auch sozial an sich zu binden versuchen. Diese Haltung kann Jugendliche, die aufgrund von frü­heren Erfahrungen solchen persönlichen Kontakten nicht gewachsen sind, ab­schrecken. Es hat mehr Erfolg, an diese Jugendlichen zunächst in einer reservier­ten und nachgiebigen Weise, die eine warme Annäherung nicht ausschließt, heranzutreten. Vor allem unter älteren Jugendlichen finden wir viele, die eine allzu zentripetale Haltung der Gruppen­

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H.L.W. Angenent- Fortlaufen von Jugendlichen aus Fürsorgeheimen

erzieher nicht akzeptieren. Sie befinden sich in einem Prozeß der Losmachung und der wachsenden Selbständigkeit und bewahren dabei zu den Gruppener­ziehern einen bestimmten Abstand. Man kann sich vorstellen, daß sich bestimmte Jugendliche einer zentripetalen Haltung der Gruppenerzieher entziehen wollen und fortlaufen.

Auch dominante Gruppenerzieher kön­nen wie auch dominante Väter, wir sahen das schon Jugendliche dazu bringen, daß sie ihr Glück woanders su­chen. Jugendliche in Fürsorgeheimen be­schreiben ihre Gruppenerzieher nämlich nicht als weniger dominant als ihre El­tern. Die Forderungen, die ihnen gestellt werden, und der Druck, dem sie ausge­sezt sind, können vielen Jugendlichen zuviel werden und Fortlaufen veranlas­sen.

Eine vergleichende Untersuchung

Die Untersuchung bezieht sich auf 94 Fortläufer(12 bis 18 Jahre alt), die aus­gerissen sind aus Fürsorgeheimen. Sie sind wenigstens eine Nacht abwesend ge­wesen Ohne Erlaubnis und/oder Einver­ständnis der Gruppenerzieher. Zu jedem dieser 94 Fortläufer wurden nach be­stimmten Kriterien(Alter, Geschlecht, zur betreffenden Zeit in der Wohngrup­pe des mit ihm gepaarten Fortläufers wohnend, und nicht forgelaufen) Nicht­Fortläufer ausgewählt. Zu jeder Paar­kombination(Fortläufer und Nicht­Fortläufer) wurde außerdem ein Grup­penerzieher ausgewählt. Die Untersu­chung bezieht sich also auf drei Grup­pen(Fortläufer, Nicht-Fortläufer und Gruppenerzieher).

Die konkreten Erziehungsverfahren wur­den anhand eines Fragebogens(zwanzig Fragen) gemessen. Dieser Fragebogen wurde Jugendlichen(den Fortläufern und den Nicht-Fortläufern) in zwei Va­rianten vorgelegt: Eine die frühere Erzie­hung im Elternhaus und eine die Erzie­hung in der Wohngruppe betreffend. Den Gruppenerziehern ist ein Fragebo­gen zu ihrer Erziehung der Jugendlichen im Heim vorgelegt worden. Jeder Grup­

penerzieher hat zwei Fragebogen ausge­füllt. Einer betraf ihre Erziehung des Fortläufers, der andere ihre Erziehung des Nicht-Fortläufers. Die Fragen bezie­hen sich auf die folgenden Gebiete: Die emotionale Beziehung zwischen Erzie­hern und Jugendlichen; die gegenseiti­gen Kontakte; die Vertrauensbasis; das Interesse des Erziehers an den Jugendli­chen; die Demokratie in der Erziehung; die den Jugendlichen gestattete Freiheit; die Leistungsanforderungen; die Art des Strafens; die Forderungen des Gehor­sams und die Strenge in der Erziehung. Die zwanzig Fragen repräsentieren, wie faktoranalytische Untersuchungen er­wiesen haben, den Begriffen Wärme und Dominanz. Wärme und Dominanz sind beide in zehn Items repräsentiert. Es ist aber nicht so, daß jedes Item den ge­meinten Begriff in gleichem Maße mit­bestimmt, ebenso hoch damit korreliert. Manche Items zeigen sich in dieser Hin­sicht ganz besonders geeignet, andere weniger. Wir haben um dies zu prüfen, zuerst eine Faktoranalyse durchgeführt. In der folgenden Tabelle 1 sind die Fak­toren Wärme und Dominanz mit den da­zugehörigen Items repräsentiert. Hinter jeder Frage wird angegeben, ob die Ant­wort auf die betreffende Eigenschaft verweist. Sie finden dort auch die Fak­torenladung, die zeigt, inwiefern das Item den Begriff bzw. den Faktor mißt. In den Fragen über die Erziehung da­heim ist das WortGruppenerzieher durch das WortEltern ersetzt worden. Außerdem wird zu jeder Frage hinzuge­fügt:als Du noch zu Hause wohntest. Die Gruppenerzieher beantworten die Fragen für die Erziehung der betreffen­den Jugendlichen(Fortläufer und Nicht­Fortläufer).

Mit Hilfe der Faktorenanalyse wurden für jede Versuchsperson die Werte der Faktoren berechnet. Die verschiedenen Gruppen wurden miteinander verglichen. Die Unterschiede wurden mit dem t-Test für gepaarte Wahrnehmung auf ihre sta­tistische Signifikanz hin geprüft. Die Er­gebnisse sind in den Tabellen 2 bis 5 wie­dergegeben.

Was die Erziehung daheim in der Fami­lie angeht, unterscheiden sich die Fort­läufer signifikant von den Nicht-Fortläu­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 2, 1989