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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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H.L.W. Angenent ­

Fortlaufen von Jugendlichen aus Fürsorgeheimen

KaHHHHLL A

ger dominant(nachgiebiger) erzogen worden sind als in der heutigen Wohn­gruppe. Daß wir diesen letzten Unter­schied nicht bei den Fortläufern finden, ist dadurch zu erklären, daß die Fortläu­fer mehr als die Nicht-Fortläufer ih­re Erziehung im Elternhaus als domi­nant empfinden.

Zusammenfassend läßt sich deutlich er­kennen, daß die Fortläufer andere Erzie­hungserfahrungen haben als die Nicht­Fortläufer. Wir können uns fragen, in­wiefern hier von einer Wechselwirkung zwischen der Erziehung im Elternhaus und der Erziehung in der Wohngruppe die Rede ist. Die Jugendlichen haben ja schon eine bestimmte Vorgeschichte. Die Erziehung im Elternhaus der Fort­läufer kennzeichnete sich schon durch ein hohes Maß an Dominanz. Das heißt, daß der Fortläufer wenig Spielraum für eigene Entscheidungen hat und wenig Gelegenheit geboten wurde, sich selb­ständig zu entwickeln. Die Entwicklung einer schwachen Identität und eine man­gelhafte Ego-Entwicklung können die Folgen sein.

Der kalte Charakter der Erziehung oder das Fehlen einer warmen Bezie­

nicht die notwendige Sicherheit und könnte mit einer mangelhaften Fähig­keit sich an eine Person zu binden, zu­sammenhängen.

Nach der Versetzung ins Fürsorgeheim setzen sich diese Tendenzen fort. In der Wohngruppe wird der Fortläufer nach wie vor dominant erzogen. Die Gruppen­erzieher bestätigen dies. In dieser Hin­sicht sieht der Fortläufer zwischen dem Erziehungsstil im Elternhaus und dem in der heutigen Wohngruppe kaum einen Unterschied.

Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß angesichts der oben besprochenen beschränkten Möglichkeiten der Grup­penerzieher, das Fürsorgeheim nicht die optimale Gelegenheit bietet, einen sol­chen Prozeß umzukehren. Das Fürsorge­heim ist in mancher Hinsicht gerade für Fortläufer, bei denen von einer mangel­haften Fähigkeit, Beziehungen anzu­knüpfen, die Rede ist, ungenügend aus­gerichtet.

So besehen ist es wohl kaum verwunder­lich, daß der Fortläufer auch in seiner Wohngruppe Probleme hat. Er empfin­det die Erziehung als ebenso dominant und außerdem kälter als die Erziehung

wir an dieser Stelle auf den prozeßmäßi­gen Aspekt dieser Erziehungsverhältnis­se hinweisen. Es ist ja nicht so, daß der Fortläufer einmal ins Heim versetzt plötzlich mit einer dominanten und kal­ten Erziehungsstruktur konfrontiert wird. Vielmehr können wir unsere Un­tersuchungsergebnisse als Produkt einer Wechselwirkung zwischen den Fortläu­fern und den Gruppenerziehern verste­hen. Der Fortläufer hat durch seine frü­heren Erfahrungen in der Familie nicht gelernt, in positiver Weise Beziehungen aufzubauen. Sein Verhalten in der Wohn­gruppe ist das in der früheren Familien­situation gelernte Verhalten. Die Grup­penerzieher arbeiten in einer Organisa­tion, die für den Abbruch solcher Bezie­hungsmuster nicht optimal ausgerüstet ist. Die Größe der Wohngruppen und die bereits genannte Diskontinuität fördern eher ein strukturierendes und regulieren­des Erziehungsklima. Zu beiden Seiten also sehen wir eine Anzahl von Fakto­ren, die der Entwicklung guter Bezie­hungen im Wege stehen und die den Ab­bruch eines negativen Beziehungsmu­sters, das die Fortläufer aufgrund frühe­rer Erfahrungen in der Familie aufge­

hung gibt den Fortläufern außerdem im Elternhaus.

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Anschrift des Verfassers Dr. H.L.W. Angenent Universität Groningen

Pinksterbloemweg 45 NL-9753 HD Haren, Holland

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Nachdrücklich wollen

baut haben, sehr schwierig machen.

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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XV, Heft 2, 1989