Einige Entgegnungen auf
Hansjosef Buchkremers Kritik
an(meiner Darstellung)
der Ethikposition Michael Tooleys
Von Christoph Anstötz
Mit Bezug auf Buchkremers Kritik an dem ethischen Standpunkt Michael Tooleys werden einige gegenkritische Argumente vorgetragen, die insbesondere auf den metaethischen Status sogenannter letzter Normen und Werte eingehen.
This reply to Buchkremer’s critique, concerning the ethical view of Michael Tooley, contains especially some arguments, which deal with the metaethical status of basic norms and values.
Vorbemerkung
Besonders erfreulich ist die Einstellung Hansjosef Buchkremers zum Streit, seine Bereitschaft, Auseinandersetzungen um heilpädagogische Themen als etwas Positives zu betrachten, als Mittel zum Zweck des pädagogischen Fortschritts. Diese liberale und auch extremen Positionen gegenüber tolerante aber eben auch streitbare Haltung ist für sein Kölner Seminar Allgemeine Heilpädagogik und Sozialpädagogik überhaupt kennzeichnend. Wäre diese Einstellung auch sonst in unserem Gewerbe verbreiteter, stünde es um den heilpädagogischen Standard mit Sicherheit besser als das gegenwärtig der Fall ist, sowohl auf den Bereich der Wissenschaft als auch auf den der Ethik bezogen. Buchkremers Erwiderung hat zwei Anliegen. Zum einen geht es ihm darum, die Rechteethik von Michael Tooley in verschiedener Iinsicht zu kritisieren. Zum anderen legt er als Eigenentwicklung bestimmte Ideen vor, die sich auf die Menschheitsgeschichte insgesamt beziehen und auf die Spezies
Homo sapiens der Gegenwart insbeson
dere. Zum ersten Aspekt werde ich mich kurz zu Wort melden, zum zweiten nicht.
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Die Frage nach den letzten ethischen Prämissen oder: „Wer knöpft den ersten Knopf?“
Die Problemlage, die Buchkremer in der Einleitung und auch in den folgenden Abschnitten unter anderem mit Hilfe der Metapher von der langen Knopfleiste vorstellt, läßt sich vielleicht folgendermaßen zusammenfassen. Man kann von bestimmten ethischen Prämissen ausgehen und an diese anknüpfend Schlußfolgerungen logisch und Schritt für Schritt weiterentwickeln. Am Ende wird die Beurteilung etwa darüber möglich, ob das Töten menschlicher oder nichtmenschlicher Lebewesen unter welchen Bedingungen moralisch erlaubt, verboten, geboten 0.ä. ist. Offensichtlich kann es Buchkremer nicht um eine Kritik des Verfahrens folgerichtigen Argumentierens innerhalb der Ethik gehen, sonst ließe er sich mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er selbst setzt ja einiges daran, die Begründungen Tooleys als„rational falsch‘(Buchkremer 1989, 133) herauszustellen. Wenn Buchkremer(1989, 133) in seiner Einleitung von einer Kongruenz zwischen meiner und Tooleys Position ausgeht, so ist dies in methodologischer Hinsicht sicher im wesentli
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG
chen berechtigt. Auch ich neige bekanntlich dem Standpunkt einer kritischen Moralphilosphie zu, die eine rationale Behandlung ethischer Probleme erforderlich macht. Damit ist aber noch keine Festlegung zugunsten einer ganz bestimmten normativen Ethikposition getroffen oder gar zugunsten einer ganz bestimmten ethischen Einzelentscheidung, welche stets einer eigenen Begründung innerhalb eines ethischen Systems bedarf. Normative Standpunkte, wie in diesem Falle der von Tooley, sind im Verständnis eines kritischen Rationalismus stets als kritisierbare und kritikbedürftige Vorschläge zu betrachten, die sich anhand metaethischer Kriterien, wie sie am Ende der vorliegenden Entgegnung erwähnt werden(vgl. Albert 1979, 513), zu bewähren haben. Soweit heilpädagogische Grundsatzfragen berührt sind, müssen wir uns mit den entsprechenden Ethiken, wie sie in der internationalen Diskussion Eingang gefunden haben, schon deshalb auseinandersetzen, um in einer für unser Anliegen vielleicht nicht mehr so günstigen Zukunft auch argumentativ auf dem letzten Stand zu sein. Eine entsprechende Forderung formulierte Buchkremer schon 1975(vgl. auch das Editorial).
Band XV, Heft 3, 1989