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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Qualitative Verfahren für Lehrende im

gemeinsamen Unterricht Zur Ermittlung des besonderen Förderbedarfs im Lernen und

Verhalten eines Jungen!

Von Rainer Benkmann

Im folgenden Beitrag wird die Auffassung vertreten, daß qualitative und quantitative Untersuchungen als gleichwertige Teile empirischer Sozialforschung zu sehen sind. Die Bedeutung qualitativer Verfahren für die Untersuchung pädagogischer Handlungsprobleme wird hervorgehoben. Am Beispiel einer Einzelfallstudie zum Lernen und Verhalten eines achtjährigen Jungen wird anschließend gezeigt, daß qualitative Verfahren (teilnehmende Beobachtung und problemzentriertes Ge­spräch) bei der Ermittlung des besonderen Förderbedarfs im gemeinsamen Unterricht mit zwei Lehrenden nütz­lich sind. Die Analyse der Beobachtungsdaten, die durch einen im Verfahren trainierten Sonderpädagogen erho­ben wurden, beruhte auf 121 Szenen. Quatschmachen, Ablenken, körperliche Aggression und Unselbständigkeit beim Lernen wurden als problemerzeugende Handlungs­muster identifiziert. Dokumentation und Analyse zur För­derung des Arbeits- und Sozialverhaltens basierten auf 83 Protokollausschnitten problemzentrierter Gespräche. Hier zeigten sich die Bemühungen der Lehrerin und des Sonderpädagogen, dem extrem hohen Förderbedarf des Jungen in der allgemeinen Schule zu entsprechen. Teil­nehmende Beobachtung und reflektierende Auseinan­dersetzung in problemzentrierten Gesprächen boten gute Gelegenheiten, den gemeinsamen Unterricht weiter zu entwickeln.

In the following article we argue that qualitative and quantitative research are equally important parts of social research. The relevance of qualitative methods in the educational field is emphasized. Moreover, a single case study of a an eight-year-old boy with special needs in learning and behavior shows that using qualitative methods(participant observation, problem­centered conversations) are valuable to find out special educational needs in integrated classes with two teachers. The analysis of observation data taken by a trained special educator was based on 121 scenes. Bulling be­havior, distracting, physical aggression and helplessness in learning were identified as patterns of behavior making trouble.

Documentation and analysis of the education of working and social behavior were based on 83 segments of problem-centered conversations. Here, the efforts of the female teacher and the special educator met the extremly special needs of the boy in regular school. Participant observation und reflexion during problem­centered conversations gave a good opportunity to develop the integration of handicapped children into regular school.

Einleitung und Untersuchungsanlaß

Qualitative Untersuchungen empirischer Sozialforschung werden bisher nur teil­weise von derscientific community anerkannt. Das liegt in erster Linie dar­

1 Dieser Beitrag ist eine veränderte und erweiterte Fassung meines Artikels im Buch von Eberwein & Mand(1995, 344-363).

an, daß ihre Verfahren fürunwissen­schaftlich gehalten werden. So heißt es etwa, daß diese Methoden zwar für die Phase der Exploration und Hypothesen­erkundung nützlich seien; dieeigent­lich wissenschaftliche Tätigkeit aber in der exakten Hypothesenüberprüfung be­stände. Vor allem genügten qualitative Verfahren den üblichen Gütekriterien klassischer Testtheorie nicht. Forschung

verlange doch die Ableitung und Über­prüfung von Hypothesen.

Ob qualitativen Verfahren Wissenschaft­lichkeit zugesprochen werden kann, ist wesentlich abhängig vom Forschungs­problem, und die Fragen nach Validität, Reliabilität und Generalisierbarkeit sind unter diesem Gesichtspunkt zu betrach­ten. Denn soll ein weitgehend uner­forschter Realitätsausschnitt untersucht

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995