terricht zusammen: Hier arbeiteten die Kinder konzentriert allein oder in kleinen Gruppen. Situationen wie im Morgenkreis, in denen sich der Junge vor der gesamten Gruppe darstellen konnte, kamen nicht vor. Beispiel Wie jeden Morgen treffen sich die Kinder mit Frau Rosen zwischen 8.30 und 8.45 auf dem Teppich im Morgenkreis. Frau Rosen hat jedesmal eine neue Überraschung für die Kinder, um sie auf den Schultag einzustimmen. Heute hat sie eine Schachtel mit kleinen flachen Steinen mitgebracht, die durch den Kreis wandert, damit sich jedes Kind einen Stein aussucht. Während die Schachtel im Kreis weiter gereicht wird, beginnen mehrere Kinder mit den Steinen zu experimentieren. Hans zum Beispiel klemmt sich seinen Stein vor die Augen, um ihn quasi als Monokel zu benutzen. Nachdem die Schachtel bei Frau Rosen wieder angekommen ist, fordert Frau Rosen die Kinder auf, noch mal nachzumachen, was sie vorher mit den Steinen ausprobiert haben. Einige Kinder legen die Steine aufs Knie und andere auf die Nase. Hans hat sich seinen Stein zunächst aufs Knie und dann auf die Fußspitzen gelegt. Anschließend steckt er sich den Stein ins Unterhemd und macht andere darauf aufmerksam, was er für einen großen„Pikkel“ an seinem Körper hat. Dies erheitert
Abb. 4: Verteilung der Szenen(n=24) Ablenken ohne andere Kinder(Abk.: Ohne) und mit anderen Kindern auf die pädagogische Situation Morgenkreis und Arbeitszeit
Rainer Benkmann- Qualitative Verfahren für Lehrende im gemeinsamen Unterricht
einige Kinder, vor allem weil der„Pikkel“ an verschiedenen Stellen des Körpers auftaucht.
Bei diesem Spaß geht der Stein verloren. Hans sucht ihn zwar an allen Stellen seines Körpers, findet ihn aber nicht. Sein Gesicht drückt dabei zunächst Verblüffung aus, bevor er sich mit übertriebener Mimik und Gestik wieder in Szene setzt. Mehrere Kinder lachen laut. Die Lehrerin beginnt den anderen zu erklären, welche Rechenaufgabe mit den Steinen erarbeitet werden soll, während Hans seinen Stein weiter sucht.
Das Beispiel steht stellvertretend für viele andere, in denen Hans versuchte, durch Quatschmachen die Aufmerksamkeit zu erregen. Die Lehrerin und andere Kinder wurden durch das ständige Sich-inden-Vordergrund-Spielen des Jungen natürlich erheblich gestört. Hans’ Selbstdarstellung vor der Gruppe hing mit seinem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung zusammen. Dieses Bedürfnis schien so groß zu sein, daß er es nur ungenügend befriedigen konnte, wenn er sich anders verhielt. Solche Selbst-Inszenierungen trugen dazu bei, daß Hans und, durch ihn beeinflußt, andere Kinder Arbeitsanweisungen der Lehrerin gar nicht oder nur unvollständig verfolgen konnten, wie das obige Beispiel am Schluß
der Sequenz zeigt..
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995
Ablenken: Von insgesamt 24 Szenen lagen 21 vor, in denen Hans abgelenkt war Oder andere ablenkte. In drei Fällen lenkten ihn jeweils Kevin, Piet und Mark ab. In 13 der genannten 21 Fälle war er allein abgelenkt, das heißt, er hatte keinen Kontakt mit einem anderen Kind. Ließen sich sieben Sequenzen mit Ablenken zwischen ihm und Kevin feststellen, kam jeweils nur eine mit vier anderen Jungen vor(Abb. 4).
Im Unterschied zu Quatschmachen trat Ablenken des Jungen ohne andere Kinder nicht im Morgenkreis, sondern in der Arbeitszeit am häufigsten auf. Die anderen Kinder wurden durch Hans wenig abgelenkt, was die geringe Zahl der vier Szenen Ablenken mit anderen Kindern deutlich macht. Ferner fällt die Zahl der Interaktionen zwischen Hans und seinem Freund Kevin im Morgenkreis auf, in denen beide abgelenkt waren.
Beispiel 1
11.25. Während alle Kinder bereits am Gruppentisch sitzen und der Arbeitsanweisung von Frau Rosen zum Rechnen zuhören, steht Hans noch an seinem Fach. Frau Rosen hält ein Rechenblatt hoch und sagt, daß sie es den Kinder zutraue, die Aufgaben selbständig zu rechnen.
Alle Kinder beginnen sofort zu arbeiten. Nur Hans nicht. Er läuft zum Geländer,
BE E) 4 al