der gesamten Klasse und des behinderten Schülers einzubeziehen.
Designprobleme und Fragestellung
In Abhängigkeit vom Rahmenmodell zur Persönlichkeitsentwicklung war eine zeitlich fortlaufende Erhebung individueller Schuldokumente(Zeugnisse, Entwicklungsberichte, Gutachten, Empfehlungen) und subjektiver Entwicklungsdaten(soziometrische Erhebungen, wiederholte Messung der Selbstkonzeptentwicklung, der emotionalen und sozialen Integration) geplant. Als entscheidende Meßzeitpunkte wurden die„Übergangssituationen‘“ angesehen(Wechsel in die Sekundarstufe, Schulabschluß). Einem derartigen Vorgehen standen zeitliche Verzögerungen durch Genehmigungs-, Organisations- und Erhebungsaufwand entgegen, was den Umfang der Datenerhebungen und den Längsschnitt der Kohorte I auf zwei Jahre, der Kohorte II auf ein Jahr reduzierte.— Dieser Beitrag bezieht sich auf Längsschnittdaten der Leistungsentwicklung und querschnittliche Daten des Selbstkonzepts sozialer Integration, schulbezogener motivationaler Befindlichkeit sowie des FähigkeitsSelbstkonzepts. Drei Fragen stehen hierbei im Mittelpunkt:(1) Wie verlaufen die Schulleistungen?(2) Wie entwickeln sich das Selbstkonzept sozialer Integration, die selbstkonzeptbezogene Emotion und Motivation und wie das Selbstkonzept eigener Fähigkeiten?(3) Welche Bedeutung kommt der Schulform als „objektivem“ Umweltmerkmal zu?
Ergebnisse zu ausgewählten Fragestellungen des Modellversuches
Im vorliegenden Beitrag sollen einige Bedingungskonstellationen und Entwicklungsverflechtungen mit der Leistungsentwicklung und Selbstkonzeptbildung in integrativen Klassen dargestellt werden. Folgende Stichproben und Erhebungen(möglichst annähernd komplette Datensätze) wurden einbezogen: 4 bzw. 2 Halbjahreszeugnisse von 743 Schülern
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zu zwei Kohorten und Fragebogenergebnisse zur Erfassung von Dimensionen der Integration von Schülern(FDI 4-6 von Haeberlin, Moser, Bless& Klaghofer 1989) der Kohorte I im 6. Schuljahr(Rücklauf n= 256) und der Kohorte II im 5. Schuljahr(Rücklauf n= 341). Von den behinderten Schülern beider Kohorten liegen entsprechende Daten von 53 Schülern vor, davon gelten 31 Schüler als lernbehindert.
Als Auswertungsmethoden wurden tTests und Varianzanalysen angewandt.*
Schulleistungsentwicklung in integrativen Sekundarklassen
Vorbemerkungen: Mit Blick auf den gesellschaftlichen Auftrag von Schulen, die Heranwachsenden auf die Leistungsgesellschaft vorzubereiten und die gesellschaftlichen Qualifikations- und StatusStandards zu vermitteln, ist es kaum verwunderlich, daß bei schulischen Reformansätzen die Frage nach der Schulleistungsentwicklung an erster Stelle steht. — Überblicke über Vergleichsstudien zur Leistungsentwicklung von lernbehinderten Schülern in Sonderschulen und Regelschulen, in denen eine Überlegenheit der Leistungsentwicklung in Regelschulen nachgewiesen wurde, haben Kniel (1979) und Sander(1982) dargestellt; ähnliche Ergebnisse zugunsten besserer bzw. gleicher Leistungsentwicklung in Regelschulen(ohne sonderpädagogische Unterstützung) erbrachten weitere Untersuchungsbefunde von Merz(1982) und Tent u.a.(1991).
In einer Reihe von Forschungsprojekten zu Modellversuchen in Integrationsklassen stand der Vergleich von Integrationsund Parallelklassen im Vordergrund, so bei Untersuchungen in Hamburg(Wokken 1987), in Berlin(Hetzner 1988), in Bonn(Dumke& Schäfer 1993). Die Ergebnisse sowohl bezüglich Grundschule wie Gesamtschule sind insofern bedeutsam, als sie zumindest ein„Patt“ zwi
* An dieser Stelle möchten wir Frau Dagmar Schnitger, cand. paed., für die Datendokumentation und Herm Christoph Paulus, M.A., für die Analysen mittels ALMO Statistik-System(Holm 1991) herzlich danken.
Anne Hildeschmidt und Alfred Sander- Integration behinderter Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe I
schen den Vergleichsklassen erbrachten(Wocken 1987). Dumke& Schäfer (1993) interpretieren ihre Befunde als Überlegenheit der Schulleistungen in den Integrationsklassen. In einer Schweizer Studie wurde zusätzlich der Frage nachgegangen, ob die Koedukation von lernbehinderten und nichtbehinderten Schülern auf Kosten der Schulleistungsentwicklung begabter Schüler(IQ> 115) ginge. Ergebnis: Die Schulleistungsanstiege von Klasse 4 nach Klasse 6 waren mit denen der Kontrollgruppe vergleichbar. Daraus schlußfolgerten die Autoren (Bless& Klaghofer 1991), daß in Regelklassen mit sonderpädagogischer Unterstützung die begabten Schüler in ihren Lern- und Leistungschancen gegenüber den leistungsschwachen Schülern nicht benachteiligt werden.
Da der saarländische Modellversuch sich „flächendeckend“ auf die integrativen Klassen am Beginn der Sekundarstufe I bezog, kam eine längsschnittliche Beobachtung über ein bis zwei Schuljahre in Betracht, und Vergleiche konnten nur „systemimmanent“ erfolgen.— Für die Festlegung des Schulleistungskriteriums waren folgende Überlegungen bestimmend: Die Notenskala dient in der Regel als Meßlatte für die Leistungsverteilung in einer Klasse. Dies müßte auch für integrative Klassen gelten, da bei zieldifferenter Unterrichtung sozusagen eine niveauniedrigere Meßlatte(Lehrziele der Schule für Lernbehinderte) mit derselben Notenverteilung zugrundezulegen ist. Die Lehrerurteile in Form von Zeugnisnoten legen faktisch und kognitiv die Schullaufbahnen der Schüler fest. Außerdem sind die Klassen- und Fachlehrer der Regelschule zusammen mit den stundenweise unterstützenden Sonderpädagogen die Hauptakteure schulischer(Einzel-) Integration im Saarland. Aus diesem doppelten Blickwinkel schien es uns adäquat, trotz der Fragwürdigkeit der Zensurengebung die Ziffernbeurteilung als Kriterium für die „wahrgenommene“ Leistungsentwicklung(von Lehrern, Eltern, Schülern) zu wählen.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995