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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Anne Hildeschmidt und Alfred Sander- Integration behinderter Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe I

Tab. 4: Signifikante Unterschiede in den Jahresnoten der nichtbehinderten

Schüler in Abhängigkeit vom Geschlecht

Mädchen

n AM Verhalten(Kl.5) 255 1,8 Mitarbeit(Kl.5) 255 2,5 Deutsch(Kl.5) 341 3.0 Biologie(Kl.5) 343 3.0 Verhalten(Kl.6) 112 1,9 Mitarbeit(Kl.6) 12 2,7 Deutsch(Kl.6) 144 3.0 Biologie(Kl.6) 145 2,8

Leistungsbeurteilungen von Integrations­schülern insgesamt und die geschlechts­spezifischen Beurteilungen insbesonde­re zu reflektieren. Die geschlechtsspezi­fischen Beurteilungen der nichtbehin­derten Schüler unterscheiden sich deut­licher als die der Integrationsschüler ge­genüber ihren Mitschülern. Geschlechts­spezifische Unterschiede bei Integra­tionsschülern scheinen stärker verwischt, sie betreffen signifikant nur die Verhal­tensbeurteilungen der Mädchen in den Klassen 5 und 6. Auch Integrations­schülerinnen werden in ihrem Verhal­ten signifikantbesser beurteilt als be­hinderte und nichtbehinderte Jungen.

Interpretation: Wie sind die Ziffern­beurteilungen für nichtbehinderte und anders behinderte Integrationsschüler im Vergleich zu lernbehinderten Schülern zu interpretieren? Möglicherweise ste­hen die beurteilenden Lehrer in ihrem Entscheidungsprozeß der Leistungsbe­urteilung in einem Konflikt zwischen Verschiedenheit des Lehrplanniveaus und Gleichheit in bezug auf die besuch­te Klasse der Regelschule, ein in den Leh­rerarbeitsgemeinschaften häufig disku­tiertes Problem. Dabei bemühen sie sich um einen Abstimmungsprozeß, indem sie den lehrzielbezogenen(zielgleich/ zieldifferent) Lernfortschritt, teilweise korrigiert durch den Klassenkontext, be­urteilen. Andererseits deutet die relativ positive Notenentwicklung der lernbe­hinderten Schüler darauf hin, daß im Kontext des Schulwechsels nach der Grundschule ein Positionswechsel mög­lich ist, dem das Lehrerurteil gerade zum Ende der Orientierungsstufe Rechnung trägt. Denkbar wäre es auch, daß die

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Jungen

n AM 279 2,6 278 2,9 392 3,4 393 33 109 2,9 109 3,2 148 3,5 148 33

zum Schuljahresende 1990/91 angeord­neten speziellen Zeugnisformulare für zieldifferent unterrichtete Integrations­schüler im Saarland in ihrer regulieren­den Funktion sozusagen erst ein Jahr später wirksam wurden. Gegen diese An­nahme spricht allerdings, daß die No­tendurchschnitte der Kohorte I im 5. Schuljahr ebenfalls auseinanderklaffen. Schließlich könnte die Benotung auch einenMildeeffekt beinhalten. Für die­se Annahme spricht, daß die Noten­durchschnitte der zielgleich unterrichte­ten Integrationsschüler direkt nach dem Wechsel in die Sekundarstufe in Deutsch tendenziell über den Noten der nicht­behinderten Mitschüler liegen und in Mathematik denen der Mitschüler gleich sind. Allerdings nähern sich diese Lei­stungsbeurteilungen im Jahreszeugnis der Klassenstufe 6 ebenfalls den beiden anderen Gruppen an. Denkbar wäre auch, daß die relativ besseren Beurtei­lungen der lernbehinderten Schüler in den Hauptfächern jeweils durch Sonder­schullehrerurteile zustande gekommen sind(Mildeeffekt), während die nied­rigeren Durchschnittsnoten in den Na­tur- und Gesellschaftswissenschaften durch die Klassen- bzw. Fachlehrer ver­geben wurden. Der erwarteteStrenge­effekt zum Ende der Orientierungsstufe läßt sich, abgesehen von der schlechte­ren Mitarbeitsbeurteilung lernbehinder­ter Schüler, weder in den Durchschnitts­noten für nichtbehinderte noch für ziel­gleich oder zieldifferent unterrichtete Integrationsschüler nachweisen.

Entwicklung des Selbstkonzeptes (FDI-Ergebnisse)

Vorbemerkungen: Kinder lernen in un­serer Leistungsgesellschaft sehr schnell, wie wichtig es ist, gute Schulleistungen zu erreichen. Lernbehinderte Schüler und leistungsschwache Schüler wissen, daß sie den Leistungsnormen der Regel­schule nicht entsprechen. Kann der Lern­ort Regelschule diese Schüler überhaupt noch zum Lernen motivieren und ihre soziale Kompetenz sowie ihre Selbst­konzeptentwicklung fördern?

Unter dem Selbstkonzept einer Person wird eine im Gedächtnis gespeicherte Gesamtheit selbstbezogener Kognitionen verstanden. Solche personbezogenen In­formationen sind vielfältig und gelten als hierarchisch aufgebaut, von situa­tionsgebundenen, variablen spezifischen Kognitionen bis zu situationsübergrei­fenden, eher zeitstabilen generellen Über­zeugungen. Zu Entwicklungsverläufen des Selbstkonzepts liegen im Kontext schulischer Sozialisation primär For­schungsergebnisse in bezug auf das Fä­higkeits-Selbstkonzept vor. Nach extrem positiven Selbsteinschätzungen im Kin­dergartenalter und in der ersten Grund­schulklasse sinkt die Fähigkeits-Über­zeugung bereits im Verlaufe der Grund­schule allmählich ab, was vor allem auf die leistungsschwächeren Schüler zu­rückzuführen ist, währenderfolgreiche Schüler ihr positives Selbstkonzept weit­gehend aufrechterhalten(Helmke 1991). Nach der Grundschulzeit wird von einer weitgehenden Stabilität des Fähigkeits­Selbstkonzeptes ausgegangen(Pekrun& Helmke 1991). Ob sich ein Schüler als mehr oder weniger fähig einschätzt, wird vor allem durch soziale Vergleichspro­zesse mit relevanten Bezugspersonen, insbesondere den Mitschülern, beein­flußt. Wo nämlich Schüler mit Ände­rungen ihrer relativen Leistungsposition aufgrund eines Bezugsgruppenwechsels konfrontiert sind, lassen sich differen­tielle Entwicklungen verzeichnen. In ei­ner längsschnittlich angelegten Studie zur Entwicklung des Fähigkeitskonzepts von leistungsschwachen, sog. lernbehin­derten Schülern entwickelte sich das Selbstkonzept in Sonderschulen positi­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995