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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Anne Hildeschmidt und Alfred Sander- Integration behinderter Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe I

riger als die der nichtbehinderten Schü­ler(n=597), ein signifikanter Unterschied zeichnet sich jedoch nur zwischen nicht­behinderten und lernbehinderten Schü­lern ab. Verglichen mit der leistungs­schwachen Kontrollgruppe(n=13) sind die Einschätzungen ähnlich niedrig und liegen unter denen zielgleich unterrichte­ter Integrationsschüler.

Obwohl die Selbsteinschätzungen der lernbehinderten und leistungsschwachen Schüler hinsichtlich des Fähigkeits­Selbstkonzepts hervorhebenswert nied­rig liegen, weicht das Lehrerurteil noch deutlich nach unten ab, hochsignifikant bei den lernbehinderten Schülern und immerhin noch signifikant bei den lei­stungsschwachen Schülern. Die durch­schnittliche Fähigkeitseinschätzung der anders behinderten, zielgleich unterrich­teten Integrationsschüler entspricht der der nichtbehinderten Schüler und deckt sich auch mit dem Lehrerurteil(s. Tab. 5).

Zusammenfassung und Interpretation: Entgegen vorliegenden Forschungsbe­funden, wonach sich lernbehinderte Schüler in Sonderschulen emotional und sozial besser angenommen fühlen, bele­gen die Ergebnisse des Modellversuchs, daß die emotionale und soziale Situati­on der lernbehinderten und anders be­hinderten Integrationsschüler in den gro­ßen Regelschulklassen ebenfalls positiv ist. Dies hängt möglicherweise auch mit der stundenweisen sonderpädagogischen Unterstützung von Kindern und Leh­rern zusammen. Denkbar wäre auch, daß außerhalb des Leistungsbereichs der Grundgedanke schulischer Integration als einemMiteinander-leben-lernen bereits greift. Problematisch scheint je­doch die Entwicklung des Fähigkeits­Selbstkonzepts bei lernbehinderten und leistungsschwachen Schülern trotz der sich abzeichnenden positiven Leistungs­entwicklung. Die ungünstigere Einschät­zung eigener Leistungsfähigkeit der lern­behinderten Integrationsschüler wie der leistungsschwachen Kinder wird in der Regel als Bezugsgruppeneffekt interpre­tiert. Bedenkt man jedoch, daß sich die­se Schüler in den integrativen Klassen sozial und emotionalgut integriert fühlen, so scheint eine differenziertere

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Analyse möglicher personinterner und systemischer Wirkungsverflechtungen in zukünftigen Untersuchungen erforder­lich: auf Schülerseite Selbstwirksamkeit, Erfolgszuversicht, Selbstwertgefühl, Lei­stungsängstlichkeit, Kausalattribuierung, Kontrollverlust und auf Lehrerseite men­tale Vorstellungen und individuelles Coping im Kontext schulischer Integra­tion behinderter Schüler, Unterrichtskli­ma, praktizierter Unterrichtsstil, Beurtei­lungsmaßstäbe im Schulalltag und bei Prüfungen.

Schulform alsobjektives Umweltmerkmal und ihre Entwicklungswirksamkeit

Fähigkeitsselbstkonzept: Aus bereits vorliegenden Untersuchungen geht her­vor, daß es für die Entwicklung des Fä­higkeitsselbstkonzepts eine Rolle spielt, auf welche Sekundarstufenschule ein Schüler wechselt. Jerusalem& Schwar­zer(1991) konnten unmittelbar nach dem Übertritt in die Sekundarstufe ein posi­tiveres Selbstwertgefühl bei Gymnasial­schülern als bei Hauptschülern nachwei­sen. Dieser schulformspezifische Unter­schied verwischte sich jedoch im Ver­laufe der Schulzeit. Solche signifikanten Haupteffekte der Schulform, mittels Varianzanalyse erfaßt, bestätigten sich in unserer Untersuchung nur für die Ko­horte I, wobei das Fähigkeits-Selbst­konzept der Schüler(n=51, davon 2 In­tegrationsschüler), die eine weiterfüh­rende Schule besuchten(Realschule, Gymnasium), erwartungsgemäß höher lag als das der Hauptschüler(n=138, davon 8 Integrationsschüler) und der Ge­samtschüler(n=104, davon 5 Integra­tionsschüler).

Aufgrund der in der Regel hohen Bedeu­tung schulischer Integration für die be­hinderten Schüler und deren Eltern könnte der Wechsel der Integrations­schüler in eine Sekundarstufenschule an Stelle einer Sonderschule gerade durch die sozialen Vergleichsprozesse zu ei­ner insgesamt positiveren Fähigkeits­einschätzung führen. Daß dem nicht so ist, wurde bereits dargelegt. Wir neh­men an, daß der überschaubare Vergleich mit der konkreten Bezugsgruppe die ab­straktere Struktur des mehrgliedrigen Schulsystems überlagert.

Leistungsentwicklung: Abgesehen von dem durch die Schulform vermittelten Fähigkeitsniveau und dem Bezugs­gruppeneffekt geht die Integrationsfor­schung von einer schulformabhängigen günstigen integrativen Unterrichtsbe­dingung und damit verbundenen Opti­mierung der Leistungsentwicklung aus, die in der Sekundarstufe vor allem der Gesamtschule zugeschrieben wird. Wäh­rend in Gymnasien und Realschulen also Schulen ohne zieldifferente Integra­tion behinderter Schüler das Fachleh­rersystem verwirklicht wird, findet sich in saarländischen Hauptschulen öfters einFachgruppen-Lehrerprinzip. Das Team-Kleingruppen-Modell wird im Saarland nur an Gesamtschulen prakti­ziert. Die an unserem Modellversuch teilnehmenden wenigen Schulen des neuen Typs Sekundarschule arbeiteten gemäß dem Fachlehrerprinzip. Stellt sich die Frage, ob die Gesamtschule hinsicht­lich der Leistungsentwicklung, der so­zialen und emotionalen Integration hält, was das Team-Kleingruppen-Modell ver­spricht.

Eine varianzanalytische Überprüfung für die Mathematiknoten des 5. Schuljahres

Tab. 6: Varianzanalyse für die Mathematiknoten(5. Schuljahr, Kohorte I und II)

Faktor

A Schüler(behindert/nichtbehindert) B Geschlecht(weiblich/männlich)

cC Schulform(Gesamtschule/Hauptschule/

weiterführende Schulen)

AxB

AxC

BxC

AxBxC

F-Wert df Sign.­

Niveau 2-21 2 ns 3.51 1 5% 3.00 2 5% 0.36 ns. 1.81 ns. 0.23 ns. 0.74 ns.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995