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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Anne Hildeschmidt und Alfred Sander- Integration behinderter Schüler und Schülerinnen in der Sekundarstufe I

beider Kohorten in Abhängigkeit von Schülermerkmalen des sonderpädagogi­schem Förderbedarfs, der Geschlechts­zugehörigkeit und der besuchten Sekun­darstufenschulform erbrachte signifikan­te Haupteffekte von Geschlechts- und Schulformzugehörigkeit und keine signi­fikanten Wechselwirkungen. Nach einer Analyse der Einzelkontraste fielen die Noten in weiterführenden Schulen bes­ser aus als in Gesamtschulen und in Hauptschulen.

Soziale Integration: Eine weitere Vari­anzanalyse zur sozialen Integration(FDI SI) in Abhängigkeit von den 0.g. Merk­malen erbrachte einen signifikanten Haupteffekt in bezug auf die einbezoge­nen Schulformen(1%). Dieser geht ei­nerseits zurück auf eine positivere SO­ziale Integrationseinschätzung der Schü­ler weiterführender Schulen(n=175) ge­genüber den Schülern in Hauptschulen (n=251) und Gesamtschulen(n=171) und andererseits auf ein positiveres Inte­grationskonzept der Gesamtschüler ge­genüber den Hauptschülern.

Emotionales Integriertsein: Hinsicht­lich des emotionalen Integriertseins(FDI EI) ergaben sich signifikante Hauptef­fekte in bezug auf das Geschlecht und die Schulform: Wie bereits ausgeführt, liegen die durchschnittlichen emotiona­len Einschätzungen aller Schülergruppen der saarländischen Untersuchung über denen der Eichstichprobe; die Kontrast­analyse zur Variable Geschlecht zeigt, daß die positiven Einschätzungen der Mädchen signifikant über denen der Jun­gen liegen. Die schulformspezifischen Effekte gehen vor allem auf die positi­veren Selbsturteile der Gesamtschüler gegenüber den Hauptschülern zurück.

Zusammenfassung und Interpretation: Die Untersuchungsergebnisse aus dem Modellversuch und die Erfahrungen, gewonnen aus zahlreichen Beratungs­gesprächen mit beteiligten Lehrerinnen und Lehrern, zeigen, daß keine Schulart der Sekundarstufe I grundsätzlich für die Integration behinderter Kinder und Ju­gendlicher ungeeignet wäre. Zieldiffe­rente gemeinsame Unterrichtung findet

erfolgreich in Hauptschulen, Gesamt­schulen und Sekundarschulen statt, also unter den Bedingungen des Fachgrup­penlehrersystems, des Team-Kleingrup­pen-Modells und des Fachlehrersystems. Bezogen auf das neue Organisations­konzept Team-Kleingruppen-Modell (TKM), das zu schönen Hoffnungen be­rechtigte, muß nach unseren Erfahrun­gen deutlich gesagt werden, daß auch das TKM nicht ohne weiteres die best­mögliche Verwirklichung von zieldiffe­renter Integration garantiert. Auch im TKM entscheidet der systemische Kon­text aller Variablen über das Ausmaß des pädagogischen Erfolgs oder Mißlin­gens.

Bezüglich der Gesamtschule, die allein das TKM praktiziert, haben unsere Be­fragungen und Beobachtungen im we­sentlichen folgende Ergebnisse gebracht: Ungünstig im Hinblick auf zieldifferente Integration behinderter Schüler wirkt sich die Tatsache aus,

®@ daß die noch relativ wenigen Gesamt­schulen im Saarland nach eigener Aus­sage überproportional viele Kinder und Jugendliche mit Problemen in ihrer Schülerschaft haben. In den Gesamtschu­len sind leider nicht alle Schülergruppen gleichmäßig vertreten, sondern Problem­schüler gehäuft;

® daß die Schulleitungen und viele Lehrpersonen der Gesamtschulen in dem Bewußtsein arbeiten, ihre Schule stehe ständig unter scharfer Beobachtung von bildungspolitisch konservativer Seite und damit unter großem Erfolgsdruck;

® daß im Saarland auf Grund der dem Bildungsbereich auferlegten Sparzwänge einige pädagogisch wichtige Arbeitsbe­dingungen in den Gesamtschulen ver­schlechtert worden sind(Tutorenstund en, Klassenfrequenzen, Förderstunden, Möglichkeiten zur Doppelbesetzung); ® daß die Gesamtschulen durchweg recht große Schulen sind, welches be­sonders die Möglichkeit der Integration von Kindern mit Lernbehinderungen und geistigen Behinderungen einschrän­ken kann. Zwar haben die neueren saar­ländischen Gesamtschulen nicht mehr die Zahlendimensionen, wie manche Mammutsysteme der ersten Generation

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995

von bundesdeutschen Gesamtschulen sie aufwiesen, aber im Vergleich etwa zu den saarländischen Hauptschulen sind die Gesamtschulen im Durchschnitt viel größer und daher für manche Schüler schwerer durchschaubar.

Günstig im Hinblick auf zieldifferente Integration wird von vielen jedoch nicht von allen Befragten das TKM bezeichnet,

® weil es gute organisatorische Voraus­setzungen für individuelle pädagogische Hilfen bietet;

® weil das ideologische Grundkonzept der Gesamtschule, eine Schule für alle zu sein, auch für Kinder mit einer Behin­derung gilt;

® weil in der Gesamtschule im Unter­schied zu fast allen anderen Schulen die Lehrpersonen Teamwork und unter­richtliche Kooperation gewöhnt sind; das heißt, daß das Hinzukommen einer Son­derschullehrkraft für die gezielte Integra­tionsunterstützung bei ihnen nicht sol­che Widerstände, Befremden und Äng­ste auslöst, wie es oft in anderen Schul­arten der Fall ist;

® weil die Lehrerteams in der Gesamt­schule pädagogische Fallbesprechungen durchzuführen gewöhnt sind und damit eine wichtige Stufe kooperativer Profes­sionalität auch im Hinblick auf die Inte­gration behinderter Jugendlicher gewon­nen haben;

® weil daslernbehinderte Integra­tionskind nicht das leistungsschwächste Kind in der Gesamtschulklasse(oder Hauptschulklasse) war. Das Selbstver­trauen und die Lernmotivation eines Integrationskindes können durch diese Erfahrung erheblich gefördert werden. ® weil durch die zeitweise Mitwirkung der Sonderschullehrkraft auch anderen Schülern der Klasse wichtige pädagogi­sche Hilfen gegeben werden konnten.

Wie unschwer ersichtlich, gelten einige dieser Gesichtspunkte auch für andere Schularten im Bereich der Sekundarstufe I, andere sind gesamtschulspezifisch. Die in der Fragestellung hervorgehobene Va­riable Fachlehrersystem, insbesondere Effektivität des Team-Kleingruppen-Mo­dells, ist als Ergebnis unseres Modell­versuches also stark relativiert worden.

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