Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
28
Einzelbild herunterladen

berlin(1993, 372f.) auf diesem Kontinu­um durchaus unterschiedlich zugeordnet werden. Damit einher geht die Notwen­digkeit zur Verschränkung von quanti­tativen und qualitativen Forschungsme­thoden, da bei zunehmender Praxisnähe auch qualitative Forschungskonzepte an Bedeutung gewinnen. Auch hier gilt gleichwohl weiterhin das Kriterium ei­ner methodisch-kontrollierbaren und in­tersubjektiv überprüfbaren Forschungs­strategie. Offenbar stehen wir also vor der Aufgabe, den seit derempirischen Wende geltenden Standard erziehungs­wissenschaftlicher Forschung aus den Erfahrungen mit der wissenschaftlichen Begleitung von Gemeinsamer Erziehung heraus zu erweitern und zwar ohne den Anspruch an die Wissenschaftlich­keit dieser Forschungen aufzugeben. Da­bei gilt es sich zunächst das Trennende dieser beiden idealtypischen Forschungs­strategien vor Augen zu halten. Die auf quantifizierbare Ergebnisse ausgerichtete Methodologie beinhaltet letztlich immer den Zwang zur Operationalisierung von Interaktionsprozessen und sozialen Si­tuationen und führt damit zu einer Be­trachtungsweise, die den Blick der for­schenden Subjekte zunehmend auf die operationalisierten Verhaltensaspekte zentriert, sog.Störvariablen nach Mög­lichkeit ausschalten will und standar­disierte Forschungssituationen anstrebt (Atteslander 1975, 172). Qualitative So­zialforschung fordert demgegenüber die Ausweitung der Betrachtungsweise, die Einbeziehung aller Situationsvariablen und möglichst allseitige Erfassung des Forschungsfeldes unter völligem Ver­zicht auf vorgefaßte Operationalisierun­gen(vgl. Lamnek 1989, 140).

Wenn wir nun wie die bisherigen Er­fahrungen zur Integrationsforschung be­legen vor dem Problem stehen, diese zunächst einmal unvereinbaren Betrach­tungsweisen miteinander zu verknüpfen, so stellt sich die Frage, inwieweit dies wissenschaftstheoretisch zu legitimieren ist. Rückfragen in das Gebiet der phäno­menologischen Methodologie(Danner 1989 u. Langeveld& Danner 1981) deu­ten hier eine komplementäre Lösung an. Aus phänomenologischer Sicht ist das Verhalten eines einzelnen nicht unab­

28

Ulrich Heimlich und Ditmar Schmetz- Beobachtung integrativer Spielprozesse

hängig von Interaktionen mit anderen und der Situation, in der diese sich befin­den, zu erfahren. Forschungsgegenstand der Integrationsforschung wäre somit aus phänomenologischer Sicht a priori nicht das Verhalten eines einzelnen oder sei­ne Interaktionen mit anderen, sondern stets die Situation, in der sie sich befin­den. Soziale Wirklichkeit wäre somit nur als Situation erfaßbar. Weiterhin postu­liert die Phänomenologie eine unmittel­bare Verknüpfung von Mensch und Welt (die sog.Intentionalität, vgl. Danner 1989, 125; Lamnek 1989, 54), die auch das forschende Subjekt in einer unmittel­baren Weise mit seinem Forschungs­gegenstand verknüpft. Vorwissen, Vor­urteile und biographisch oder ideologisch bedingte Erwartungshaltungen bezüglich der Forschungsergebnisse prägen dieses intentionale Verhältnis zwischen For­schungssubjekt und Forschungsgegen­stand aus. Wenn wir uns jedoch um eine möglichst vorurteilsfreie Betrachtung be­mühen und unsere Voreinstellungen ein­klammern, uns von diesertheoretischen Welt also distanzieren, können wir er­fahren, daß wir in einer naiven und spon­tanen Weise mit der Welt verbunden sind. Wir können auch sagen, daß das forschende Subjekt auf der Ebene der natürlichen Einstellung(vgl. Danner 1989, 127f.; Lamnek 1989, 51ff.) mit seinem Forschungsfeld bereits verknüpft ist. Es gilt sich dieses Umstandes in ei­ner Distanzierung von vorgefaßten Ur­teilen und theoretischen Annahmen be­wußt zu werden. In der Sprache der Phä­nomenologie ist damit die ersteepoch& (Danner 1989, 128) vollzogen. Dies stellt gleichsam das lebensweltliche Funda­ment jeglicher wissenschaftlichen Er­kenntnis dar. Wenn diese phänomeno­logische Prämisse vom intentionalen Mensch-Welt-Bezug richtig ist, dann folgt daraus, daß objektivierte Erkennt­nis stets nur mit Einschränkungen zu erreichen ist. Auch jegliche wissenschaft­liche Erkenntnis, die sich möglichst weit­gehend ihrer Vor-Urteile enthält, ist gleichwohl nicht frei von subjektiven An­teilen und insofern nur in eingeschränk­tem Umfang objektivierbar, geschweige denn generalisierbar. Die Phänomeno­logie behauptet also die lebensweltliche

und subjektive Verankerung jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis und ge­winnt so ein beträchtliches kritisches Po­tential gegen Idealisierungstendenzen oder dieLebenweltvergessenheit(E. Husserl) der Erziehungswissenschaf­ten. Bezogen auf die hier in Rede ste­hende Problemstellung der Vermittlung von quantitativen und qualitativen For­schungsmethoden läßt sich deshalb aus phänomenologischer Sicht schlußfol­gern, daß eine Höherbewertung der ei­nen(empirisch-quantitativ) vor der an­deren(kasuistisch-qualitativ) nicht ab­leitbar ist. Umgekehrt gilt, daß auch aus phänomenologischer Sicht der empi­risch-quantitativen Forschungsmethode und ihrem Versuch, zur objektiven Er­kenntnis zu gelangen, keineswegs das Kriterium der Wissenschaftlichkeit ab­gesprochen werden kann. Im Sinne von Maturana& Varela(1987, 36) führt auch diese Zugangsweise zur Wirklichkeit insofern begegnen sich hier Phänomeno­logie und Konstruktivismus zu einer gemeinsam hervorgebrachten Welt, eine Erkenntnis über das Erkennen, die Speck (1991, 61) zu der Folgerung veranlaßt, die Möglichkeit derendgültigen Aus­sagen über die Wirklichkeit prinzipiell zu bezweifeln. Quantitative und quali­tative Forschungsstrategien stellen des­halb nur unterschiedliche Zugangswei­sen zu sozialen Situationen z.B. in der Gemeinsamen Erziehung dar. Wenn sie wissenschaftliche Zugangsweisen sein wollen, so müssen sie nach gegenwärti­gem Konsens methodisch kontrolliert und intersubjektiv überprüfbar im Sinne eines vereinbarten Validitätskriteriums (vgl. Maturana& Varela 1987, 34f.) sein. Dies kann auch bei eher qualitativ aus­gerichteten Forschungsdesigns dadurch geschehen, daß die Strategien, Instru­mente und Probleme der Ergebnisinter­pretation möglichst offengelegt werden und so für andere Wissenschaftler über­prüfbar bzw. mit Einschränkungen re­plizierbar werden. Die Bedeutung die­ses komplementären oder methodenplu­ralistischen Forschungskonzepts wird besonders deutlich bei alltagsbezogenen Aussagen von integrationspädagogisch Tätigen, die ihre Erfahrungen und In­terpretationen über Beobachtungen kind­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995