lichen Verhaltens zum Ausdruck bringen. Als Beispiel für eine solche Aussage soll der folgende Ausspruch einer Erzieherin eines integrativen Kindergartens gelten:
„Peter ist heute wieder sehr aggressiv!“
Diese Aussage mutet zunächst wie eine einfache Feststellung an, die aus der reichhaltigen Praxiserfahrung der Erzieherin heraus eine gewisse Richtigkeit beansprucht. Peter wird also hier von der Erzieherin ein aggressives Verhalten persönlich zugeschrieben, daß durch den Zusatz„sehr“ eine bestimmte Intensität erhält. Zusätzlich wird eine zeitliche Zuordnung vorgenommen, die einerseits ein gegenwärtiges Ereignis bezeichnet, aber zugleich die Wiederholung beschreibt. Gerade aggressive Verhaltensweisen bei Kindern werden von Erwachsenen jedoch häufig negativ bewertet. Von besonderer Bedeutung ist hier auch, daß eine Erzieherin das aggressive Verhalten eines Jungen bewertet. Diese Wertmaßstäbe müssen nicht notwendigerweise übereinstimmen. Es könnte also durchaus sein, daß Peter oder seine Spielpartner dieses Verhalten ganz anders, nämlich als Spiel bewerten und die Aggressivität hier eher eine gespielte Qualität innehat(vgl. Wegener-Spöhring 1989). Fraglich ist ebenfalls, ob die Intensität und die Häufigkeit dieses Verhaltens von der Erzieherin objektiv richtig eingeschätzt werden. Es scheint eher ihre subjektive Belastung durch aggressives Verhalten zum Ausdruck gebracht worden zu sein, ohne daß systematische Aufzeichnungen über die Häufigkeit des Verhaltens oder genaue Definitionen seiner Intensität vorgenommen worden wären. Ein operationalisiertes Beobachtungsschema, das mit Zeitintervallen versehen wäre, könnte in diesem Zusammenhang sicher die„ideologiekritische‘“ Funktion übernehmen, sowohl die Aggressivität insgesamt theoriegestützt zu operationalisieren(und damit Bewertungen bewußt machen), als auch ihre Häufigkeit, Intensität und Zuordnung zu Peter genauer zu erfassen. Dies würde auch auf der hier vorliegenden handlungsbezogenen Ebene für eine quantitative Beobachtungsstrategie sprechen. Die em
Ulrich Heimlich und Ditmar Schmetz: Beobachtung integrativer Spielprozesse
pirisch-quantitative Erforschung dieses aggressiven Verhaltens würde darüber hinaus die situativen Variablen innerhalb eines experimentellen Designs möglichst vollständig zu kontrollieren trachten und deshalb versuchen, die Beobachtungssituation weitgehend zu standardisieren. Wollen wir jedoch das Verhalten von Peter in einem umfassenden Sinne„verstehen“(Wember 1992), so sind wir auf interpretierende Aussagen über den Gesamtkontext angewiesen, in die möglichst vielfältige Informationen eingehen. Dabei könnte sich z.B. zeigen, daß Peter selbst sein Verhalten keineswegs als aggressiv ansieht und mit diesem Verhalten sogar prosoziale Ziele im Sinne von Kontaktaufnahme verfolgt oder daß Peter seinerseits wiederum auf aggressive Handlungen von Spielpartnem reagiert und das aggressive Verhalten ihm nicht allein zugeschrieben werden kann. Es stellt sich also über die sinnlich-wahrnehmbare Ebene des aggressiven Verhaltens hinaus die Frage nach den Sinn-Perspektiven der Aggression. Aggressives Verhalten kann danach durchaus subjektiv sinnerfüllt sein (Winkel 1993, 6ff.). Erst darauf aufbauend wären handlungsrelevante Erkenntnisse im Sinne pädagogischer Intervention möglich, die Peter nicht vorschnell isolieren und diskriminieren, ganz abgesehen von weiteren Informationen aus der Lebenssituation von Peter, die möglicherweise verursachende Bedingungen für sein Verhalten aufklären können. In jedem Fall gilt, daß mit einer rein quantitativen oder einer rein qualitativen Beobachtungsstrategie allein, wenig Aufschluß über Peters Verhalten zu erreichen ist. Wir benötigen offenbar auch aus pragmatischer Sicht eine Kombination dieser unterschiedlichen Konzepte. Aus phänomenologischer Sicht ergänzen sich diese Konzepte im Sinne von Komplementarität insofern, als sie nur unterschiedliche Ausprägungen des intentionalen Mensch-Welt-Bezuges im Sinne unterschiedlicher Betrachtungsweisen beinhalten, einem Zoom-Objektiv mit unterschiedlichen Brennweiten vergleichbar. Einmal steht mehr eine auf einzelne Verhaltensmerkmale in bestimmten Zeitabschnitten zentrierte Be
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995
trachtungsweise(Tele-Objektiv) im Vordergrund. Dann wieder wird der Blick auf möglichst viele Situationsvariablen ausgeweitet und versucht, auch die subjektiven Dimensionen eines Verhaltens zu erfassen(Weitwinkel-Objektiv). Aus phänomenologischer Sicht spricht nichts dagegen, diese unterschiedlichen Strategien z.B. innerhalb eines Beobachtungsprojektes miteinander zu verbinden und im Sinne eines Perspektivenwechsels aufzufassen. Quantitative und qualitative Beobachtungsstrategien sind somit nichts weiter als unterschiedliche Blickwinkel und Betrachtungsweisen, die nebeneinander ihre methodologische Berechtigung haben. Phänomenologische Methodologie führt so letztlich zu einer Ausweitung unseres Erfahrungsbegriffes (von„empirisch“: auf der Erfahrung beruhend, vgl. Langeveld& Danner 1981, 10), der nunmehr nicht bloß operationalisiertes Detailwissen beinhaltet, sondern ebenso auch interpretatives Komplexwissen. Diese unterschiedlichen Wissens- oder Erkenntnisformen beanspruchen in gleicher Weise den Rang der Wissenschaftlichkeit. Letztlich wird damit darauf abgezielt, daß Erziehungswirklichkeit als lebensweltliches Fundament auch der Integrationsforschung in einem umfassenden Sinne erschlossen wird.
Aus phänomenologischer Sicht lassen
sich auf dem Hintergrund des bisher Ge
sagten die folgenden Prinzipien für die
Integrationsforschung ableiten:
1. Zur möglichst umfassenden forschungsmethodischen Erschließung integrativer Spiel- und Lernprozesse ist es notwendig, neben operationalisierten Untersuchungsinstrumenten teilnehmende Formen der Beobachtung und qualitative Interviewansätze in die Integrationsforschungsdesigns aufzunehmen. Insofern sollten sich quantitative und qualitative Methoden in der Integrationsforschung ergänzen(Prinzip der Komplementarität).
2. Es gilt, bereits auf der Ebene des Forschungsdesigns unterschiedliche forschungsmethodische Perspektiven zu installieren, die zunächst auch unterschiedliche Aspekte integrativer
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