Ulrich Heimlich und Ditmar Schmetz- Beobachtung integrativer Spielprozesse
Spiel- und Lernprozesse hervorbringen und nebeneinander stellen— bis hin zu möglicherweise widersprüchlichen Befunden(Prinzip der Perspektivität).
3. Im pädagogisch-praktischen Sinne relevante Ergebnisse der Integrationsforschung ergeben sich eher aus qualitativen Forschungselementen, die nicht nur operationalisierte Teile der integrativen Erziehungswirklichkeit abbilden, sondern sehr viel näher an integrative Spiel- und Lernprozesse heranrücken und deshalb eine vielschichtigere Erziehungswirklichkeit zeigen— wenn auch verbunden mit dem Nachteil einer eingeschränkten Allgemeingültigkeit(Prinzip der Alltagsnähe).
4. Pädagogisch Tätige in integrativen Spiel- und Lernprozessen sollten als Forschungssubjekte betrachtet werden, die eine eigenständige Perspektive in den Forschungsprozeß mit einbringen. Insofern ist ein Prozeß des Dialogs zwischen Integrationsforscherinnen und IntegrationspädagogInnen forschungsmethodisch abzusichern (Prinzip der Intersubjektivität).
Nach unseren Erfahrungen ist zu erwarten, daß im Rahmen von Integrationsforschungsprojekten, die nach diesen Prinzipien ausgerichtet sind, zu einer umfassenden und differenzierten Sicht integrativer Spiel- und Lernprozesse beigetragen werden kann und eine praxisnahe Form der Ergebnispräsentation möglich wird.‘ Schließlich sollte mit dieser methodischen Ausrichtung auch eine Abkehr von der immer wieder geforderten Beweisführung im Hinblick auf die Vorteile gemeinsamer Erziehung vollzogen werden und eine stärker pädagogisch-konzeptionelle und didaktisch orientierte Integrationsforschung etabliert werden. Es geht nicht mehr darum, empirisch gesichert zu beweisen, daß Integration möglich ist oder etwa keine
1 Damit ist nicht gesagt, daß nicht bereits solche Projekte realisiert wurden. Wir nennen an dieser Stelle nur das Projekt„Heilpädagogische Begleitung“ in Fribourg/Schweiz, das von einem ähnlichen Forschungsansatz ausgeht(Freiburger Projektgruppe 1993) oder auch die Arbeiten von Klein/Kreie/Kron/Reiser(1987).
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Nachteile für nichtbehinderte Kinder nach sich zieht. Wir benötigen detaillierte Kenntnisse über den tatsächlichen Verlauf integrativer Spiel- und Lernprozesse, um vielen engagierten pädagogisch Tätigen in verschiedensten pädagogischen Handlungsfeldern praxisrelevante und gleichwohl methodisch kontrollierte Ergebnisse zur Verfügung zu stellen, die orientierend und unterstützend wirken.
Integrative Spielprozesse— Ergebnisse aus dem Dortmunder Projekt„Gemeinsam spielen‘
Als exemplarisches Beispiel einer kombinierten quantitativ-qualitativen Strategie in der Integrationsforschung soll nun das Dortmunder Projekt„Gemeinsam spielen“ skizziert werden, das wir in den letzten zwei Jahren mit neun behinderten Kindern in Dortmunder Regelkindergärten mit gemeinsamer Erziehung durchgeführt haben. Diese Einrichtungen befinden sich in der Trägerschaft des Diakonischen Werks Dortmund, das bereits seit 1983 Erfahrungen sammelt mit der wohnortnahen Integration. Wenn damit auch eine exemplarische Schwerpunktsetzung im Elementarbereich erfolgt, so gehen wir doch davon aus, daß die forschungsmethodischen Erfahrungen ebenso für schulpädagogisch orientierte Integrationsforschung von Interesse sein dürften.
Das Problem der Vermittlung von quantitativen und qualitativen Ergebnissen der Integrationsforschung ist in erster Linie ein Problem des Forschungsdesigns und keineswegs nur eines der Auswertung. Deshalb muß hier auch zunächst das methodische Konzept des Projektes „Gemeinsam spielen“ vorgestellt werden, bevor in die Ergebnisdarstellung und Interpretation übergeleitet wird.
Forschungsdesign des Projektes „Gemeinsam spielen“
Forschungsintention: Unter dem Eindruck der bereits vorliegenden Erfahrungen aus anderen Bundesländern— v.a. im Rahmen der Modellversuche in
Hessen, Bayern, Saarland und Nordrhein-Westfalen(vgl. die Übersicht bei Kaplan/Rückert/Garde 1993)— richtete sich unser Forschungsinteresse zu Beginn der Projektplanung auf pädagogisch-konzeptionelle Fragestellungen aus (vgl. auch Meister 1991, 106ff.). Das Projekt„Gemeinsam spielen“ sollte deshalb zuallererst als Beitrag zur Entwicklung einer Integrationspädagogik für den Elementarbereich verstanden werden. Dies beinhaltete von vornherein auch unsere leiblich-sinnliche Anwesenheit im Forschungsfeld und somit eine Vorentscheidung für eine schwerpunktmäßig qualitativ ausgerichtete Forschungsmethodik. Orientierungshilfen für die integrative Praxis im Regelkindergarten waren nach unserer Einschätzung nur dadurch zu gewinnen, daß unmittelbare und detaillierte Kenntnise über tatsächliche Entwicklungsverläufe in der integrativen Gruppe vorliegen und praxisnah umgesetzt und aufbereitet werden. Eine Zuordnung zu vorhandenen Forschungstypologien zeigt, daß es sich hier um die Forschungsstufe„deskriptive Forschung“ im Sinne von Wember(1992, 470) handelt.
Im Zentrum der weiter oben angesprochenen Entwicklungsprozesse steht insbesondere in der Altersgruppe bis sechs Jahren die Spieltätigkeit. In mehrmonatigen Voruntersuchungen stellten wir fest, daß das freie Spiel der Kinder mit und ohne Behinderungen der Ort ist, an dem sich Kinder im Kindergartenalter mit unterschiedlichsten Kompetenzen in gemeinsamen Tätigkeiten treffen. Unser Forschungsinteresse zentrierte sich auf der Basis dieser Vorerfahrungen im Konzept der integrativen Spielsituation (vgl. Heimlich 1993a). In der Erziehungswirklichkeit der gemeinsamen Erziehung im Regelkindergarten— sicher auch stark beeinflußt vom situativen Curriculumansatz(Dichans 1990)— zeigt sich, daß behinderte und nichtbehinderte Kinder einen großen Teil ihrer gemeinsamen Aktivitäten im Spiel selbst hervorbringen. Von integrativen Spielsituationen sollte nach unserer Überzeugung immer dann die Rede sein, wenn alle Kinder unabhängig von ihren je spezifischen Kompetenzen an gemeinsamen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995