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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ulrich Heimlich und Ditmar Schmetz- Beobachtung integrativer Spielprozesse

Spieltätigkeiten partizipieren können. Diese Definition ist stark beeinflußt von der Formulierung Feusers(1987)(ge­meinsames Spielen und Lernen am ge­meinsamen Gegenstand) und vollzieht lediglich eine Ausweitung auf situative Elemente. Die Betonung liegt im Rah­men spielpädagogischer Reflexionen dar­über hinaus stets auf demKönnen, der Möglichkeitsform oder der Chance, die nicht unbedingt wahrgenommen wer­den muß. Spiel hat stets den Charakter des Freiwilligen, oder es wäre ad absur­dum geführt(vgl. Heimlich 1993b). In­tegrationspädagogik im Elementarbe­reich ist von diesem Ausgangspunkt auch als Spielpädagogik denkbar. Die kon­kretisierte Problemstellung des Projek­tesGemeinsam spielen wäre somit in der Durchdringung integrativer Spiel­situationen zu sehen. Von besonderem Interesse erschienen uns vorrangig die ersten Monate des Eintritts behinderter Kinder in den Regelkindergarten und die Entwicklung der sozialen Spiel­tätigkeit. Wir entschieden uns deshalb für eine Mehrzeitenanalyse bezogen auf das erste Kindergartenjahr. Neben Grup­pendiskussionen mit den beteiligten Er­zieherinnen zur Realisierung des Dia­logs zwischen IntegrationsforscherInnen und IntegrationspädagogInnen sowie Einzelfallstudien zur Fokussierung der anamnestischen und entwicklungsbezo­genen Daten der einzelnen Untersu­Chungskinder lag ein Schwerpunkt un­serer Untersuchung in der Spielbeob­achtung als teilnehmende Form(Lamnek 1989, 233ff.). Es werden deshalb die wichtigsten Instrumente und Ergebnisse der Beobachtung integrativer Spielpro­zesse zur Verdeutlichung der quantita­tiv-qualitativen Grundproblematik nun gegenübergestellt.

Instrumente der Spielbeobachtung bei integrativen Spielprozessen: Die Beob­achtung kindlicher Spieltätigkeiten steht allgemein vor dem Problem, daß die Er­fassung der sinnlich wahrnehmbaren Ebene der Spieltätigkeit nicht ausreicht, um eine Spielsituation möglichst um­fassend zu verstehen. Der sichtbare Teil integrativer Spielsituationen und seine quantifizierende Betrachtung mit Hilfe

operationalisierter Kriterien repräsentiert deshalb auch keineswegs das integrative Geschehen in seiner ganzen Bandbreite. Um diesepositivistische Verkürzung zu vermeiden, ist es notwendig, qualita­tive Spielbeobachtungsinstrumente mit in den Forschungsprozeß einzubeziehen. Durch die Kombination quantitativer und qualitativer Spielbeobachtung wird im übrigen auch die Erfassung der integra­tiven Spielsituation insgesamt gewähr­leistet, in der sich das jeweils beobach­tete behinderte Kind befindet. Es han­delt sich also hier insofern um Integra­tionsforschung, als integrative Spiel­situationen aus der Perspektive behin­derter Kinder betrachtet werden sollen. Zur Realisierung dieses Anspruches ha­ben wir uns bemüht, innerhalb der Spiel­beobachtungsinstrumente bereits einen Perspektivenwechsel zu installieren. Aus der Integrationsforschungsliteratur im Elementarbereich(vgl. Guralnick 1978) und den Forschungen zur sozialen Spiel­tätigkeit(vgl. Schmidt-Denter 1988) wa­ren die Kategorien der sozialen Spiel­tätigkeit von Parten(1932) als erprobtes Instrument bekannt. Wir haben aus die­sen Kriterien einenBeobachtungsbo­gen zur Erfassung der sozialen Spieltä­tigkeit in integrativen Regelkindergär­ten erstellt.;

Gegenüber den Parten-Kategorien wa­ren Modifikationen notwendig hinsicht­lich der Zahl der Kategorien, der Opera­tionalisierung und dem zugrundelie­genden Entwicklungskonzept. Wir füg­ten die KategorieKoalitionsspiel als Übergangskategorie mit ein, da nach un­seren Vorerfahrungen der Unterschied zwischen den KategorienAssoziations­und Kooperationsspiel zu groß erschien. Aus forschungspraktischen Gründen ha­ben wir stichwortartige Operationalisie­rungen zu den einzelnen Kategorien ent­wickelt. Schließlich war es notwendig, in bezug auf die BeobachterInnenschu­lung das Entwicklungskonzept der Par­ten-Kategorien von einem horizontalen Ansatz hin zu einem vertikalen Modell umzugestalten. Danach ist dasKoope­rationsspiel nur eine wenn auch sehr komplexe Kategorie der sozialen Spiel­tätigkeit neben demAlleinspiel und keineswegs ein Entwicklungsziel im Sin­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995

ne einer Hierarchie der einzelnen Be­obachtungskategorien. Dieser Beobach­tungsbogen wurde im Rahmen des/ime­sampling-Verfahrens eingesetzt, d.h. es erfolgten auf der Basis von Video-Auf­zeichnungen 30 Minuten lang alle 59 Sekunden eine Zuordnung mit anschlie­Bender Aufsummierung und Prozentuie­rung bezogen auf die Gesamtspielzeit. Soviel zur sichtbaren Ebene der integra­tiven Spielsituation. Um dieses Entwick­lungsgerüst nun mit Leben und Inhalt zu füllen, haben wir ergänzend ein Spielprotokoll als nicht-standardisier­tes Beobachtungsinstrument eingesetzt. Dieses Verlaufsprotokoll sollte v.a. the­matisch-inhaltliche Aspekte integrativer Spielsituationen aufnehmen. Es besteht aus den RubrikenPersönliche Anga­ben,Spielsituationen,Zeit und Spielpädagogischer Kommentar. Er­gänzend zur Video-Aufzeichnung wurde diesesSpielprotokoll für einen Kinder­gartenvormittag in der Zeit von 9.00 bis 12.00 Uhr ausgefüllt, da dieser Zeitraum der Hauptaufenthaltszeit der Kinder im Kindergarten entspricht(Tietze 1992, 12). Bei der BeobachterInnenschulung gilt es besonders zu berücksichtigen, daß die Protokollierung einen sachlichen Sprachstil erfordert, der möglichst we­nig Bewertungen enthalten darf und vor­rangig Tätigkeiten beschreibt. Eine Aus­wertung dieser Protokolle erfolgte in­nerhalb intensiver Fallbesprechungen im Forschungsteam, um darauf aufbauend zur Interpretation der einzelnen Szenen im Hinblick auf die soziale Spieltätigkeit zu gelangen(vgl. Wegener-Spöhring 1989).

Die forschungsmethodisch geplante Ver­mittlung zwischen quantitativen und qualitativen Spielbeobachtungsergebnis­sen erfolgt hier also im Sinne eines kom­plementären Ansatzes. Standardisierte und nicht-standardisierte Formen der Spielbeobachtung sollen zu einem umfas­senderen Gesamtbild integrativer Spiel­situationen beitragen. Deshalb nun zu den Ergebnissen der Spielbeobachtung auf der Basis der hier vorgestellten In­strumente, das sich auf der einen Seite aus operationalisierten Beobachtungska­tegorien ergibt und auf der anderen Sei­te von intersubjektiven Interpretationen

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