Ulrich Heimlich und Ditmar Schmetz- Beobachtung integrativer Spielprozesse
über den passiv-beobachtenden Kontakttyp. Hier deuten sich also auch Entwicklungstendenzen zwischen den Kontakttypen an: von der Beschäftigung mit sich selbst über die Beobachtung von Spielaktivitäten bis hin zur Fähigkeit, spontan selbst Spielkontakte herzustellen. Auch dieser vierte Kontakttyp fordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit seitens der Erzieherin.
Konsequenzen für die integrative Spielförderung
Insgesamt muß festgehalten werden, daß diese Typen der Kontaktaufnahme keine behinderungsspezifische Relevanz beanspruchen. Sie repräsentieren im Gegenteil ein Stück Normalität im Umgang zwischen Behinderten und Nichtbehinderten und gelten zweifellos auch für den Umgang von nichtbehinderten Kindern untereinander. Im Unterschied zu den Durchschnittswerten der quantitativen Betrachtungsweise muß zunächst deutlich sein, daß sich die qualitativen Ergebnisse auf der Ebene von Einzelfällen bewegen und allenfalls im Wege der Typisierung zu Gruppen zusammengefaßt werden können. Ergänzend zu den prozentualen Anteilen der Kategorien sozialer Spieltätigkeit mit dem Schwerpunkt beim Übergang zwischen individuumsbezogenen zu interaktionsbezogenen Spieltätigkeiten bietet die Interpretation der Spielprotokolle also zusätzliche Informationen zur Ausweitung des Repertoires an sozialen Spielkompetenzen. Die Fähigkeit bei Kindern mit Behinderungen, diese Ausweitung des Repertoires zu vollziehen, ist unterschiedlich ausgeprägt und weist auf einen unterschiedlichen Förderbedarf im Bereich der Kontaktinitiierung hin. Es ist im übrigen durchaus gerechtfertigt, die Parten-Kategorien als Grundlage für die Ableitung von Schwerpunkten der integrativen Spielförderung heranzuziehen. So weisen Odom/Karnes(1988, 219) etwa daraufhin, daß aus einer Forschungsübersicht zu empirisch gesicherten Zusammenhängen zwischen Spielmaterialien und sozialer Spieltätigkeit Interventionsformen zur Unterstützung der Parallel-,
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Assoziations- und Kooperationsspiele abgeleitet werden können. Überdies ermöglichen die unterschiedlichen Kontakttypen die Ableitung unmittelbarer Hinweise auf spielpädagogische Maßnahmen zur Förderung des gemeinsamen Spiels. Erzieherinnen demonstrieren z.B. bei aggressiven Kontaktversuchen alternative Möglichkeiten, um in eine Spielsituation zu gelangen und stehen diesen Kindern in Konfliktfällen für Gespräche zur Verfügung. Sie bieten zurückhaltenden Kindern Spielkontakte an und stehen als Beobachterin in unmittelbarer Nähe bei Problemen zur Verfügung. Und sie fordern schließlich auch Kinder direkt zur Kontaktaufnahme mit solchen Kindern auf, die noch nicht selbst in der Lage sind, soziale Beziehungen aktiv zu schaffen.
Dieser komplementäre Befund aus der Beobachtung integrativer Spielprozesse deutet also auf die Notwendigkeit hin, ein Modell der integrativen Spielförderung zu entwickeln, in dem insbesondere die Phase der Initiierung von Spielkontakten intensiv begleitet wird. Insofern bestätigt unser Ergebnis die bereits vorliegenden, übrigens auch qualitativen Untersuchungen von Strain& Odom(1986), Lefebvre& Strain(1989) und Kohler, Strain, Maretsky& DeCesare(1990), in denen unterschiedliche Modelle einer Förderung der Kontaktinitiierung im Rahmen gemeinsamer Erziehung in ihrer Effektivität bestätigt wurden. Über diese eher verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Konzepte hinaus ist es nach unserer Überzeugung jedoch auch notwendig, bei der Förderung der Kontaktinitiierung in integrativen Kindergartengruppen stärker vom Kontaktverhalten des einzelnen Kindes besonders im gemeinsamen Spiel auszugehen. Dies erfordert als Reflex auf das Bemühen um Gemeinsamkeit im Spiel im Gegenzug eine deutliche Differenzierung und Individualisierung in der konkreten Ausgestaltung von spielpädagogischen Maßnahmen zur Unterstützung und Begleitung integrativer Spielprozesse. Weiter praxisbezogene Orientierungshilfen haben wir an anderer Stelle zusammengefaßt(Heimlich& Höltershinken 1994).
Interaktionspädagogische Konsequenzen
Die Beobachtung integrativer Spielprozesse führt zu weitreichenden Erkenntnissen bezogen auf den Umgang mit dem Anderssein. Die Psychologie des Vorurteils stellte bei Untersuchungen über Prozesse der Vorurteilsbildung z.B. gegenüber behinderten Menschen fest, daß die Zuweisung zu einer Außenseitergruppe der Gesellschaft durch Angehörige der Mehrheit vor allem auf einer sehr eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit beruht: Merkmale der normativen Abweichung werden herausgestellt, während Merkmale der Gemeinsamkeit vernachlässigt werden(Hansen 1986, 15ff.). Da Vorurteile nicht angeboren sind, sonder gelernt werden, stellt sich für die gemeinsame Erziehung und den gemeinsamen Unterricht behinderter und nichtbehinderter Kinder die Aufgabe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Schule und Unterricht ohne Diskriminierung erfahrbar zu machen und über diesen Weg die Wahrnehmungsfähigkeit zu verändern. Aus interaktionspädagogischer Perspektive stehen hierbei insbesondere das Rollenhandeln wie das Sprachhandeln im Mittelpunkt des erkenntnisleitenden Interesses. Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen ist der gleichwertige Umgang mit dem Anderssein entgegenzusetzen und als Normalität menschlichen Lebens begreifbar zu machen. Bei der auf der Grundlage von Videoaufnahmen vorgenommenen Auswertung des Spielgeschehens zwischen behinderten und nichtbehinderten Kindern konnten u.a. folgende Auffälligkeiten innerhalb der Sozialkontakte festgestellt werden:
— Behinderte und nichtbehinderte Kinder spielten nicht fortwährend miteinander. Sie hatten auch die Möglichkeit des Rückzugs und machten davon Gebrauch.
— Die Kontaktaufnahmen erfolgten auf freiwilliger Basis und ergaben sich häufig spontan in bestimmten Spielsituationen.
— Behinderte Kinder wurden von nichtbehinderten Kindern in ihrer Beson
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995