Ferdinand Klein- Aspekte des Gegenstandes und der pädagogischen Methode der schulischen Integrationsforschung
das, was er ihm durch dieses Verhältnis ja ermöglichen soll. Hier ist der Erzieher im Widerspruch mit sich selbst. Er möchte nämlich das Kind nur unter Bedingungen akzeptieren. Diese Bedingungen kann aber das Kind noch nicht erfüllen. Das Beispiel des Unterstützens aus dem Erziehungsverhältnis heraus legt uns nahe, nicht von integrationsunfähigen Kindern zu sprechen, sondern von integrationsunfähigen Erziehern und ihrem desintegrativen Bedingungsfeld(Gesellschaft, Schulstruktur, Schulorganisation, politische Administration, Schulaufsicht, materielle/sächliche und personelle Gegebenheiten). Wir sehen: Schon allein dieses Beispiel eröffnet der Integrationsforschung ein interessantes Arbeitsfeld. Es treten spezifische Fragestellungen hervor, die offensichtlich grundlegende Probleme der Pädagogik überhaupt sind. Ein sensibles und vertieftes Nachdenken ist notwendig. Die Methode des Erkennens wird diese heilpädagogische Grundfrage besonders zu beachten haben. Es geht um das Erkennen komplexer Zusammenhänge mit pädagogischen Begriffen. Die Begriffe entstammen der erzieherischen Wirklichkeit, sie bleiben auf die Wirklichkeit bezogen und versuchen sie zu erschließen. So können die Begriffe strukturelle Bedingungszusammenhänge des Unterstützens aus dem Erziehungsverhältnis heraus aufzeigen und Veränderungen im Handlungsfeld ermöglichen.
Versuch einer
begrenzten Systematisierung am Erkenntnisgegenstand der integrativen Didaktik
Ich verstehe die Schulpädagogik als Handlungswissenschaft, bei der es vor allem um das Problem der Selbsttätigkeit (Aneignung) und Unterstützung(Führung/Vermittlung) geht. Bei diesem Praxisverständnis der Schulpädagogik treten engere(a) und erweiterte(b) didaktische Fragen in das Zentrum der Forschung.
(a) Bei der engeren didaktischen Frage gehe ich von folgender Prämisse aus: Integrative Didaktik ist Didaktik, d.h.
‚gute‘ Didaktik ist immer auch integrative Didaktik im Sinne von Individualisierung und Differenzierung. Und ich frage gleich weiter: Wie hat sich dann Didaktik zu entwickeln bei Kindern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Interessen und Neigungen, die am gemeinsamen Ort lernen? (b) Bei der erweiterten didaktischen Frage treten interaktional-interpersonale und individuelle Prozesse der Aneigung und Vermittlung kultureller und sozialer Inhalte hervor; die Inhalte sind die (spezifischen) Schulcurricula. Es handelt sich hier um drei Felder(das interaktionale, das individuelle und das gegenständlich-inhaltliche Feld mit seinen kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Implikationen), die in ihren jeweils spezifischen und interdependenten Vorgegebenheiten und Bedingungszusammenhängen wahrzunehmen sind. Betrachten wir nur ein Feld für sich, so verleitet das zu einseitigen, eindimensionalen und eingeengten Aussagen unter Ausblendung der Probleme der/des jeweils anderen Felder/Feldes. Da für die integrative didaktische Praxis das Feld der zwischenmenschlichen Beziehungen von grundlegender Bedeutung ist, versuche ich darauf näher einzugehen, obgleich ich weiß, daß es sich hier zunächst nur um reduktive Aussagen handeln kann, denn es bleiben die beiden anderen Bereiche ausgeklammert.
Ich ging oben von der These aus, daß
beim gemeinsamen Unterricht die Didak
tik auch immer integrativ ist bzw. zu sein hat. Friedrich Krons problem- und
theoriegeschichtliche Darstellung der Di
daktik führt u.a. zu folgenden systema
tischen Erkenntnissen:
— Die Individualität des konkreten Menschen steht im Mittelpunkt der didaktischen Erörterungen.
— Der Mensch wird als ein sinnhaft handelndes, fühlendes, denkendes und urteilendes Wesen angesehen; pädagogisch bedeutsam ist seine Bildsamkeit.
— Die Bildung des Menschen hat in seiner Bildsamkeit die Voraussetzung; Bildsamkeit basiert auf Erfahrung und Umgang.
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995
— Lehren und Lernen gehen von Erfahrung und Umgang aus; Erfahrung und Umgang sind zugleich Ausgangspunkt und Zielperspektive didaktischen Nachdenkens.
— Lehren und Lernen basieren auf Entwicklungsgemäßheit und Erfahrungsbezug.
— Unterricht hat eine Doppelfunktion: fachliches Lehren und Lernen und soziales Lehren und Lernen.
— Unterricht ist auf die institutionalisierte Organisation Schule bezogen, die als Funktion von Gesellschaft zu begreifen ist(vgl. Kron 1993, 100).
Diese Erkenntnisse führen zu einer zwei
fachen Bestimmung der Grundstruktur
des Unterrichts:
— Unterricht und Schule basieren auf gesetzlichen Grundlagen.„Diese gesellschaftspolitische Grundbedingung hat zur Folge, daß Unterricht stets durch einen Träger— in der Regel der Staat— rechtlich begründet, inhaltlich und organisatorisch definiert und kontrolliert ist. Als Funktion gesellschaftlicher und kultureller Reproduktion bestimmt, hat Unterricht die Struktur einer rationalen Organisation“(Kron 1993, 277). Dem Unterricht kommt Verpflichtungscharakter zu, er ist durch die allgemeine Schulpflicht bestimmt.„Unterricht unterliegt den Bedingungen von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und den damit verbundenen rationalen Systemfaktoren, wie z.B. objektive Leistungskontrollen, Versetzungen, Vergabe formeller Abschlüsse“(Kron 1993, 278).
— Unterricht gründet aber auch„in der Aufgabenstellung, die sich als Organisation von Lehr- und Lernprozessen beschreiben läßt... Die Realisierung der Aufgabenstellung rückt die Praxis ins Zentrum der Interpretationen und mit diesen die Akteure und die Vielzahl der Faktoren und Bedingungen, die die Lehr- und Lernprozesse konkretisieren... Die Struktur von Unterricht kann in diesem Verständnis eher als natürliches und offenes System begriffen werden“(Kron 1993, 278).
47