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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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In unserem Diskussionszusammenhang ist die Erkenntnis bedeutsam,daß Un­terricht eine zweckrationale Veranstal­tung ist, die durch die interagierenden Personen zugleich Wertrationalität er­zeugt und auch neben den von außen gesetzten Maßstäben zugleich innere Maßstäbe entwickelt, die in die Konkur­renz mit den äußeren Maßstäben treten (Kron 1993, 278). Dieser Aspekt ist bis­lang in der Integrationsforschung nicht hinreichend beachtet worden. Seine Be­rücksichtigung enthält aber die Chance, noch mehr Gemeinsamkeit im Bildungs­wesen zu realisieren. Dadurch könnte aber auch etwas mehr Idealität zur Rea­lität werden.

Die historisch begründeten Erkenntnis­se zur Grundstruktur des Unterrichts,die Hinweise zur ‚guten Didaktik als inte­grative Didaktik, zum Unterstützen in der dialogischen Erziehungssituation und das Bemühen,die Dinge vom Stand­punkt eines anderen zu betrachten, las­sen sich im Hinblick auf die pädagogi­sche Forschungsmethode folgenderma­ßen zusammenfassen: Die auf den ge­meinsamen Unterricht bezogene Metho­de des Erkennens hat sich verstärkt um ein Bewußtmachen jener inneren Maß­stäbe zu bemühen, die auf die gesetzli­chen Grundlagen von Unterricht und Schule verändernd wirken. Der Spiel­raum ist für Lehrer und Wissenschaftler groß.

Zum Problem ‚Methode und Gegenstand des Erkennens

Es besteht schon seit geraumer Zeit so­gar in den Naturwissenschaften in er­kenntnistheoretischer Hinsicht Überein­stimmung darin, daß die Anwendung einer bestimmten Methode zu einer be­stimmten Sicht des Gegenstandes führt. Der Gegenstand wird durch den Zugriff der Methode verändert und umgestaltet (Klein 1984). Der Gegenstand läßt sich nicht mehr in seinem objektiven Gehalt erkennen; er bleibt der methodischen Fragestellung ausgesetzt. Deshalb wur­den in den Naturwissenschaften offene Begriffe wie Situation, Feld oder Sy­stem eingeführt; ein neues Verständnis

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Ferdinand Klein+ Aspekte des Gegenstandes und der pädagogischen Methode der schulischen Integration

von Ganzheit in einem Netz von Bezie­hungen entstand.

Über das Verhältnis von Gegenstand und Methode lassen sich nach den mir bekannten wissenschaftstheoretischen Überlegungen zwei Grundaussagen ma­chen:

(a) Um zu Erkenntnissen zu kommen, braucht man vorab eine Methode. Des­halb muß die Methode am Beginn jeder Untersuchung stehen. Der Gegenstand wird dann so erfaßt, wie er sich dem methodischen Zugriff zeigt. Hier prä­Judiziert die gewählte Methode den(zu erkennenden) Gegenstand.

(b) Die Erkenntnismethode kann nur in Abhängigkeit von dem(zu erkennen­den) Gegenstand gewonnen werden, denn sie soll ja zur Erforschung des Ge­genstandes selbst beitragen. Hier sind Methode und Erfassung des Gegenstan­des als ein dialektischer Prozeß des Er­kennens zu begreifen: Methode und Ge­genstand bringen sich wechselseitig her­vor.

Bei dieser Unterscheidung ist der Metho­denbegriff in der ersten Aussage instru­mentalisiert. Es erhebt sich nun die Fra­ge nach einer Methode, die dem Bemü­hen um ‚reine Erkenntnis dient. Die Antwort kann vorläufig so gegeben werden, daß sie in der zweiten Aussage zu suchen ist. Bei der Gegenstandserfas­sung als dialektischen Erkenntnisprozeß ist die deterministische Betrachtungswei­se nach dem Ursachen-Wirkungsprin­zip der empirisch-kausalen Forschung nicht mehr primär gefragt. Vielmehr tritt die finale oder teleologische Betrach­tungsweise hervor und damit das freie Handeln des Subjekts, als derunredu­zierte Mensch mit Geist, mit Wille, mit Bewußtsein und mit Gefühlen(Leon­hard 1989, 107). Mit dieser Entschei­dung für den freien Willen des Subjekts tritt die Tätigkeitsaneignung des ler­nenden Subjekts hervor. Damit sind wir bei Herbarts Grundbegriff der Pädago­gik, nämlich der Bildsamkeit des Wil­lens des Zöglings/Zuerziehenden(Her­barts Grundbegriff spielt auch in Krons Erörterung didaktischer Grundfragen eine wesentliche Rolle.)

Dieser Grundbegriff verabschiedet sich vom Schüler als ein Objekt, wie er uns

z.B. in Brezinkas pädagogischem Kau­salitätsverständnis begegnet. Nach Bre­zinkas empirischer Pädagogik beeinflußt der Erzieher bei einem Handlungsobjekt eine psychische Disposition bzw. ein Dis­positionsgefüge(Brezinka 1989). Bei die­ser möglichst effektiven Technologie der Verhaltensbeeinflussung sind Kkausal­deterministische Erklärungsweisen und entsprechendeHandlungsanleitungen und-anweisungen gefragt. Vor diesem am(alten) naturwissenschaftlichen Kau­salitätsdenken orientierten Erziehungs­begriff hat Herman Nohl schon 1927 bei der Eröffnung eines heilpädagogischen Lehrgangs gewarnt:Der Dämon, oder wie man den Geist des Widerspruchs sonst nennen soll, reizt mich, diesen Vor­trag... dazu zu benutzen, als Pädagoge die Mitglieder des Lehrgangs an der Schwelle gewissermaßen noch einmal vor dem zu warnen, was sie hier lernen sollen. Wovor möchte ich da warnen? Wenn ich es auf eine Formel bringe, so ist es vor dem Glauben an die unmittelba­re pädagogische Anwendungsmöglich­keit jeder Einsicht, die auf isolierender Abstraktion beruht, also insbesondere vor der Psychologie...(zit. n. Leon­hard 1989, 15). Für Herbart schließensich Systeme, wie das von Brezinka, das die Bildsamkeit des Zöglingswillens nicht fassen kann, aus der Pädagogik aus. Lei­der folgen diesem verkürzten Gegen­standsbewußtsein viele praxisbezogene Abhandlungen sogar der Geistigbehin­dertenpädagogik; schließlich möchte man angesichts der oft extrem er­schwerten Erziehungssituation die richtigen Behandlungsrezepte haben/be­sitzen.

Bei der gemeinsamen schulischen Erzie­hung geht es ganz zentral um die Bild­samkeit des Willens zur Sittlichkeit. Die sittliche Erziehung hat durch das Han­deln des Kindes eben auch den Willen des Kindes, der im Gemüt wurzelt, her­vorzubringen. Dadurch wird das Den­ken des Kindes auch im Sinne des oben erwähnten Hegelschen Bildungs­begriffs, den Gadamer für seine Zuhörer zitierte gebildet.

Gehen wir in der(integrations)pädago­gischen Forschung von einem Verständ­nis aus, das Erziehen und Unterrichten

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995