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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ferdinand Klein- Aspekte des Gegenstandes und der pädagogischen Methode der schulischen Integrationsforschung

als Aneignung und Vermittlung faßt,

dann wird die Methode des Erkennens

integrationspädagogisch bedeutsamer

Sachverhalte sowohl die Seite des Er­

ziehers wie die des Schülers zu beach­

ten haben. Beiden Seiten aber ist die menschliche Freiheit eigen, sich so oder auch anders zu entscheiden.

Die Ausführungen in diesem Abschnitt

erlauben vor allem folgende Thesen für

die forschungsmethodische Diskussion zu formulieren:

Erziehen und Unterrichten sindan sich nicht vorgegeben, sondern viel­mehr der Fragestellung ausgesetzt.

Wir können offenbar nur eine subjek­tive Wirklichkeit schaffen(konstruie­ren) und diese dann durch Deutun­gen und Analysen bewußt machen.

Das Forschungsfeld sind die Bezie­hungen zwischen den Menschen (Kind-Erzieher; Kind-Kind; Erzieher­Erzieher) und zwischen den Men­schen und ihren Lern- und Lehrge­genständen.

Die vielfältigen personen- und gegen­standsbezogenen Beziehungen laufen nicht nach vorherbestimmbaren Ge­setzmäßigkeiten ab.

Wir können integrationspädagogisch bedeutsame Zusammenhänge wie Einstellung und Motivation des Er­ziehers oder Selbsttätigkeit und Unter­stützen/(Führen) des Schülers durch Gegenüberstellen, Inbeziehungbrin­gen oder Vergleichen von Wahrneh­mungen, Aussagen oder(empiri­schen) Ergebnissen bewußt machen, deuten und erklären.

Es geht mir hier um den Versuch, eine pädagogische Forschungsmethode zu kultivieren, die sich nicht am Technolo­gieverständnis der empirischen Erzie­hungswissenschaft oder der empirischen Sozialforschung orientiert. Hierzu möch­te ich im folgenden doch einige relati­vierende Anmerkungen machen.

(a) Luhmann& Schorr gebrauchen die Technologie gleichsam alsMittelglied in der Verbindung von Unterricht und Forschung(Luhmann& Schorr 1979, 213). Damit wird aber die Methodik des Erkennens auf kausale Zusammenhän­ge, auf das Machbare und Überprüfbare

reduziert. Luhmann& Schorr reduzie­ren hier den Kantschen Mittelbegriff der Urteilskraft, der in Herbarts Pädagogik mit dem Begriff des pädagogischen Tak­tes und in Salzmanns Symbolum als derinnere Abstand des Erziehers von sich selbst(Sünkel 1994, 23) gefaßt wird, in ein funktionales Mittelglied. Dem pädagogischen Takt(und dem Symbolum) kommt aber eine zentrale Vermittlungsfunktion zwischen Theorie und Praxis zu. Im Modell des pädago­gischen Takts ist die Theorie nicht mehr Regent der Praxis(Herbart). Die Re­gentenaufgabe kommt demgebilde­ten Gewissen pädagogischer Verantwor­tung(Benner 1986, 246) zu(vgl. Klein 1988).

(b) Ich sehe bei dem kausalen Erklären nach Luhmann und Schorr eine inhalt­liche Reduktion der erziehungswissen­schaftlichen Erkenntnistheorie auf so­zialwissenschaftliche und systemtheore­tische Begriffe. Pädagogisches Denken kann nicht ohne Wertorientierung sein. Das aber lehnen Luhmann und Schorr ab, weil nach ihrem sozialwissenschaft­lichen Verständnis die normative Frage nicht mehr forschungsmethodisch zu 1ö­sen sei. Pädagogische Feldforschung hat sich aber auch normativ zu legitimie­ren.

(c) Dabei verkenne ich nicht, daß in der empirischen Sozialforschung vor allem auf der Organisationsebene z.B. mit dem imponierenden Begriffspaarfunktionale Differenz undSelbstreferenz(selbst­referentielle Strukturen wie Selbsttätig­keit oder Selbstentwicklung) neue Zu­sammenhänge erkannt und offengelegt werden. Die Sozialforschung entdeckt mit ihrem Erkenntnisinstrumentarium ein Technologiedefizit im Erziehungssy­stem(Luhmann& Schorr 1979, 228), klammert aber in ihrem sich selbst genü­genden Beschreibungsmodell die Sol­lensfrage aus. Damit amputiert sie aber den Erziehungsbegriff. Andererseits kön­nen wir für unsere Frage den sozialwis­senschaftlichen Reflexionsaspekt mit be­denken. Dieser Aspekt besagt, daß wir im pädagogischen Feld forschungsme­thodisch bewußter, vorsichtiger und nicht idealisierend vorgehen sollen und daß wir auf diese Weise eine geläuterte

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995

und offene Einstellung zu den Phäno­menen bekommen: Wie können wir das Problem unbefangen analysieren, ohne die Absicht zu haben, dieses Problem gleich lösen zu wollen?(vgl. Luhmann & Schorr 1979, 229). Wie können wir das Mögliche am Wirklichen erörtern, ohne zu idealisieren?(vgl. Luhmann& Schorr 1979, 352). Oder die allgemeine Frage: Wie können wir das Verhältnis von Gesellschaftssystem und schulisches Erziehungssystem, das ein Teilsystem des Gesellschaftssystems ist, darstellen, damit davon überzeugende Wirkungen auf das pädagogische Establishment (z.B. in Verwaltung, die sich weitge­hend durch eine Aufsichts- und Kon­trollfunktion legitimiert) ausgehen?

Zur Forschungsmethode im einzelnen

Erste erfahrungsbezogene Aspekte

Wir gingen beim Rüsselsheimer Schul­versuch zum gemeinsamen Unterricht geistig behinderter und nichtbehinderter Schüler im Grundschulalter(19851989) davon aus, daß die Probleme der schu­lischen Integration nur durch die inte­grative Praxis selbst beantwortet wer­den können(vgl. Kamutzki u.a. 1991). Wir versuchten die wahrgenommene Pra­xis im Hinblick auf Verbesserungen zu reflektieren. Das zweite Forschungsziel galt dem Versuch, die inneren Bedin­gungen des gemeinsamen Unterrichts be­wußt zu machen. Dabei vergewisserten wir uns der Methode des Wahrnehmens. Das ‚Leben selbst ist der Wissenschaft als hermeneutisches Fundament vorge­geben. Daher kann das Wahrnehmen und Erkennen nicht hinter das Leben zurück­gehen. Das Leben erschließt sich viel­mehr imteleologisch-hermeneutischen Zusammenhang von Erleben, Verstehen und Auslegen(Riedel 1978, 23). In die­sem erlebenden, verstehenden und aus­legenden Erkennen ist die Intentionalität des Bewußtseins mit enthalten.

Das Wahrnehmen des gemeinsamen Un­terrichts durch teilnehmendes Beobach­ten undteilnehmendes Erkennen(Cap­ra 1992) ermöglicht das Beschreiben in­

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