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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ferdinand Klein- Aspekte des Gegenstandes und der pädagogischen Methode der schulischen Integrationsforschung

agogik wieder. Und auch die praktische Pädagogik Jakob Muths ist von dieser Ethik durchdrungen. Jakob Muth brachte sich unter dem Sollensanspruch, wie er in der Idee der gemeinsamen Erziehung enthalten ist, durch schöpferisches Han­deln und Denken in die schulische Integrationsfrage ein. So konnte er zum Wohle und zur Freude anderer aber auch oft zum Ärgernis anderer mit klaren Worten Gutes tun.

Entwurf eines integrierenden Erkenntnisparadigmas

Mein Standpunkt des Erkennens ist ein subjektiver. Folglich ist der oben ange­nommene übergreifende Standpunkt ebenfalls ein subjektiver. Der subjektive Standpunkt ist aber auch bei der um objektive Erkenntnis bemühten erklären­den Methode gegeben, denn der Wissen­schaftler bleibt erkennendes Subjekt. Der mit der verstehenden Methode arbeitende Wissenschaftler und der mit der erklä­renden Methode arbeitende Wissen­schaftler bleiben erkennende Subjekte. Ihre Subjektivität kann nicht eliminiert werden.(Siehe hierzu auch meine obige Erörterung der Objektivität) Wir kom­men um die Tatsache nicht herum, daß eben auch bei den mit kontrollierend­analytischen und hypothesengeleiteten Methoden gewonnenen Erkenntnissen der Erkennende Subjekt des Erkennens ist.

Die verstehende Methodologie und die erklärende Methodologie gehen also vom Subjekt des um Erkenntnis bemühten Forschers aus. Beiden Erkenntniswegen ist ein Vorverständnis eigen. Auch die erklärende Methode kann offenbar ei­nem vorgegebenen analogen hermeneu­tischen Zirkel nicht entrinnen. Der mit standardisierten Methoden arbeitende Wissenschaftler bringt sein Vorverständ­nis über die zu untersuchende Wirklich­keit ein, und außerdem ist seine ange­wandte Methode nicht frei von einem Vorverständnis des Verständnisses eben dieser Methode. Gleichwohl hat er ei­nen Forschungsgegenstand, den er di­stanziert betrachten und durch kritische

Diskussion vor allem nach dem Falsi­fikationskriterium prüfen kann.

Der skizzierte Standpunkt meines Er­kenntnisbemühens ermöglicht die For­mulierung folgender Frage: Läßt sich zwischen der verstehenden(qualitativ­interpretierenden) und der erklärenden (empirisch-analysierenden) Methoden so vermitteln, daß eine übergreifende Me­thodik gewonnen werden kann, die auch dem Kriterium der Nachprüfbarkeit standhält? Zur Beantwortung dieser Fra­ge, die zwischen dem teilnehmenden und einfühlenden Verstehen einerseits und dem objektivierenden und sachlichen Er­klären andererseits dialektisch vermit­teln möchte, die also den Widerspruch zwischen Nähe und Distanz, der unauf­hebbar zu sein scheint, dennoch in ei­nem übergreifenden Erkenntnisparadig­ma zu(er)fassen versucht, fühle ich mich durch die bisher vorgetragenen Gedan­ken motiviert. Das Suchen nach den bio­logischen Wurzeln menschlichen Erken­nens stützt meine Motivation:Wir ha­ben nur die Welt, die wir zusammen mit anderen hervorbringen, und nur Liebe ermöglicht uns, diese Welt hervorzubrin­gen(Maturana& Varela 1987, 267f.). Erkenntnisse der Streß- und Motivati­onsforschung, aber auch systemische, biologische und neuropsychologische Einsichten und philosophische sowie pä­dagogische Standpunkte erlauben die Grundannahme, daß die menschlichen Grundkräfte des Erkennens Eros und Liebe sind. Mit dieser Annahme relati­viere ich bekannte tiefenpsychologische Postulate über den menschlichen De­struktionstrieb. Ich gehe also beim Er­kennen vom Prinzip des Guten(in der Welt und in der Erziehung) aus. Das Beispiel des Unterstützens aus dem Er­ziehungsverhältnis heraus konkretisiert diese Annahme, die auch Karl Poppers kritischer Erkenntnistheorie standhält. Er fordert für die Erziehung die Realisie­rung des folgenden grundlegenden Prin­zips:Füge keinen Schaden zu, und er sagt gleich weiter,(dies)wäre ein höchst wertvolles Ziel, dessen Verwirkli­chung ziemlich fern liegt, obwohl es so bescheiden klingt(Popper 1994, 200). Poppers Theorie geht also auch von ei­nem regulierenden ethischen Grundprin­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995

zip aus, das er kosmologisch und ent­wicklungsgeschichtlich zu begründen versucht.

Mein Standpunkt des Erkennens(in­tegrations)pädagogisch bedeutsamer Sachverhalte im schulischen Handlungs­feld, der auch das normative Moment mit berücksichtigt, führt zur Kritik der Wemberschen Aussage,daß die herme­neutische Methode nur eine besondere Form der hypothetisch-deduktiven Me­thode ist(Wember 1992b). Ich ordne zunächst nur für die folgende Darstel­lung, da ich keine andere Möglichkeit sehe die kritische Methode des Erklä­rens der Methode des Verstehens formal zu. Die Kritik versuche ich nun unter dem(spezifischen) pädagogischen for­schungsmethodischen Aspekt zu begrün­den.

Nach Popper ist Problemlösen, Vermu­tungen anstellen und der Versuch, diese Vermutungen zu widerlegen, eine grund­legende Weise der menschlichen Ent­wicklung von Beginn an. Wenn also das Problemlösen unter dem Anspruch des Falsifikationsprinzips von seinem Ur­sprung an der menschlichen Natur ei­gen und damit das bestimmende Mo­ment des Evolutionsprozesses überhaupt ist, dann sagt dieser um Naturerkennt­nis bemühte wissenschaftstheoretischer Standpunkt noch nichts über die Spe­zifik der erziehungswissenschaftlichen Forschungsmethode aus. Da die Erfor­schung integrationspädagogisch bedeut­samer Sachverhalte ohne Einbezug der Sollensfrage nicht möglich ist, können wir nicht umhin zu sagen, daß der Ge­genstand der Erkenntnis eine ihm ange­messene Methode benötigt und hervor­bringt.(Siehe auch die Ausführungen zum Problem ‚Methode und Gegenstand des Erkennens.)

Nach meiner erfahrungsbezogenen Ein­sicht ist das einfühlende und teilnehmen­de Verstehen diesem Forschungsgegen­stand angemessen. Durch die verstehen­de Methode können wir integrations­pädagogisch bedeutsame Erkenntnisse gewinnen. Ich vermute, dem folgenden Satz dürften auch Vertreter der kriti­schen Methode zustimmen(weil sie ihn nicht widerlegen können): Das Verste­hen der pädagogischen Situation liegt

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