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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Buchbesprechungen

verwirklichen, einstellen, nicht verschwie­gen, sondern angesprochen, erläutert, reflek­tiert.

Dumke und seine Kolleginnen und Kollegen haben ein Buch vorgelegt, das neue Informa­tionen in die Fachdiskussion einbringt und dabei zugleich forschungsorientiert wie pra­xisnah argumentiert kein allzu glattes Buch, sondern eines, das noch zum Nachdenken anregt. Profitieren dürften von der Lektüre Leserinnen und Leser aus Forschung und Wissenschaft ebenso wie solche aus der re­gel- und sonderschulischen Praxis, denn in den alltagsnahen Artikeln im ersten und drit­ten Teil werden ebenso Probleme angespro­chen und reflektiert wie im Hauptteil, z.B. über das Zwei-Lehrer-System, über Integra­tion in der Sekundarstufe, über die besonde­ren Schwierigkeiten flächendeckender Inte­gration. Durchgängig werden aber auch vie­le konkrete und praktikable Vorschläge unter­breitet, denn es wird die faktische Praxis integrativen Unterrichts dokumentiert und reflektiert. Letzteres erfolgt in sorgfältig an­gelegten und gut nachvollziehbar dargestell­ten empirischen Studien, welche neben den Praktikern vor allem den forschenden Kolle­ginnen und Kollegen als exemplarische Bei­spiele für sicherlich kritisierbare, aber ge­lungene Forschung dienen können. Insofern ist dem Herausgeber zuzustimmen, wenn er im Vorwort schreibt(S. 12):Es bleibt zu hoffen, daß die aufgezeigten Strukturen und Prozesse eines integrativen Unterrichts nicht nur dem gemeinsamen Lernen von behinder­ten und nichtbehinderten Schülern zugute kommen, sondern daß sie darüber hinaus auch einen Beitrag zur Fortentwicklung von Lehrmethoden in der Schule leisten mögen.

Prof. Dr. Franz B. Wember, Dortmund

Eberwein, Hans& Mand, Johannes (Hrsg.): Forschen für die Schulpraxis. Was Lehrer über Erkenntnisse qualitativer Sozialforschung wissen sollten. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1995, 390 Sei­ten, DM 56,.

Auch wenn sich dies nicht auf den ersten Blick anhand des Titels erschließt: Die 22 Aufsätze dieses Sammelwerkes widmen sich zu fast einem Drittel dem Schwerpunkt des gemeinsamen Lernens von Behinderten und Nichtbehinderten und spiegeln damit wider, daß die Integrationsforschung derzeit inner­halb der Schulforschung eine herausragende Stellung einnimmt.

Dies ist einerseits dadurch erklärbar, daß in einigen Bundesländern schulpolitische Ent­scheidungen im Hinblick auf Integration im­mer noch von der Legitimation durch die Ergebnisse von Schulversuchen abhängig ge­macht werden. Andererseits wird inzwischen dort, wo das humane Grundrecht des gemein­samen Lebens und Lernens von behinderten und nichtbehinderten Kindern grundsätzlich akzeptiert wird, der Bedarf an systemati­scher Beratung und Begleitforschung durch die beteiligten Lehrerinnen und Lehrer ein­gefordert. Es bieten sich also mit der Integra­tion von behinderten Kindern in die Regel­schule neue Aufgabenfelder für die Verän­derung des Theorie-Praxis-Bezuges in der Schulforschung an. Einige werden in dem vorliegenden Sammelband vorgestellt. An dieser Stelle sollen nun lediglich die Aufsät­ze gewürdigt werden, die sich dem Schwer­punkt dieser Ausgabe der Zeitschrift Heil­pädagogische Forschung zuordnen lassen. Acht Beiträge des von Hans Eberwein und Johannes Mand herausgegebenen Sammel­bandes befassen sich explizit mit der Integra­tion(neben drei weiteren, deren Bezug zur Integration erst auf den zweiten Blick deut­lich wird). Sie geben sowohl einen Über­blick über den neuesten Stand der Integra­tionsforschung als auch Beispiele über die Begleitung der Integrationspraxis mit Me­thoden der Handlungsforschung. Dieser Sam­melband wendet sich an Forscher und Prak­tikerinnen gleichermaßen. Die einzelnen Bei­träge werden jedoch diese beiden. Gruppen in unterschiedlichem Maße ansprechen An­regungen geben sie für beide!

Hier nun die Beiträge im einzelnen:

AlsEinstieg für beide Adressaten geeig­net ist der Überblick von Hans Eberwein über den Stand der Integrationsforschung: Gemeinsames Lernen von Behinderten und Nichtbehinderten wird als Chance zur reform­pädagogischen Veränderung von Schule ins­gesamt gesehen(S. 248), insbesondere zur Veränderung von Unterricht und Lehrerrolle. Speziell für Lehrkräfte, die zu zweit in einer Klasse arbeiten, zeigt Sabine Knauer konkre­te Möglichkeiten zur Veränderung der Leh­rerrolle auf. Sie beschreibt, wie durch den bewußten Einsatz altbekannter Methoden zur Reflexion von Unterricht(Tagebücher, Pro­tokolle, Tür-Und-Angel-Gespräche) die Zu­sammenarbeit aufkommunikative und interaktive Abläufe(S. 290) gerichtet wer­den kann. Einen unmittelbaren Praxisbezug weisen auch die Fallbeispiele von Jutta Schö­ler und Inken Hensel auf: Wie teilnehmende Beobachtung konkret aussehen kann, insbe­sondere durch den Einsatz von Videoauf­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXT, Heft 1, 1995

zeichnungen, macht Jutta Schöler anhand der Fallanalyse von Nurgül einem Mädchen mit schweren körperlichen Beeinträchtigun­gen deutlich. Sie weist auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten hin: bei Planungs- und Auswertungsgesprächen, auf Elternabenden, in der langfristigen Dokumentation von Lern­fortschritten u.a. Gleichzeitig erteilt sie der Sammelwut von Pädagoginnen eine Absa­ge: Kinder und Jugendliche mit einer Behin­derung dürften nicht wie dieletzten Wil­den dem forschenden Interesse von Pädago­gen ausgesetzt werden(S. 341). Stattdessen sollten sich Lehrerinnen bei der Sammlung persönlicher Daten immer die Frage stellen: Dient esdem Individuum zu einer Erweite­rung der Selbstverwirklichung und Selbst­verfügung über seine Entwicklungsmög­lichkeiten?(S. 342) Für eine Begrenzung in der Sammlung von Daten in der Diagno­stik plädiert auch Inken Hensel:Lieber Be­schränkung auf einen enger definierten kon­trollierbaren Systemausschnitt,... als ganze Lebensgeschichten in den Blick zu nehmen und die dann doch eher zufälligen Informa­tionen zu bedeutungsschweren Aussagen zu verknüpfen.(S. 312) Sie beschreibt anhand einer Fallgeschichte detailliert ihr diagnosti­sches Vorgehen: Klärung der Ausgangssitua­tion, Wahl der Ausgangshypothesen, teilneh­mende Beobachtung, diagnostische Kommu­nikation mit dem Kind. Die von ihr vorge­nommenen Begrenzungen begründet sie als hypothesenreduzierenden Vorgang(S. 313), denn:Förderdiagnostik ist kein Programm mit Testbausteinen, sonderen eine individu­elle, hypothesengeleitete Annäherung an Pro­bleme von Schulkindern.(S. 321) Reimer Kornmann hebt in seinem Beitrag als wich­tigste Informationsquelle im diagnostischen Prozeß die beteiligten Lehrerinnen hervor (S. 364). Als Instrument dient ihm ein Ge­sprächsleitfaden(dessen Akzeptanz jedoch nicht immer gegeben ist, wie er kritisch an­merkt S. 375). Diese praxisorientierten An­sätze zum diagnostischen Vorgehen erhal­ten ihre theoretische Ergänzung in dem Bei­trag von Klaus Kraimer mit seinem Bezug zurlebensweltlich-fallorientierten Sozialfor­schung(S. 41ff.). Die Beiträge von Johan­nes Mand, Rita Marx und Rainer Benkmann befassen sich mit Forschungsergebnissen zu verhaltensauffälligen Kinder in der Schule. Ihr Vorge-hen wird eher für Forscher von Interesse sein, die Ergebnisse hingegen soll­ten jedoch auch Praktikerinnen kennen! Jo­hannes Mand kommt in seiner Fragebogen­untersuchung unter Berliner Lehrem(Ost und West) zu dem Ergebnis, daß das Pro­blem weniger beim einzelnen Schüler und

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