Buchbesprechungen
Willen der Eltern von den anderen Menschen zu separieren, kann nicht zu einem demokratischen, gleichberechtigten Zusammenleben aller Menschen führen.“(S. 26) Zwar sieht sie, daß PädagogInnen oft an ihre Grenzen stoßen, unterstreicht aber gleichzeitig auch die Möglichkeiten, die z.B. Konfliktsituationen beinhalten können. Zudem betont sie:„Da, wo Probleme im Zusammenleben sichtbar werden, ist es notwendig, gemeinsam mit allen Beteiligten an menschenwürdigen Lösungen zu arbeiten“ und„Krisen im integrativen pädagogischen Prozeß sind nach meinem Anspruch keine Rechtfertigung dafür, die Kommunikation aufzulösen.“(S. 26) Durchgängig finden sich in den Ausführungen von Jutta Schöler Praxisbeispiele und Fallstudien, die nicht nur anschaulich illustrieren, sondern vielmehr als Methode die Verknüpfung von Theorie und Praxis zu verwirklichen suchen. Ebenso sieht die Autorin zunehmend die Verknüpfung ihrer eigenen Person und Geschichte mit ihrem pädagogischen Denken und Handeln, denn:„Für die pädagogischen Prozesse, an denen die von mir dargestellten Kinder mit Behinderung beteiligt sind, bin ich nicht die außenstehende Beobachterin, sondern ich bin in das soziale Feld einbezogen.“(S. 27) In der Konsequenz wird auch das vorliegende Buch zu einem sehr persönlichen Text, vor allem durch das Nachwort, das den Hintergrund der Autorin und ihren Zugang zum Thema deutlich macht. Ihre pädagogische Arbeit, geprägt von Erfahrungen in pädagogischen Praxisfeldern, zeigt sich beeinflußt vom Wechselspiel zwischen eigener Lebensrealität und theoretischer Auseinandersetzung. Eine nicht zu unterschätzende Stärke der Autorin, die sich zudem in allen Texten widerspiegelt und deshalb gerade in dieser kommentierten Textsammlung ins Auge sticht, ist das Bemühen um eine sprachliche Darstellung, die bei aller fachlichen Kompetenz auch für nicht wissenschaftlich ausgebildete PädagogInnen, wie z.B. Eltern, verständlich bleibt. Trotzdem oder gerade deshalb wird in klar und präzise formulierten Aussagen eindeutig Position bezogen. Selbstverständlich bietet Jutta Schöler dadurch Reibungsflächen, unterbreitet den LeserInnen insgesamt aber auch die Wurzeln und die Basis ihrer zukünftigen Arbeit.„Jedes Kind hat das Recht, gemeinsam mit allen anderen Kindem zu spielen, zu leben und zu lernen.“ (S. 9)
Anna von Borstel, Köln
Vukan, Helga& Rutte, Volker: Gemeinsam lernen. Integration auf der 1. Schulstufe. Wien: ÖBV Pädagogischer Verlag, 1993, 272 Seiten, DM 32,50.
Das Buch von Helga Vukan und Volker Rutte wendet sich vor allem an Lehrerinnen und Lehrer, die eine 1. Integrationsklasse übernehmen. Zugleich ist dieses Buch ein sehr genaues und differenziert geschriebenes Dokument über die verschiedenen Lernprozesse, die in einem Jahr in einer Integrationsklasse stattgefunden haben.
An erster Stelle stehen die Erfahrungen der beteiligten Erwachsenen: Die Klassenlehrerin, die sich nach vielen Jahren„normaler“ Grundschullehrerinnentätigkeit 1984 entschlossen hat, erstmalig eine Integrationsklasse zu übernehmen. Ihre Motivation beschreibt sie aus den Erfahrungen zurückliegender Jahre:„Ich hatte unentwegt das Gefühl, den ‚neuen Kindern‘ nicht gerecht zu werden. Eines war mir klar: Nicht die Kinder, sondern die Schule oder, besser gesagt, wir Lehrer müßten uns ändern.“ Sie wollte sich auf eine neue Herausforderung einlassen:„Es war spannend, es stimmte mich kribbelig und ich empfand es als Herausforderung“(S. 8).
Diese neue Herausforderung bestand zunächst darin, sich auf einen Sonderpädagogen als Partner im Unterricht einzulassen. Die Probleme und Zweifel, die gegensätzlichen Erwartungen in bezug auf das Lernen der nichtbehinderten wie der behinderten Kinder werden von Helga Vukan reflektiert und anschaulich dargestellt. Der Spaß und der Humor, der offensichtlich die Zusammenarbeit dieser beiden Lehrer auch bestimmt hat, ist auch in dem vorliegenden Text erkennbar. Alle die Randbedingungen von Unterricht, die zumeist als Selbstverständlichkeiten wenig reflektiert werden, bekommen im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Integrationsklasse eine besondere Bedeutung: Der Umgang mit den Eltern und mit den Behörden, Individualisierung, Differenzierung und Soziales Lernen, Teamteaching, Projektunterricht, Leistungsbeurteilung, der Umgang mit den eigenen Ängsten. Diese grundsätzlichen, für die beteiligten Ewachsenen wichtigen Überlegungen werden hier nur kurz angesprochen, jedoch für Lehrerinnen, die für sich vor der Entscheidung stehen, eine Integrationsklasse zu übernehmen, mit hinreichender Ausführlichkeit.
Am wichtigsten sind die Kinder! Die beiden Mädchen und die drei Jungen mit einem besonderen Förderbedarf werden vorgestellt: Mit ihren Schwierigkeiten, aber vor allem
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 1, 1995
mit ihren Fähigkeiten und mit ihren besonderen Interessen. Die für mich wichtigste Grundlage integrativer Erziehung wird in den kleinen Fallstudien über Moritz, Doris, Robert, Susi und Max sehr schön verdeutlicht: Ausgehend von den Interessen und Fähigkeiten der Kinder mit Behinderungen müssen wir den Unterricht planen und uns nicht selbst bremsen durch unsere eigenen Ängste vor Behinderung. Viel Kreativität und Phantasie sind notwendig für die Planung eines lebendigen Unterrichts für alle Kinder!
Den größten Teil des Buches(ca. 240 Seiten) nimmt die Dokumentation der Planung und der Durchführung des Unterrichts ein: Von der ersten bis zur 40. Schulwoche je zwei Seiten aus dem„Wochenbuch“ der Lehrerin mit Notizen zu den einzelnen Lernbereichen, zu den differenzierten Förderangeboten für einzelne Kinder, zu den Medien und Materialien.
Exemplarisch sind im Anschluß daran einige Projekte, die im Rahmen dieser Wochenpläne durchgeführt wurden, ausführlicher dargestellt, bis hin zu detaillierten Beschreibungen einzelner Stunden. Die Beispiele sind jeweils so ausgewählt, daß Lehrerinnen und Lehrer vielfältige Anregungen für eigene Planungen finden. Manches ist auch sehr gut geeignet, um es in den Unterricht an anderen Orten mit anderen Kindern zu übernehmen. Hierfür sind die zahlreichen, als Kopiervorlagen eingefügten Arbeitsmaterialien sehr nützlich.
Gleichzeitig wird bei der dargestellten Planung deutlich: Dieses war der besondere Unterricht für diese besonderen Kinder. Ein Unterricht zum Thema:„Unser Dorf“ ist an jedem Schulort ein anderer Unterricht, das Thema eignet sich aber zugleich ausgezeichnet, um viel Allgemeines zu lernen. Oder: Ein umfangreiches Projekt zum Thema„Glokken“ wurde in dieser Klasse durchgeführt, weil Max sich in besonderem Maße für Glokken interessiert. Max wird von der Klassenlehrerin als„das schwierigste Kind“ bezeichnet. Aber über die Beachtung seiner Interessen für den Klang von Glocken, die verschiedenen Glockenformen, Glockentürme bis hin zu den Baustilen der Kirchen fand Max seinen Zugang zu den anderen Kindern. Er war nicht mehr nur derjenige, der durch lärmendes Verhalten die anderen beim Lernen störte, sondern er wurde der, der von etwas Interessantem zu berichten wußte.
Das Buch ist anschaulich durch die unzähligen Zeichnungen und Skizzen, die zum großen Teil bewußt so handschriftlich-improvisierend belassen wurden, wie die Lehrer sie
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