Zeitschrift 
Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
74
Einzelbild herunterladen

Markus Dederich und Christoph Kant- Gegen den Strom Grundzüge der Ethik von Hans Jonas

und es zeigte sich, daß das CFTR-Protein nach der Übertragung durch die Zellen korrekt synthetisiert wurde(144). Auch der in-vivo Versuch bei Baumwollratten verlief erfolgreich: Noch 6 Wochen nach der Infektion mit den manipulierten Vi­ren konnte die Exprimation des CFTR­Proteins in den Lungenepithelzellen der Ratten nachgewiesen werden(146), das eingeschleuste Gen war also noch aktiv. Kritisch bleibt anzumerken, daß die hier vorgestellten Versuche alle mit einem maximal aktivierten Mukoviszidosegen durchgeführt wurden(vgl. Siegfried 1992, 339), außerdembestehen bei Mukovis­zidosezellen auch Proteinsynthese- und Transportstörungen solange das mutierte Gen nicht eliminiert oder zumindest ab­geschaltet ist.(ebd.)

Ethische Konsequenzen. Nach Siegfried ist die ethische Implikation der Gen­therapie in England und in den USA weit­gehend ausdiskutiert, indem dieses neue Therapiekonzept auf gleiche Ebene mit der Organtransplantation gestellt wird. (Siegfried 1992, 139) Bei dem vorherge­henden Beispiel gentechnologischer For­schung sollte aber deutlich geworden sein, daß bei dieser Art der Forschung und des Experiments grundsätzliche Unterschie­de zu herkömmlichen Technologien be­stehen, die auch in der ethischen Bewer­tung eine Rolle spielen: Es ist nämlich nicht möglich, einen Mikroorganismus in dem Sinne zu planen wie z.B. ein Inge­nieur eine Brücke am Reißbrett entwirft. Baumaterial und seine Eigenschaften sind dem gentechnologisch arbeitendem Forscher nur insofern bekannt, als daß er die Reaktion auf seine Manipulation be­obachten kann. Gentechnologisches For­schen impliziert bereits dieHerstellung lebender Organismen, es trifft die Tätig­keit des Ingenieurs auf die Tätigkeit des manipulierten Organismus(vgl. Jonas 1987, 165). Im Gegensatz zur Planung einer Brücke kann man nicht über das Material verfügen, das man beherrschen will:Biologische Tätigkeit ist kollabo­rativ mit der Selbsttätigkeit eines aktiven Materials, dem von Natur aus funktio­nierenden biologischen System, dem eine neue Determinante einverleibt werden soll. Diese wird ihm aufgenötigt, aber

74

auch ausgeliefert. Ihre Integrierung mit dem Ganzen der ursprünglichen Deter­minanten ist bereits Sache des Systems selbst, das die Zutat annehmen oder ab­lehnen kann und selbst das erstere eben auf seine Art tun wird. Seine Autonomie wird als aktiver Partner für die Erziehlung der gewünschten Modifikation in An­spruch genommen. Der technische Akt hat die Form der Intervention, nicht des Bau­ens.(ebd). Jonas sieht in der gentech­nischen Manipulation eines autonomen Wesens wie der Zelle eine Handlung, de­ren Folgen aufgrund der Eigenständigkeit der lebenden Zelle nicht vollständig durch den Menschen vorhergesehen werden kann. Unter Bezugnahme auf die Heuri­stik der Furcht ist eine solche Methode der Manipulation nicht zu befürworten. Diese Meinung wird von praktisch arbei­tenden Gentechnologen natürlich nicht ge­teilt, obwohl auch sie die Gefahren, die von manipulierten Viren ausgehen kön­nen, anerkennen. Das Hauptargument ge­gen den Einsatz gentechnisch manipulier­ter Organismen ist also, daß zwar einige

Wirkungen, die ein Virus in menschlichen

Zellen bekannt sind, die Frage nach wei­

teren möglichen Wirkungen des Virus

aber nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt ist: Man weiß, was das manipu­lierte Virus im Hinblick auf eine bestimm­te Genexprimation tut, aber es bleibt un­klar, welche weiteren Aktivitäten es noch entfalten könnte. Es ergeben sich dadurch

3 Einwände gegen die Anwendung der

manipulierten Adenoviren.

1.Viele Fragen zur Sicherheit der Gen­therapie mit Adenoviren sind ebenfalls noch ungeklärt. Es ist bis jetzt noch nicht möglich, die rekombinante Ade­novirustherapie mit großer Sicherheit auf somatische Zellen zu beschränken und somit die Keimzellbahn auszu­schließen, um ungewollte Wirkungen auf die nächste Generation zu verhin­dern.(Siegfried 1992, 339) Diese Un­möglichkeit liegt z.T. darin begründet, daß Retroviren(Adenoviren sind Retroviren) in der Lage sind, jeden Typ von Säugerzellen zu befallen(vgl. Watson et al. 1993, 208). Dies hat weitreichende Konsequenzen: Wenn tatsächlich eine menschliche Ei- oder Samenzelle von den Viren befallen und

somit in ihrem Genom verändert wür­de, hätte sich eine somatische Thera­pie unter der Hand in eine Keimbahn­therapie verwandelt. Die Risiken ei­nes solchen Eingriffes sind aber nur sehr schwer abzuschätzen und in ihren Wirkungen so unberechenbar, daß die­se Methode nahezu weltweit geächtet Ist.

2.Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, ob das zusätzliche Gen in das menschli­che Genom integriert wird und somit an Tochterzellen vererbt wird oder extrachromosal mit der Zellteilung bald verloren geht. Da eine mögliche Inte­gration des neuen Gens in das mensch­liche Genom bis jetzt noch nicht be­züglich ihres Einbauortes steuerbar ist, muß auch die statistische Möglichkeit einer Tumorinduktion diskutiert wer­den.(Siegfried 1992, 339f.) Die rechtlichen Fragen bezüglich mögli­cherweise nach langer Zeit auftreten­der Nach- und Nebenwirkungen sind nicht geklärt, außerdem ist unklar, wie eine solche Kausalität nachzuweisen bzw. anzuerkennen ist.

3. Weiterhin ungeklärt ist, ob sich der geglückte in-vivo Versuch an den Baumwollratten und der in-vitro Ver­such an menschlichen Zellkulturen tat­sächlich auf Menschen übertragen läßt. As there is no animal model for cystic fibrosis, it is not possible to demon­strate definitively the function of the Ad-CFTR-directed CFTR protein in vivo. However, the Ad-CFTR vector clearly directed the biosynthesis of functional CFTR protein as demon­strated by in vitro studies in cultured cells.(Rosenfeld et al. 1992, 144f.) Selbst Rosenfeld ist sich also nicht si­cher, sondern nur optimistisch, ob sich der unter Laborbedingungen geglück­te Versuch in-vivo bei Menschen wie­derholen läßt.

Das Hauptargument gegen die Anwen­dung einer somatischen Gentherapie be­ruht auf der Unkalkulierbarkeit möglicher (unbeabsichtigter) Nebenfolgen, die, durch die grundlegende Technik bedingt, menschliches Leben in seinen Grundla­gen treffen können. Um die Ungefähr­lichkeit eines genetisch manipulierten Or­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 2, 1995