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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Karin Schakib-Ekbatan und Hermann Schöler- Zur Persistenz von Sprachentwicklungsstörungen

Tab. 6: Anzahl der fehlerhaften Reproduktionen bzw. Auslassungen von Artikeln(Det), Adjektiven (Adj), PossessivPronomen(PossPro) und RelativPronomen(RelPro) bei den sinnvollen Sätzen zu UVI(in Klammern ist jeweils die Auftretenshäufigkeit in den vorgegebenen Sätzen angeführt)

Pb Det(32) Adj(8) Fehler Auslassung Ingo 6 2 Thorsten 1 2 Stefan* 3 1 Steffen 3 3 Ramona S. 2 3 Nadine 0 1 Ramona G. 5 2 Marc 1 0 Thomas 4 3 Summe 25 17 (9%)(25%)

Adj(8) PossPro(4) RelPro(9) er Fehler Auslassung 1 3 0 0 0 0 0 0 2 0 1 0 2 1 0 2 0 0 4 2 5 3 1 0 2 0 2 14 8 9 (21%)(24%)(12%)

* Bei Stefan wurden nur 5 sinnvolle Sätze vorgegeben.

16;1 Jahre(UVD):Die Frau hat sich mit einer Freundin eh in ein Kaffee getroffen wo sie nebenan woh­

nen

Thorsten:

Vorgabe: Die Toguls gornteten den Ti­pen.

9;6 Jahre(UN):Die Koduls die sin

10;2 Jahre(UND:Die Gunsul bitenten den Gonsul

10;8 Jahre(UIV):Die Ko Gontols tipteten den Gutwu

11;1 Jahre(UV):Die Tugögs tempel die die Guwol

15;10 Jahre(UVI):Die Togus tibeten den weiß nich mehr

Diskussion

Zur auditiven Merkspanne(Zahlen­Nachsprechen). Das Ergebnis bestätigt bisherige Befunde, daß die Leistungen sprachauffälliger Kinder oft mit einer unterdurchschnittlichen Merkfähigkeit für auditive Informationen zumindest korrespondieren(siehe u.a. Bee-Götsche 1993).

Zur Flexionsbildung(Erkennen und Korrigieren falscher Flexionen in Sät­zen). Die Leistung bei der Aufgabe, feh­lerhafte Flexionen in Sätzen zu erken­nen und zu korrigieren, stagniert auf ei­nem Niveau, das sprachunauffällige Kin­der bereits in den Grundschulklassen er­reichen(können). Zwar steigt die Lei­stung quantitativ im Vergleich zu den vorherigen Untersuchungen(UN und

UV) an, bezogen auf einzelne Wortklas­sen und die Teilaufgaben ‚sinnvolle Sät­ze und ‚Kunstwortsätze zeigt die mit dem Alter ansteigende Leistung aber le­diglich im Bereich der Verbflexion sta­tistische Signifikanz: Im Gegensatz zur Flexion von Artikeln und Adjektiven kann hier unter Rekurs auf externe Er­eignisse der Lernprozeß für diese For­menbildungen erleichtert werden(zur näheren Diskussion siehe Schöler 1994). Die Diskrepanz zwischen der Erken­nensleistung und den tatsächlich gelun­genen Korrekturen spricht dafür, daß durch zunehmende sprachliche Erfah­rungen(und möglicherweise zunehmen­de metasprachliche Kenntnisse) bei den Pbn ein Problembewußtsein für den Be­reich des sprachlichen Defizits entsteht wie etwa: ‚in dem Satz stimmt was nicht, hört sich an dieser Stelle nicht richtig an. Da aber die Routinen zur automati­schen Formenbildung entweder defizi­tär sind oder fehlen, gelingt die Korrek­tur oft nicht. Der Produktionsprozeß läßt sich als eine kontrollierte Suche und Auswahl aus dem vorhandenen Mor­pheminventar beschreiben, der mehr oder wenig zufällig zu korrekten oder falschen Flexionsbildungen führt.

Zum Nachsprechen von Sätzen. Ins­gesamt läßt sich erkennen, daß die Hauptprobleme im morphologischen Be­reich, nur vereinzelt auch im syntak­tischen Bereich liegen. Defizite in der auditiven Verarbeitung könnten mit­bedingend für diese Probleme sein. Da­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 2, 1995

für sprechen beispielsweise Unterschie­de in der Bewältigung der sinnvollen Sätze, die semantische Orientierungs­punkte für die Rekonstruktion beinhal­ten und der Kunstwortsätze, die exaktes lautliches Durchgliedern der Wörter er­fordern. Satzteile, die zu Beginn und am Ende einer Aussage positioniert sind, scheinen eher reproduziert werden zu können(Kratzer& Schöler 1992), wo­bei die Objekte am Ende eines Satzes durch die geforderten Kasusmarkierun­gen gegenüber den Nominalphrasen, die in der Grundform stehen, wiederum stär­ker fehlerhaft sind.

Die Art der Reproduktionen verdeutlicht, daß die Nachsprechprobleme nicht auf die Produktion beschränkt sein können, sondern daß bereits das Verstehen der Sätze nicht gelungen sein dürfte. In die­sem Zusammenhang postulieren wir im Hinblick auf die Spezifische Sprach­entwicklungsstörung eindefizientes sprachunspezifisches akustisches Ver­arbeitungssystem(siehe u.a. Schöler 1993), das in der Folge zu Störungen des Aufbaus sprachlicher Wissens­strukturen und automatisierter Verarbei­tungsprozeduren führen kann, also auch das Sprachverstehen tangiert. Die Ergeb­nisse beim Nachsprechen von Sätzen, insbesondere bei den Kunstwortsätzen, liefern Evidenz für diese Hypothese. Das aktuelle Sprachverhalten der Ju­gendlichen kann zwar in der Regel als unauffällig gekennzeichnet werden, doch lassen sich die Defizite in der Sprach­verarbeitung bei gezielter Aufgabenstel­lung wieder hervorrufen. Fehler treten dabei wesentlich nur im Bereich morpho­logischer Formenbildungen auf. Im syn­taktischen Bereich haben die Jugendli­chen für den umgangssprachlichen Ge­brauch adäquate Routinen entwickelt, es treten noch Fehler bei der Kongruenz­bildung auf, wobei diese aber auch eher Ausdruck der Probleme mit morpholo­gischen Strukturen sind. Der syntakti­sche Bereich kann semantisch erschlos­sen werden, während die grammatischen Markierungen unbedingt über die Ana­lyse phonologischer Lautketten dekodiert werden müssen. Zusätzlich ist für diese sekundären grammatischen Markierun­gen(Lyons 1971) charakteristisch, daß

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