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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Angela Carell und Christoph Leyendecker- Zum Problem des sexuellen Mißbrauchs von körperbehinderten Menschen

ne Schülerinnen und Schüler und/oder Tab. 4: Gruppierte Sensibilitätswerte

Fälle sexuellen Mißbrauchs aus dem Be­

N Niveau Häufigkeit Prozent valide kum. kannten- oder Verwandtenkreis mit der Prozent Prozent dem geben 62% der Befragten an, SeXU- sensibilisiert In 17 65.4 70.8 87.5 ell mißbrauchte Schülerinnen und Schü- hoch sensibilisiert IV 3 115 125 100.0 ler an ihrer Schule zu kennen. 2 7.7 nicht Über 50% der Befragten bezogen ihre BE

Total 26 100.0 100.0

bisherigen Informationen aus qualitativ höherwertigen Informationsquellen: 54% aus Fachbüchern; 58% aus Fach­zeitschriften(Mehrfachantworten waren möglich). Demgegenüber besuchten nur 19% der Informanten zum Zeitpunkt unserer Untersuchung Fortbildungsver­anstaltungen zu dieser Thematik.

Sensibilitätsniveau: Die von den Be­fragten erzielten Punktwerte bei der Sen­sibilitätsmessung streuen von 37 Punk­ten(Minimum) bis 60 Punkte(Maxi­mum). Dies entspricht einer Spannwei­te(range) von 23 Punkten. Der Median liegt bei 49 Punkten.

Wegen der geringen Stichprobengröße und der wenig gesicherten Trennschär­fe der einzelnen Situationsitems wird eine differentielle Auswertung pro ein­zelner Situationsbeschreibung nicht vor­genommen. Ausgewertet wird lediglich die Verteilung der Summen der Ein­schätzungspunktwerte. Dazu wurden die intervallskalierten Punktwerte der ein­zelnen ratings zu einem Gesamtpunkt­wert summiert. Die Summen der Ein­schätzungspunktwerte waren in vier gleich große Klassen von Sensibilitäts­niveaus unterteilt; die individuell er­reichten Punktwerte wurden diesen Klas­sen zugeordnet.

Die Befragten verteilen sich auf die un­terschiedlichen Sensibilitätsniveaus wie folgt(vgl. Tab. 4): Das niedrigste Ni­veau(Niveau I) ist unbesetzt. Die weit­aus größte Anzahl der Pädagogen und Pädagoginnen(71%) ist für das Pro­blemfeld des sexuellen Mißbrauchs sen­sibilisiert(Niveau II). Der Median die­ses Niveaus liegt bei 49 Punkten, also etwa in der Mitte des Intervalls. 17% der Befragten müssen als wenig sen­sibilisiert eingestuft werden. Der Medi­an liegt hier jedoch im oberen Drittel des Intervalls, bei 38,5 Punkten. Nur 13% der Befragten können als hoch sen­

Anzahl der gewerteten Fragebogen: 24 Anzahl der nicht gewerteten Fragebogen: 2

sibilisiert eingestuft werden, wobei sich der Median im unteren Drittel des In­tervalls befindet(59 Punkte).

Die beobachtete Verteilung weist eine Konzentration der Werte im mittleren Sensibilitätsniveau um den Median der Verteilung auf.

Unsicherheiten sind bei den Situations­beurteilungen vor allem in der Ein­schätzung sexueller Beziehungen zwi­schen Gleichaltrigen zu erkennen. Die Bewertungen eher vage gehaltener Situa­tionsbeschreibungen bereiten erwar­tungsgemäß ebenfalls einige Schwierig­keiten. Zum Teil werden aber auch ein­deutige Situationen falsch beurteilt.

Bei der Einschätzung der Glaubwürdig­keit von Schülern und Schülerinnen, die von einem sexuellen Übergriff berich­ten, würde die Hälfte der Befragten dem Schüler/der Schülerin vorbehaltlos glau­ben. Die anderen würden dem Schüler/ der Schülerin zunächst nur bedingt glau­ben.

Gefährdung: Grundsätzlich sehen alle Befragten körperbehinderte Menschen als gefährdet an, sexuell mißbraucht zu werden. Einschränkend muß an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen wer­den, daß in Gesprächen, die am Rande der Untersuchung mit Pädagogen und Pädagoginnen der betreffenden Körper­behindertenschule geführt wurden, auch gegenteilige Meinungen zum Ausdruck kamen. Personen, die körperbehinderte Menschen nicht für gefährdet halten, haben sich den Aussagen zur Folge je­doch nicht an der Befragung beteiligt.

36% der Informanten stufen körperbe­hinderte Menschen alsuneingeschränkt gefährdet ein. 32% halten Körperbehin­derte fürgrundsätzlich gefährdet, ma­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 2, 1995

chen ihre Beurteilung aber von anderen Faktoren abhängig. Drei Befragte nann­ten in diesem Zusammenhang Art und Schweregrad der Beeinträchtigung als einflußnehmende Faktoren. Von zwei Informanten wurde u.a.Distanzlosig­keit genannt; zwei Informanten gaben als weitere BedingungsfaktorenAbhän­gigkeit undPflegebedürftigkeit an. Die Befragten schätzen Personen mit Schweren Beeinträchtigungen gegen­über Personen mitleichteren Behin­derungen als tendenziell stärker gefähr­det ein(vgl. Abb. 3).! Am stärksten wird die Gefährdung von pflegebedürftigen Personen bzw. Körperbehinderten mit intellektuellen bzw. kommunikativen Beeinträchtigungen eingestuft.

Jeweils 70% der Informanten erachten sowohl Menschen mit schweren als auch mit leichten Behinderungen als sehr ge­fährdet, sexuell mißbraucht zu werden. 22% der Befragten stufen schwer beein­trächtigte Menschen als stark gefährdet ein, dagegen sehen nur 4% der Pädago­gen und Pädagoginnen leichter beein­trächtigte Menschen als stark gefährdet an(vgl. Abb. 3).

Ein Vergleich der gruppierten Häufig­keitsverteilungen bei Einschätzung des Gefährdungsgrades von leichter bzw. Schwerer beeinträchtigten körperbehin­

! Schwere Beeinträchtigung wurde im Fragebogen mit folgenden Aussagen umschrieben:alle vier Extremitäten stark betroffen;auf Fortbewegung im E-Rollstuhl angewiesen;selbständige Fort­bewegung auch mit Hilfsmitteln nicht möglich; körperbehindert und pflegebedürftig; leichte Beeinträchtigung wurde umschrieben alsgerin­ge grobmotorische Beeinträchtigungen;Fort­bewegung ohne Hilfsmittel möglich;nur die unteren Extremitäten sind stark betroffen;selb­ständige Fortbewegung mit Hilfe des Rollstuhls möglich.

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