Petra Wolschke tal.- Unterschiedliches Lernverhalten von Kinder im ersten Schuljahr(Leipziger Lerntest DB-BAK)
vorgeschlagen. Im Englischen ist die Bezeichnung„Learning Potential Assessment“(Budoff et al. 1971; Feuerstein 1972),„Dynamic Assessment(Lidz 1987) oder„Interactive Assessment“ (Haywood& Tzuriel 1992) gebräuchlich. Zur Entwicklung von Lerntests findet sich eine aktuelle Diskussion in Hamers, Sijtsma und Ruijssenaars(1993). Begriffbildungsprozesse, wie sie im DPBAK untersucht werden, haben für die kognitive Entwicklung eine große Bedeutung(vgl. u.a. Klausmeier 1980; Hoffmann 1986; Luria 1987; Lerch und Schlesier 1992). Sie wurden mehrfach untersucht und gelten in ihrer Anforderungsstruktur als weitgehend aufgeklärt(vgl. u.a. Klix 1976). In verschiedenen Laborexperimenten wurde versucht, den natürlichen Begriffsbildungsprozeß zu simulieren. Ausgangspunkt waren die klassischen„Suchmethoden“ von Ach(1921) und Wygotski(1934). Diese Autoren erkannten auch schon deren differentialpsychologischen und praktisch diagnostischen Wert, insbesondere aufgrund ihrer Untersuchungen bei Schizophrenen und Hirnschußverletzten. Seither werden in der Neuropsychologie, insbesondere unter Einfluß von Luria(1970), Begriffsbildungsanforderungen experimentell und diagnostisch eingesetzt. Weit verbreitet sind der Untertest„Category“ aus der Halstead-Reitan-Testbatterie und der Wisconsin Card Sorting Test, die bei himgeschädigten Patienten die Fähigkeit zum Regelerkennen, zur Abstraktion und zur kognitiven Umstellung erfassen sollen (vgl. Lezak 1983; Wittling, Schweiger & Roschmann 1992).
Auch bei Kindern wurde die differentialpsychologische und diagnostische Relevanz des begriffsanalogen Klassifizierens wiederholt überprüft. Wichtige deutschsprachige Arbeiten beschäftigten sich mit dem Lernverhalten von Kindern mit Lernbehinderung(Kleber 1973, 1984), mit Cerebralparese(Leyendecker 1977), mit Sprachentwicklungsstörungen(Heidimann 1979) und mit kongenitalen Sehstörungen(Sprung et al. 1980). Bei frühkindlich hirngeschädigten Kindern wurde von Meyer-Probst (1974) die semantische und geometri
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sche Kategorisierungsleistung beim Sortieren von Karten untersucht. Generell wird von den Autoren hervorgehoben, daß Hilfen des Untersuchers in Form von Rückmeldungen über die Angemessenheit der Anworten geeignet sind, Lernprozesse einzuleiten. Da die konventionellen Intelligenztests wenig„lernanregend“ sind, wird vermutet, daß solche als Tests aufbereitete„BegriffsbildungsLernversuche“ etwas anderes messen als Intelligenztests, wenn auch gewisse Gemeinsamkeiten zu manchen Intelligenztests(Erkennen von Regeln) nicht zu übersehen sind.
Der Leipziger Lerntest DP-BAK geht durch die Verwendung eines Systems abgestufter Hilfen über einfache Rückinformationen hinaus und entspricht daher den Anforderungen an einen Lerntest. Es ist zu erwarten, daß dadurch differentialdiagnostische Unterscheidungen zwischen leistungsschwachen Kindern möglich werden. Nur wenige ziehen Nutzen aus einfachen Rückinformationen, vielmehr benötigen insbesondere Kinder mit besonderem Förderbedarf zur Stimulierung eines Lernprozesses abgestufte Hilfestellungen(Iwanowa 1973, 1976; Guthke 1980). Die Anzahl an gegebenen Hilfen könnte daher vielleicht besser zwischen Gruppen von lernschwachen Kindern unterscheiden als die Leistungsmessung mit herkömmlichen Statustests(s. hierzu schon Wygotski 1964).
Generell dient die Anwendung von Lerntests aber nicht der Auslese von lernauffälligen Kindern, vielmehr soll die Lernfähigkeit in spezifisch sprachlichen oder kognitiven Bereichen erfaßt werden, um im Einzelfall die Notwendigkeit einer differenzierten schulischen und therapeutischen Förderung zu unterstützen. Zwar wird, wie oben begründet, erwartet, daß das Vorliegen von„spezifischer Lernfähigkeit“ bei lernauffälligen Kindern auch mit den Leistungen in konventionellen Intelligenztests korreliert, nicht aber in einem sehr hohen Grade. Andererseits sollten auch Lerntests mit Außenkriterien korrelieren. Die„idealen Außenkriterien‘“ für Lerntests sind nicht Zensuren, Schultypzuordnungen oder Lehrereinschätzungen, obwohl sie
bisher in der Lerntestforschung überwiegend benutzt wurden(vgl. Guthke 1989). Wünschenwert wären„dynamische Kriterien“, die aus Längsschnittstudien, aus adaptiv gestaltetem Unterricht oder aus kontrollierten Lernversuchen gewonnen werden(Guthke, Räder, Caruso& Schmidt 1991; Embretson 1992; Beckmann, Funke& Guthke 1993). Untersuchungen dieser Art wurden bisher unter Verwendung des DPBAK nicht durchgeführt. Auch in der vorliegenden Arbeit können wir nur traditionelle Kriterien für die Valdierung des DP-BAK berücksichtigen, obwohl sie leicht Beurteilungsfehlern unterliegen und von Drittvariablen wie Motivation und Qualität der schulischen bzw. häuslichen Förderung mit beeinflußt sind (vgl. Heller, Rosemann& Steffens 1978; Waldmann& Weinert 1990). Dennoch soll versucht werden, auf Grund der mit Hilfe von DP-BAK ermittelten Lernfähigkeit bei Kindern des ersten Schuljahres verschiedene Lerner-Typen abzugrenzen und deren Verteilung auf Schultypen zu ermitteln.
Im einzelnen untersuchten wir folgende
Fragestellungen:
— Einfluß des Schultyps. Zeigen sich im Leipziger Lerntest DP-BAK Unterschiede in Höhe und Gestalt der Leistungsprofile(Hilfenverbrauch), wenn Kinder verschiedener Schultypen(Regel-, Sprachheil- und Lernbehindertenschule) verglichen werden? Können die Kinder auf Grund des Hilfenverbrauchs im Lerntest entsprechend ihrer Schulzugehörigkeit getrennt werden?
— Gruppierung der Kinder. Lassen sich unabhängig vom Schultyp auf Grund des Hilfenverbrauchs verschiedene Cluster von Kindern(„Lerntypen“) unterscheiden? Welche Unterschiede bestehen zwischen den DP-BAK-Clustern hinsichtlich Alter, Geschlecht, Anamnese-, Entwicklungs- und Verhaltensmerkmalen sowie der sprachlichen und kognitiven Leistungen im Statustest?
— Interkorrelationen. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Hilfenverbrauch im DP-BAK und den
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 2, 1995