Christian Klicpera und Barbara Gasteiger Klicpera: Hilfen für„Täter“ und„Opfer“ aggressiver Handlungen in der Schule
In den letzten Jahren wird immer häufiger das Thema der Gewalt in der Schule angesprochen. Einige Untersuchungen (Niebel etal. 1993, Dettenbach und Lautsch 1993) deuten darauf hin, daß aggressives Verhalten unter Schülern nicht nur sehr verbreitet ist, sondern daß ein beträchtlicher Teil der Lehrer, aber auch der Schüler selbst eine Zunahme der Gewaltprobleme in der Schule wahrnimmt. Es ist dabei nicht ohne weiteres auszumachen, ob es sich um eine tatsächliche Zunahme der Häufigkeit solcher Verhaltensweisen handelt, ob Regeln für das Austragen von Konflikten ihre Verbindlichkeit verloren haben und Auseinandersetzungen gewalttätiger geworden sind, oder ob die Beunruhigung über derartige Vorkommnisse zugenommen hat. In jedem Fall ist eine zunehmende Sensibilität dafür festzustellen, daß aggressives Verhalten an den Schulen zu beträchtlichem Leiden bei den von den Gewalthandlungen Betroffenen führen kann.
Diese Beunruhigung führt auch dazu, daß innerhalb der Schule stärker überlegt wird, was die Schule dazu beitragen kann, daß Auseinandersetzungen zwischen Schülern konstruktiver geführt und Verletzungen, Herabsetzungen und Kränkungen vermieden werden. Vor allem die Bemühungen in Norwegen, wo in den 80er Jahren ein erfolgreiches Programm zur Verringerung von Gewalt an den Schulen durchgeführt wurde(Olweus 1992, 1993), ermutigen eine Verstärkung der Anstrengungen. Olweus(1993) betonte dabei, daß Interventionen auf verschiedenen Ebenen ansetzen müssen: auf der Ebene der gesamten Schule, in den einzelnen Klassen und durch Hilfen an den einzelnen Schüler. Ein Hauptakzent dieses Ansatzes liegt darin, daß versucht wurde, die Einstellung der gesamten Schule zu aggressiven Auseinandersetzungen zu verändern. So wurde vor allem die gemeinsame Verantwortung und das Zusammenhalten aller gegen Gewalt, die Vereinbarung von Regeln im Gespräch zwischen Lehrern und Schülern, aber auch das vermehrte Eingreifen von Lehrern in aggressive Auseinandersetzungen und die Veränderung der Rahmenbedingungen(etwa in den
144
Pausen) betont. In dem landesweit realisierten Programm wurden den Lehrem vielfältige Vorschläge für Maßnahmen zur Prävention von Aggression gegeben, aus denen sie mit Hilfe externer Berater die für ihre Schule geeigneten auswählen konnten. Längerfristige Beobachtungen über die Entwicklung aggressiven Verhaltens zeigten, daß nach Angaben der Schüler in den teilnehmenden Schulen die Häufigkeit aggressiver Auseinandersetzungen deutlich zurückging(Olweus 1992).
Das gemeinsame Gespräch zwischen Lehrern und Schülern wird nicht nur von Olweus, sondern auch von anderen als ein Medium gesehen, das den Schülern soziales Lernen ermöglichen kann und durch das z.B. kooperative Konfliktlösungen gefördert werden können (Neubauer 1994). Bei der Konzeption integrativer Betreuungskonzepte für verhaltensauffällige Schüler wurde auch immer wieder gefordert, daß bereits im Vorfeld spezieller Hilfen eine Verbesserung der Interaktionsformen in der Klasse angestrebt werden sollte(z.B. Bach 1984). Nun sind allerdings die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen nichts völlig Neues, vielmehr werden Lehrer auch ohne Durchführung eines schulweiten Programmes zur Verminderung von Gewalt versuchen, Konflikte im Gespräch zu klären und in Auseinandersetzungen zwischen Schülern einzugreifen. Bevor zusätzliche Maßnahmen gesetzt werden, scheint es daher angezeigt, die gegenwärtige Situation und die bereits verfügbaren Maßnahmen in ihrer Wirksamkeit zu analysieren. Dies wird auch von Olweus(1993) hervorgehoben, der betont, daß sich die Entwicklung von Maßnahmen gegen Gewalt an den Schulen an der Analyse der Situation in jeder Schule orientieren muß. Dies bedeutet unserer Ansicht nach insbesondere, daß eine genaue Analyse erforderlich ist, die zeigt, wie die Schüler die Bemühungen der Schule um Verhinderung von Aggression gegen Mitschüler beurteilen. Besonderes Augenmerk sollte dabei jenen Schülern zugewandt werden, die häufiger in solche Auseinandersetzungen verwickelt sind.
Im Rahmen einer breiter angelegten Un
tersuchung über Aggression in der Schule(Klicpera& Gasteiger-Klicpera 1994) wurde versucht, aus dem Blickwinkel der betroffenen Schüler, aber auch der Lehrer, Hilfen für Schüler, die häufiger in aggressive Auseinandersetzungen verwickelt sind, sowie Maßnahmen, die helfen können, Konflikte zwischen Schülern auf konstruktivere Weise zu lösen, zu analysieren. Folgende Gruppen von Maßnahmen werden dabei näher betrachtet:
e Eingreifen von Lehrern in aggressive Auseinandersetzungen zwischen Schülern
e Aufgreifen der Anliegen der Klasse und der Konflikte zwischen den Schülern im Unterrichtsgespräch
e Gestaltung der Pausen(z.B. wieweit bieten sie den Schülern ausreichend Betätigungsmöglichkeiten)
e individuelle Hilfen für jene Schüler, die Probleme haben.
Aus Gründen der Praktikabilität wurde die Erhebung auf die 8. Schulstufe beschränkt. Hier ist ein Vergleich der beiden Schultypen der Sekundarstufe in Österreich, der Allgemeinbildenden Höheren Schule(AHS) und der Hauptschule, möglich und bei älteren Schülern kann eine größere Fähigkeit zur Reflexion ihrer Erfahrungen erwartet werden.
Untersuchungsmethode Stichprobe
Als Einheiten der Untersuchung galten Schulen bzw. Klassen der 8. Schulstufe. Sowohl in Wien wie in Niederösterreich wurden dabei jeweils 40 Schulen nach einem Zufallsprinzip ausgewählt, wobei die Zusammensetzung der Schulen aus den beiden Schultypen AHS und Hauptschule der Verteilung im jeweiligen Bundesland entsprach und damit in Wien jeweils 20 Hauptschulen und 20 AHS umfaßte, in Niederösterreich 10 AHS und 30 Hauptschulen. Pro Schule wurde nach dem Zufallsprinzip jeweils eine Klasse der 8. Schulstufe ausgewählt. In allen diesen Schulen erklärten sich sowohl die Direktoren wie die Lehrer der
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 3, 1995