Christian Klicpera und Barbara Gasteiger Klicpera- Hilfen für„Täter“ und„Opfer“ aggressiver Handlungen in der Schule
lehnt ein beträchtlicher Teil der Schüler, die häufiger in aggressive Handlungen verwickelt sind, ohne selbst Schaden zu nehmen(„Täter“), ein Eingreifen der Lehrer in Auseinandersetzungen zwischen Schülern rundherum ab(Tab. 1)(45%). Näheres Nachfragen über die Gründe, die für bzw. gegen ein Eingreifen der Lehrer sprechen, zeigte, daß Gründe, die ein Eingreifen der Lehrer aus Rücksichtnahme auf schwächere Schüler nahelegen, bei diesen Schülern relativ wenig Zustimmung findne. Sie stimmen andererseits Gründen, die gegen ein Eingreifen der Lehrer sprechen, weitaus Stärker zu als die übrigen Schüler. So stößt die Aussage, daß Raufereien die Lehrer nichts angingen, bei 63% dieser Schüler auf Zustimmung.
Opfer von aggressiven Handlungen stehen hingegen dem Eingreifen nicht nur insgesamt positiver gegenüber, sie stimmen auch den Gründen, die für ein Eingreifen sprechen, deutlich stärker zu, SOgar noch stärker als Schüler, die wenig in aggressive Auseinandersetzungen involviert sind.
Bedenkenswert ist auch, daß aggressive Schüler ihre negative Einstellung zum Eingreifen auch durch die Lehrer bestätigt sehen und bei den Lehrern eine deutlich stärkere Zurückhaltung gegenüber dem Eingreifen in Auseinandersetzungen wahrnehmen als die übrigen Schüler. Sie sehen ihre Haltung, Konflikte durch tätliche Auseinandersetzungen auszutragen, durch die Lehrer gebilligt.
Erfahrungen mit Klassengesprächen über das Zusammenleben in der Klasse
In fast allen Klassen werden nach Angaben der Schüler wie der Lehrer Fragen, die für das Zusammenleben der Schüler in der Klasse bedeutsam sind, wenigstens gelegentlich in einem Klassengespräch aufgegriffen. Solche Klassengespräche werden von allen Schülern außer jenen, die selbst häufiger aktiv in Raufereien verwickelt sind, als sehr wichtig bezeichnet. Die Einschätzung der letzteren Gruppe fällt dagegen deutlich zurückhaltender aus. Nur die
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Hälfte meint hier, daß die Gespräche sehr wichtig seien und man sich mehr Zeit dafür nehmen sollte(Tab. 2).
Die Erfahrungen der Schüler mit diesen Klassengesprächen wurden mit 12 Fragen erhoben, die sowohl positive Erfahrungen bzw. positive Auswirkungen von Klassengesprächen(z.B. besseres Kennenlernen der Ansichten von Mitschülern, Lösung von Konflikten in der Klasse) als auch Kritik an den Klassengesprächen beinhalten. Ein Vergleich der Aussagen der Gruppen, die in unterschiedlichem Ausmaß an Auseinandersetzungen in der Klasse beteiligt sind, zeigt, daß Schüler, die aktiv in Raufereien verwickelt sind, die positiven Auswirkungen der Gespräche deutlich zurückhaltender beurteilen als die Opfer von Aggressionen und unbelastete Schüler. Sie profitieren also nur begrenzt von diesen Gesprächen. Die Opfer von Ag
gressionen halten die Gespräche auf der anderen Seite zwar für wichtig und können auch durchaus positive Auswirkungen sehen, beurteilen aber die Gespräche gleichzeitig weitaus kritischer und sehen deutlicher die mangelnde Anteilnahme und Offenheit von Mitschülern. Zudem stellen diese Schüler auch häufiger fest, daß sie ihre eigenen Anliegen nicht ausreichend einbringen können.
Insgesamt war auffallend, daß die von den meisten Schülern betonte Bedeutung von Klassengesprächen für das Zusammenleben in Kontrast stand zu einer doch recht zurückhaltenden Beurteilung der Art und Weise, wie diese Klassengespräche geführt werden. So stellten auch von den unbelasteten Schülern zwei Drittel fest, daß diese Gespräche von vielen nicht wirklich ernst genommen würden. Von den Lehrern meinte etwa die Hälfte, daß solche Gespräche nicht
Tab. 2: Aussagen der Schüler zur Bedeutung und dem Einfluß von Klassengesprächen sowie zur Pausengestaltung(% Zustimmung): Vergleich von Schülern, die in unterschiedlichem Ausmaß in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt sind(signifikante Unterschiede:*p< 0.05;*p< 0.01;
** p< 0.001).
Solche Gespräche sind sehr wichtig.**
Für solche Gespräche sollte man sich
viel mehr Zeit nehmen.**
Gewinn aus Klassengesprächen:
Besseres Kennenlernen der Mitschüler** Besseres Verständnis für das Verhalten anderer** Gelegenheit, die eigenen Ansichten den
anderen besser verständlich zu machen** Hinweis, was andere gut an einem finden
bzw. was sie stört
Konflikte in der Klasse konnten gelöst werden.* Tips zum besseren Lösen von Konflikten
Kritik an Klassengesprächen:
Gespräche von vielen nicht wirklich
ernst genommen.**
Manche sagen nur, was der Lehrer hören will.** Es beteiligen sich immer nur die gleichen Schüler.** Über die eigentlichen Konflikte in der
Klasse wird nicht gesprochen.**
Würde sich selbst nie trauen, eine Meinung
zu sagen, die von jener der anderen abweicht.* Kann die eigenen Anliegen nicht einbringen.** In den Pausen ist mir oft langweilig,
weil wir nichts richtig tun können.*
Ich würde mich in den Pausen gerne mehr austoben können.**
In den Pausen geht es manchmal so wild zu, daß ich mir wünschte, die Lehrer würden genauer aufpassen und öfter eingreifen.**
Unbelastet Täter Täter+Opfer Opfer 73% 43% 66% 81% 72% 46% 66% 76% 50% 37% 41% 40% 55% 41% 52% 59% 50% 38% 43% 40% 49% 50% 51% 58% 58% 49% 47% 52% 44% 38% 41% 37% 67% 65% 76% 93% 55% 66% 83% 174% 61% 61% 73% 78% 28% 46% 44% 51% 17% 18% 18% 21% 28% 31% 44% 55% 32% 42% 47% 48% 42% 68% 49% 53% 21% 17% 27% 43%
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 3, 1995