Christian Klicpera und Barbara Gasteiger Klicpera- Hilfen für„Täter“ und„Opfer“ aggressiver Handlungen in der Schule
bestehen müßte, mit den Schülern Einverständnis darüber zu erzielen, wann sich ein Schüler an den Lehrer wenden kann und soll. Die eben dargestellten Aussagen der Schüler zeigen, daß selbst bei jenen, die zum Opfer von Aggressionen werden, diesbezüglich eine relativ große Zurückhaltung besteht, und daß ein solches Verhalten von anderen Schülern oft abgelehnt wird.
Hilfen für die Opfer von Aggressionen—- Erfahrungen der Lehrer: Wenn den Lehrern bekannt wird, daß Schüler Opfer der Aggressionen von Mitschülern werden, so stellt dies gewöhnlich keinen Anlaß dar, Hilfe von außen(durch Schulpsychologen) in Anspruch zu nehmen. In den Schulen, in denen Beratungslehrer tätig sind, wird allerdings
von einem Viertel der Lehrer häufiger von deren Hilfe Gebrauch gemacht. Nahezu die Hälfte der Lehrer versucht— ihren Angaben nach— in diesem Fall häufig, in einem Gespräch mit dem betroffenen Schüler die Ursachen zu klären und ihm auch zu zeigen, daß er sich anders verhalten muß(siehe Tab. 4). Es sollte dabei allerdings bedacht werden, daß nur von einem kleinen Teil der Schüler— den eigenen Aussagen nach— persönliche Gespräche mit den Lehrern als Hilfe gewünscht werden.
Neben persönlichen Gesprächen mit den betroffenen Schülern sprechen Lehrer auch häufiger mit der ganzen Klasse über dieses Problem, was sich aus ihrer Sicht als effektivste Maßnahme erwiesen hat.
Tab. 4: Erfahrungen der Lehrer mit Hilfen für die Opfer von Mitschüler-Aggressionen und mit Maßnahmen, die das Verhalten aggressiver Schüler positiv beeinflussen sollen(Häufigkeit der Anwendung von verschiedenen Maßnahmen und Beurteilung des Erfolgs)
Hilfen für die Opfer von Aggressionen: Gespräche mit dem Schüler, um Größe und Ursachen des Problems herauszufinden
Gespräche mit dem Schüler, um ihm zu zeigen, daß er sich anders verhalten muß, damit er aus dieser Rolle herauskommt
Gespräche mit der ganzen Klasse über das Problem Maßnahmen, die zu einer Aufwertung der Rolle
des Schülers in der Klasse führen können Motivieren anderer Schüler zur Hilfe Gespräche mit den Eltern dieses Schülers Veranlassung einer Betreuung dieses Schülers durch den Beratungslehrer/Psychagogen* Veranlassung einer Vorstellung dieses Schülers beim Schulpsychologen
Einflußnahme auf aggressive Schüler: Gespräche mit dem Schüler, um Größe und Ursachen des Problems herauszufinden
Gespräche mit dem Schüler, um ihn zu einer Veränderung seines Verhaltens zu bewegen Gespräche mit der ganzen Klasse über das Problem Stärkeres Verantwortungsbewußtsein für die Klassengemeinschaft wecken
Ihm eine positive Rolle in der Klasse ermöglichen Gespräche mit den Eltern dieses Schülers Veranlassung einer Betreuung dieses Schülers durch den Beratungslehrer/Psychagogen* Veranlassung einer Vorstellung dieses
Schülers beim Schulpsychologen
me selten oft geringe mittlere große Hilfe Hilfe Hilfe
16% 36% 48% 32% S\% 17% 21% 36% 43% 35% 50% 15% 24% 38% 38% 30% 49% 21% 40% 31% 29% 47% 38% 15% 26% 39% 35% 37% S0% 13% 47% 41% 12% 61% 32% 7% 52% 24% 24% 39% 39% 22% 80% 17% 3% 1% 22% 7% 14% 34% 52% 33% S1% 16% 13% 31% 56% 40% 49% 11% 27% 35% 37% 40% 44% 16% 20% 32% 48% 37% 45% 18% 25% 42% 33% 42% 40% 18% 44% 38% 18% 57% 37% 6% 45% 35% 20% 41% 32% 21% 82% 14% 4% 67% 271% 6%
* Bei der Auswertung dieser Fragen wurden nur die Hauptschulen in Wien, in denen Beratungslehrer und
Psychagogen arbeiten, berücksichtigt.
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Einflußnahme auf aggressive Schüler: Auch in bezug auf Versuche der Lehrer, zu einer Änderung des Verhaltens aggressiver Schüler beizutragen, gilt, daß die Lehrer zumeist versuchen, diese Probleme innerhalb der Klasse zu lösen und nur selten Hilfen durch Schulpsychologen oder Beratungslehrer in Anspruch nehmen. Am häufigsten besteht der Versuch der LehrerInnen, auf aggressive Schüler einzuwirken, darin, mit ihnen zu sprechen und sie zu ermahnen. Die LehrerInnen beurteilen jedoch die Effektivität dieser Maßnahmen als relativ gering, wie überhaupt auch hier die meisten nicht sehr zufrieden mit den von ihnen angewandten Vorgangsweisen sind. Insgesamt kann man feststellen, daß die Lehrer die Wirksamkeit ihres Vorgehens in diesem Bereich noch skeptischer einschätzen als die Versuche, den Opfern von Aggressionen zu helfen.
Diskussion
Die Erfahrungen dieser repräsentativen Stichprobe von Schülern und Lehrern aus zwei österreichischen Bundesländern machen die Schwierigkeiten, denen schulische Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt begegnen, recht deutlich. Da ist einmal die relativ große Distanz zwischen der Welt der Lehrer, die als Beurteiler der Leistungen und des Verhaltens der Schüler Macht ausüben, und der Welt der Schüler. Dies erschwert die Kommunikation und führt allzu leicht dazu, daß die Schüler in Gesprächen mit den Lehrem nicht offen ihre Meinung sagen und ihre Anliegen nur mit großer Zurückhaltung vorbringen. Diese Schwierigkeiten wurden in dieser Untersuchung besonders in der Beurteilung von Klassengesprächen deutlich. Sie beeinflussen jedoch auch die Möglichkeiten der Lehrer, in Auseinandersetzungen zwischen Schülern einzugreifen, da diese nur zum Teil von den Lehrern direkt beobachtet werden können und die Lehrer damit auf Mitteilungen der Schüler angewiesen sind. Hier wird zudem noch ein anderes Dilemma deutlich, das mit der Kluft zwischen Lehrern und Schülern zusammenhängt. Vie
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 3, 1995