Christian Klicpera und Barbara Gasteiger Klicpera+ Hilfen für„Täter“ und„Opfer“ aggressiver Handlungen in der Schule
le Lehrer sind— wohl zum Teil zu recht — der Meinung, daß Konflikte zwischen den Schülern von diesen selbst gelöst werden können und daß das Eingreifen der Lehrer in solche Auseinandersetzungen auch schädlich sein kann. Diese Ansicht verträgt sich allerdings schlecht mit der Tatsache, daß es immer wieder bestimmte Schüler sind, die zum Opfer von Nachstellungen und Angriffen anderer Schüler werden, und daß sich diese Schüler nur schlecht gegen Nachstellungen schützen können.
Um diesen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, ist es unumgänglich, daß die Schüler dafür gewonnen werden, als Klassen- oder Schulgemeinschaft selbst für Fairness zu sorgen. In der Frage, wie dies zu erreichen ist, stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Olweus(1993) betont sehr stark die Initiative der Lehrer, die ein Einverständnis der Schüler über gemeinsame Regeln von Fairness herbeiführen sollen. Kohlberg und andere(siehe z.B. Kohlberg und Higgins 1987) setzen hingegen auf demokratische Strukturen in der Schule, wobei die Schüler solche Regeln selbständig erarbeiten und die Lehrer nur als gleichberechtigte Partner diesen Prozeß unterstützen. Die bisherigen Erfahrungen reichen nicht aus, um diese beiden Vorge
Literatur
hensweisen zu beurteilen. Wenngleich die stärkere Übertragung von Verantwortung an die Schüler in den höheren Klassen vieles für sich hat, müßte geklärt werden, welche Rahmenbedingungen für eine erfolgversprechende Realisierung dieses Vorgehens erforderlich sind.
In jedem Fall deuten die Erfahrungen, die Lehrer und Schüler über Klassengespräche berichten, darauf hin, daß diese derzeit nur sehr begrenzt in der Lage sind, zur Lösung von Konflikten in der Klasse oder zumindest zu einem angemesseneren Umgang mit Konflikten beizutragen. Die Mehrzahl der befragten Lehrer war selbst der Meinung, daß sie wesentlich mehr Fortbildung bräuchten, um solche Gespräche gut führen zu können. Mehr Zeit für Klassengespräche anzusetzen, wie dies gelegentlich gefordert wird, wird also nicht automatisch zu einem besseren Klassenklima führen. Solange solche Gespräche ohne ausreichende Vertrauensbasis geführt werden und sie keine ausreichende Ernsthaftigkeit gewinnen, sind keine allzu positiven Auswirkungen zu erwarten.
Die zweite Schwierigkeit, auf die diese Analyse aufmerksam macht, sind die unterschiedlichen Einstellungen und Positionen, die von den Schülern, die in verschiedener Form in Konflikte involviert
sind, eingenommen werden. Es zeigte sich, daß die Bemühungen der Lehrer gerade bei jenen Schülern, die häufiger aktiv in Auseinandersetzungen verwikkelt sind, nur zum Teil akzeptiert werden, während andererseits die Opfer von Mitschüleraggressionen große Erwartungen an die Hilfe der Lehrer haben.
Vor allem die Schüler, die zum Opfer von Aggressionen werden, plädieren für ein stärkeres Eingreifen der Lehrer in Auseinandersetzungen. Hier steht ihre Sichtweise sehr im Gegensatz zu jener von Schülern, die selbst aktiv an diesen Auseinandersetzungen teilnehmen. Dies weist darauf hin, daß es in den Schulen derzeit nur begrenzt gelingt, ein Einverständnis der Klasse über die Bedeutung von Hilfestellungen durch die Lehrer bei Konflikten in der Klasse zu schaffen. Eine wesentliche Schwierigkeit liegt darin, daß Schüler, die aktiv in Auseinandersetzungen verwickelt sind, oft ein schlechtes Verhältnis zu den Lehrem haben. Dies erschwert den Lehrern, auf diese Schüler einzuwirken.
Klarer wurde auch, daß die größten Erwartungen daran geknüpft werden, daß die Schüler selbst zusammenhalten und bei unfairen Auseinandersetzungen Hilfe von den Klassenkameraden kommen müßte.
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Anschrift des Autors:
Doz. Dr. med. Dr. phil Chr. Klicpera
Abteilung für angewandte und klinische Psychologie Gölsdorfgasse 3/6
A-1010 Wien
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 3, 1995
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