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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Buchbesprechungen

fühle keine Rolle spielen, wohl aber die Aus­einandersetzung mit Umweltfaktoren. Die Autorin betont, daß beide Ansätze nicht die Förderung der allgemeinen Kommunikati­onsfähigkeit bewirken.(S. 78) Dies ist eher ein Spezificum der indirekten Therapien, die keine Fokussierung auf Sprechen aufweisen, sondern eher z.B. auf verbales und non-ver­bales Verhalten.

Ein entschiedener Vorteil des vorliegenden Buches ist, daß zu jedem Therapieansatz eine Reihe brauchbarer Übungsmöglichkeiten be­schrieben werden, die gute Anregungen für Sprachtherapie sein können.

Insgesamt hat die Verfasserin hier eine sehr gute Aufarbeitung der englischsprachigen Literatur vorgenommen, was insbesondere im Hauptteil der Arbeit über die Therapie­formen deutlich wird. Diese Aufarbeitung erfolgte aber nicht kritiklos, sondern enthält Hinweise auf Unterschiede in den Auffas­sungen. So wird z.B. darauf hingewiesen, daß es nach amerikanischen Therapievorstel­lungen schon als Erfolg anzusehen ist, wenn der Patient zunehmend unauffälliger spricht, wogegen in deutschen Ansätzen nicht die Bekämpfung des Stotterns im Mittelpunkt steht, sondern die Erweiterung der Kommu­nikation und sozialen Kompetenzen.(S. 79) Die Autorin möchte aber ihre Ausführungen nicht so verstanden wissen, daß direkte und indirekte Therapiemethoden sich antagoni­stisch gegenüberstehen, sondern hält selbst die methodenkombinierte Vorgehensweise für sinnvoll:Dem in den bisherigen Aus­führungen unterschwellig geforderten An­spruch an eine multidimensionale Betrach­tungsweise des Phänomens Stottern, kann m.E. am ehesten die Kombination verschie­dener therapeutischer Methoden gerecht wer­den, deren Zusammenstellung immer wie­der neu und individuell bestimmt werden muß.(S. 116)

Der Elternarbeit ist ein eigenes Kapitel ge­widmet, in dem vielfältige Möglichkeiten der Einbeziehung der Bezugspersonen dis­kutiert werden. Hier ist allerdings Skepsis geboten, denn nach unseren eigenen langjäh­rigen praktischen Erfahrungen sind die El­tern in vielen Fällen nicht fähig oder nicht bereit mitzuarbeiten. So offenbar auch in dem von Haeseling geschilderten Fallbei­spiel, das erfolglos abgebrochen werden muß­te. Elternarbeit sollte also nicht als unab­dingbarer Bestandteil des gesamten Therapie­konzeptes betrachtet werden.

Ebenfalls gibt das Fallbeispiel Anlaß, dar­über nachzudenken, ob die Differentialdia­gnosen in ihrer Bedeutung für die Therapie nicht überschätzt werden. Außerdem sollte

man erwägen, ob eine Kommunikation zwi­schen einem Kind und einem oder mehreren Erwachsenen(z.B. unter Supervisionsbedin­gungen), die eine asymmetrische(Dominanz der Erwachsenen) ist und in der Therapie obendrein den Charakter einerZwangskom­munikation hat, nicht eher hemmend und demotivierend wirkt.

Leider wird in dem vorliegenden Buch über die therapeutischen Vorzüge einer Kind­Kind-Interaktion, die einer Spielsituation ent­spricht und dadurch den Charakter einerfrei­willigen Kommunikation hat, nichts berich­tet.

Außer den vorgestellten Therapiemethoden, bei denen es sich um Einzeltherapien han­delt, ist es sinnvoll, auch über die Durchfüh­rung von Gruppentherapien, in die mehrere Kinder einbezogen sind, nachzudenken. Die therapeutische Arbeit in einer solchen Situa­tion kann z.B. auch durch Handpuppen- und Rollenspiele erleichtert werden.

Trotz dieser kleinen kritischen Anmerkun­gen sind wir aber der Meinung, daß das Buch sowohl für Wissenschaftler als auch für Praktiker sehr zu empfehlen ist.

OStR Ilse Laga, Hamburg und Prof. Dr. Gerd Laga, Hannover

Hans-Georg Köffler: Blind geboren. Mög­lichkeiten und Voraussetzungen zur Integra­tion in die Regelschule. Klagenfurt: Verlag Johannes Hey, 1995, DM 62,-/ ÖS 430,/ SFr 51,­

Ursprünglich vertrat man in der Sehgeschä­digtenpädagogik die Auffassung, daß Blinde auf Grund des Sehsinnausfalls nicht voll bil­dungsfähig und daher in ihrer Gesamtent­wicklung wesentlch eingeschränkt sind. Der Umgang mit blinden Kindern und die Me­thoden hinsichtlich ihrer Eziehung und Bil­dung machten in den letzten 150 Jahren al­lerdings einen großen Wandel durch, der sich auf allen Ebenen des individuellen Handelns und der gesellschaftlichen Lebensbereiche vollzog.

Heute ist man der Auffassung, daß Blinde trotz ihres visuellen Defizits durch geziel­te Ausgleichs- und Angleichungsfunktionen grundsätzlich genauso bildungsfähig sind und Kultur gesamtheitlich erfassen können wie Sehende. Daher muß auch Blindenpädagogik stets ganzheitlich, vollwertig und allgemein­pädagogisch verstanden werden. Auf Grund des generellen Trends zur Integration von Behinderten in allen soziologischen Ebenen

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 3, 1995

kann dieser pädagogischen Forderung mehr und mehr entsprochen werden. Daß es dazu spezieller, besonders qualifizierter Berufs­gruppen bedarf, bedeutet nicht Einschrän­kung, sondern interdisziplinäre Vielfalt. Im Mittelpunkt steht dabei immer das jeweilige Kind mit seinen individuellen Potentialen. Seine spezifische Förderung ist aber ohne den persönlichen, aufopfernden Einsatz der Eltern nicht denkbar. Um ihrem Kind von Anfang an eine optimale Entwicklung zu er­möglichen, sind zwar auch sie pädagogisch gefordert, sich ganz gezielten Lernprozessen zu unterwerfen, doch besitzen ihre familiäre Beziehung und ihre emotionale Bindung trotz unterstützender Maßnahmen von außen größ­te ethische Bedeutung. Damit sind sie stets ein wertvoller Mittler zwischen ihrem Kind und der Gesellschaft.

Aus der Breite von möglichen Themenkrei­sen wurde in dieser Arbeit ein Spezialpro­blem der Sehgeschädigtenpädagogik heraus­gegriffen und wissenschaftlich untersucht. Das Ziel war die Bestimmung der pädagogi­schen und interdisziplinären Möglichkeiten und Voraussetzungen, unter denen die Inte­gration eines blind geborenen Kindes in die Regelgrundschule zu realisieren ist. Es geht also darum, wie ein Mensch sein Leben opti­mal zu bewältigen vermag, ohne jemals vi­suelle Lernprozesse durchlaufen zu haben. Obwohl gewisse psychische und auch päd­agogische Probleme im Zusammenhang mit der Internatserziehung von Sehgeschädigten bekannt waren, hielt man dennoch über Jahr­zehnte an den überlieferten Bildungseinrich­tungen fest. Aber allmählich entwickelte sich unter den Eltern von Blinden und Seh­behinderten, für die ihr Kind absolut im Mit­telpunkt stand, eine neue Bewegung: Immer häufiger begegnete man in der Öffentlich­keit dem SchlagwortIntegration. In der Folge kam es zwischen aktiven Eltern und traditionalistischen Blindenpädagogen über die objektiv bessere Ausbildung von seh­geschädigten Kindern an Regel- oder Inter­natsschulen zu heftigen Konfrontationen. Bei speziellen Tagungen und Blindenlehr­kongressen sowie in Diskussionen mit El­tern, Frühförderinnen und auch engagierten Regelgrundschullehrern von sehgeschädigten Kindern traten immer wieder Probleme und offene Fragen hinsichtlich der Früherziehung und der schulischen, beruflichen und sozia­len Integration zutage. Auf Grund der bei solchen Gelegenheiten gewonnenen Erfah­rungen und der Auseinandersetzung mit der spezifischen Literatur der Blindenpädagogik gelangte der Autor zu der klaren Erkenntnis, daß es im deutschsprachigen Raum keine

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